Euro-Rettung:Die Wahrheit über den Euro

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Der Euro ist eine große zivilisatorische Leistung und ein Gewinn für Deutschland. Es lohnt sich, für ihn zu kämpfen. Aber nur, wenn ehrlich und offen über die Kosten gesprochen wird.

Marc Beise

In dieser Woche hat mit Portugal das dritte EU-Land Hilfe gesucht. Die Gemeinschaft der Euro-Staaten bürgt für das ärmste Land Westeuropas, das sich - hoch verschuldet und wirtschaftsschwach - nicht mehr selbst finanzieren kann. Die Nachricht allein ist nicht bedrohlich. Der Schritt war abzusehen, der Euro-Schirm ist aufgespannt. Wie Griechenland ist Portugal kein Schwergewicht, das die Europäische Union in die Tiefe ziehen könnte. Entscheidend ist, was nun kommt. Werden weitere Staaten unter den Rettungsschirm der Europäer schlüpfen müssen: Spanien, Belgien, Italien? Das ist die große Sorge. Die Politik versucht zu beruhigen. Jetzt kehre Ruhe ein an den Finanzmärkten, heißt es, wer jetzt neues Geld braucht, werde es auch kriegen. Wirklich?

Wirtschaftspolitik, auch Finanzpolitik, auch Geldanlage ist nur begrenzt rational, sie ist auch Psychologie. Haben die Geldgeber, aber auch die Bürger, die die Grundordnung tragen müssen, Vertrauen in die Politik, in die Akteure, ins System? Offenbar nicht. Denn Vertrauen hat nur, wer sich gut informiert fühlt. Daran fehlt es. So viel haben Berlin und Brüssel angekündigt, über den Haufen geworfen, versprochen, gebrochen, so viel auch haben sie verschwiegen und es bestenfalls im Hintergrund angedeutet. Schon die Frage, wie viel Geld die Euro-Staaten in die Rettung ihrer Gemeinschaft investieren, wird nicht ehrlich beantwortet. Man kann die Rettungsmaßnahmen mit guten Gründen für notwendig halten, man wüsste aber schon gerne, was uns Politik und Notenbanker so alles aufbürden. Weit mehr als bisher öffentlich zugegeben, schrieb der Präsident des Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, vor genau einer Woche in der Süddeutschen Zeitung. Er hat eine Summe von 1,542 Billionen Euro errechnet, das kann man sich kaum vorstellen, es sind 1542 Milliarden Euro. Davon entfallen auf Deutschland fast 400 Milliarden Euro, deutlich mehr als der Bundeshaushalt eines Jahres.

Besonders bedenklich: In dieser Summe enthalten sind Hilfsgelder, deren Bereitstellung auf dem kleinen Dienstweg beschlossen worden sind. Über fünf Euro monatlich bei Hartz IV wird öffentlich und im Parlament hingebungsvoll diskutiert, über den Schritt der Europäischen Zentralbank, gegen alle früheren Schwüre Staatspapiere von Krisenstaaten zu kaufen (und damit die Haftung dafür zu übernehmen) so gut wie gar nicht. Zwar protestierte im Sommer 2010 der Bundesbankchef und beinahe designierte EZB-Präsident Axel Weber, aber dies entfaltete Wirkung nur in Expertenkreisen. Dass Weber sich jetzt aus allen Ämtern zurückzieht und erst mal nach Chicago lehren und forschen geht, ist wohl die späte Folge dieser Entscheidung, wird von ihm aber womöglich aus falsch verstandenem Korpsgeist heraus öffentlich nicht thematisiert.

Wobei es sogar des prinzipienstrengen Präsidenten eigene Deutsche Bundesbank war, die praktisch unbemerkt von der Öffentlichkeit in atemberaubendem Umfang zusätzlich zu allen Rettungspaketen Geld verliehen hat. Das Thema wird "Target2-Salden" genannt, und damit ist sichergestellt, dass niemand durchblickt. Aus einem kleinen Instrument des Geldaustauschs, einer Art Überziehungskredit zwischen den Notenbanken, ist binnen weniger Jahre eine gigantische Maschinerie geworden. Hatte die Bundesbank 2006 in diesem System im Saldo nur fünf Milliarden Euro ausstehen, so sind es heute mehr als 300 Milliarden Euro, ein großer Teil davon befindet sich in den vier besonders angeschlagenen Euro-Staaten - wehe, wenn das Geld nicht zurückkommt!

Die Bundesbank sieht hier kein Problem, weil es sich ja sozusagen um Geldgeschäfte des Alltags handele. Der Ifo-Präsident hat daran Zweifel, und er erhält dabei zunehmend Beifall von ernstzunehmenden Ökonomen. Nicht nur von denen, die immer schon gegen alles sind, sondern auch von den bedächtigen. Sie vermuten, dass die Bundesbank die Wahrheit nicht sagt; das sät Misstrauen, das in der aktuell brenzligen Situation am wenigsten gebraucht wird.

Stattdessen wäre Transparenz dringend geboten, die ganze Wahrheit über alle Rettungsmaßnahmen und eine konstruktiv kritische Diskussion darüber auf höchster politischer Ebene. Mehr und mehr beschleicht auch Euro-Befürworter Unwohlsein. Erinnerungen an die große Finanzkrise werden wach. Wie man heute weiß, nicht zuletzt aus dem Untersuchungsbericht des US-Kongresses, war Eingeweihten schon lange vor dem Crash im September 2008 klar, dass das System der Kreditgeschäfte und der verschachtelten Wertpapiere heiß lief; der Öffentlichkeit wurde dieses Wissen vorsätzlich vorenthalten. Diese Geschichte darf sich nicht wiederholen.

Zur notwendigen Ehrlichkeit gehört auch das Eingeständnis, dass Griechenland, das erste Opfer, seine Schulden nie wird allein abtragen können, dass die privaten Gläubiger mitzahlen müssen, dass die eine oder andere Bank dabei draufgehen kann; heute ist das wohl eher verkraftbar als vor zwei Jahren. All das muss offen diskutiert werden, und man wünschte sich, dass die Kanzlerin auch hier öffentlich berät, Kommissionen einrichtet wie bei der Atompolitik.

Der Euro ist eine große zivilisatorische Leistung und ein Gewinn für Deutschland. Es lohnt sich, für ihn zu kämpfen. Aber bitte mit offenem Visier.

© SZ vom 09.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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