EU-Kommission:Angst vor dem Schulden-Inferno

Die EU fürchtet, Europas Regierungen könnten wegen der Wirtschaftskrise auf riesige Defizite zusteuern - und hat nur einen Rat: sparen, sparen, sparen.

Cerstin Gammelin

Die Europäische Kommission befürchtet eine Verdoppelung der Staatsschulden in den europäischen Ländern bis 2020. Ohne Sparmaßnahmen könnten die Defizite völlig außer Kontrolle geraten, hieß es. Der Stabilitätspakt, der die Fehlbeträge begrenzen soll, würde dadurch ausgehebelt. Die EU will nun Lösungsvorschläge präsentieren.

Wirtschafts- und Währungskommissar Joaquin Almunia will Anfang kommender Woche darlegen, wie die Mitgliedsstaaten ihre Schulden wieder verringern könnten, die im Zuge der Wirtschaftskrise angestiegen sind. Schon am Freitag wurde aber eine Untersuchung der EU-Kommission zu den Staatsschulden bekannt. Demzufolge könnte sich der Schuldenstand der europäischen Länder in den kommenden zehn Jahren auf durchschnittlich 125 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, also der Wirtschaftsleistung, verdoppeln, sollte die bisherige Finanzpolitik fortgesetzt werden. Durch die hohen Schulden wächst auch die Zinslast.

Die Brüsseler Beamten befürchten zudem, dass mit der leichten Erholung der Wirtschaft die Zinssätze steigen könnten. Das verteuert die Zinslast zusätzlich. Wegen der Krise werde außerdem die Zahl der Arbeitslosen steigen, was die Sozialausgaben explodieren lassen könnte.

"Zeit für einen Weckruf"

Niemals zuvor hätten sich EU-Länder derart hoch verschuldet wie jetzt wegen des Kampfs gegen die Wirtschaftskrise, hieß es in Brüssel. Wer der europäischen Währungsunion beitreten will, dessen Staatsschuld darf eigentlich nicht mehr als 60 Prozent der Wirtschaftsleistung betragen. Dieses Stabilitätskriterium aus den Verträgen von Maastricht wird praktisch wirkungslos angesichts der von der Kommission intern vorhergesagten Schuldenstände, die im Oktober offiziell veröffentlicht werden sollen.

Die Kommission geht inzwischen davon aus, dass die Staatsverschuldung in Irland im Jahr 2020 auf 200 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen könnte. Das Land hat unter der Krise besonders gelitten, weil seine Staatseinnahmen zu einem wesentlichen Teil von der Finanzbranche abhängen. Gleiches gilt für Großbritannien, wo die EU einen Wert von 180 Prozent für möglich hält. Frankreich und Italien könnten im Durchschnitt von 125 Prozent liegen, die Bundesrepublik mit 100 Prozent geringfügig darunter. Das heißt, die Staatsschulden in Deutschland wären genauso groß wie der Wert aller Dienstleistungen und Güter, die in einem Jahr hierzulande produziert werden. Allerdings seien die langfristigen Schuldenzahlen keine genaue Vorhersage, sondern eine mit Unsicherheiten behaftete Projektion, hieß es in Brüssel.

Die europäischen Finanzminister sind sich bisher uneins über einen geeigneten Zeitpunkt für den Ausstieg aus den staatlich finanzierten Hilfsmaßnahmen, die die Verschuldung hochtreiben. Es sei zu früh, die Konjunkturhilfen einzustellen, erklärten die EU-Finanzminister auf ihrem jüngsten Treffen im September in Brüssel. Offenbar will der spanische EU-Kommissar Almunia das nicht länger hinnehmen. Angesichts der dramatischen Schätzungen sei es "Zeit für einen Weckruf", hieß es in Kommissionskreisen. Die Finanzminister werden auf ihrem Treffen in Göteborg Anfang Oktober über die Vorschläge zur Haushaltssanierung beraten, die Almunia in der kommenden Woche präsentiert.

Wirkungslose Instrumente

Die Schätzungen zum Schuldenstand fielen schlechter aus als 2006, als der letzte EU-Report zu dem Thema veröffentlicht wurde. Die Wirtschaft wachse langsamer, die Schulden seien höher als damals, hieß es. Würden die EU-Regierungen weiter zögern, Unternehmen und Banken die staatlichen Hilfen zu entziehen, drohten der Wirtschaft dramatische Langzeitschäden.

Die Instrumente der Kommission, mit denen sie Druck auf die Mitgliedsländer ausüben kann, sind beschränkt. Über den Stabilitätspakt kann sie zwar die Haushalte der Mitgliedsstaaten kontrollieren und Verfahren gegen Defizitsünder einleiten. Diese erweisen sich in der Krise allerdings als weitgehend wirkungslos. Zwar werden bis Ende des Jahres fast alle europäischen Länder einen blauen Brief aus Brüssel bekommen, weil sie das Maastricht-Kriterium nicht einhalten. Danach darf das jährliche Haushaltsdefizit nicht mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen. Angesichts der Wirtschaftskrise räumt die Kommission den Sündern jedoch wesentlich mehr Zeit ein, die Schulden wieder abzutragen. Diese Flexibilität vermindert den Druck, den diese Verfahren aufbauen.

Almunia will deshalb bei den sogenannten Stabilitätsprogrammen stärker darauf achten, dass diese wirklich einen Abbau der Schulden vorsehen. Diese Programme reichen die Länder jedes Jahr bei der EU ein, um zu erklären, wie sie ihre Staatsfinanzen ins Lot bringen wollen.

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