Entscheidung zum Rettungsschirm:Versteh einer die Krise

Am Donnerstag stimmt der Bundestag über die Erweiterung des Rettungsschirms für den Euro ab. ESM, EFSF, Kanzlermehrheit und Fraktionsdisziplin - wer soll denn da noch durchblicken? Die wichtigsten Begriffe im Überblick.

Catherine Hoffmann und Michael König

Im Frühjahr 2010 nahm der Albtraum seinen Lauf: Griechenland musste zugeben, dass das Staatsdefizit viel höher ist als ausgewiesen - die Europäische Union übernahm die Kontrolle des griechischen Haushalts. Schon im Mai 2010 beschloss der Bundestag das erste Hilfspaket für Griechenland, 110 Milliarden Euro.

REICHSTAG

Für Deutschland steigt der Anteil am maximalen Garantierahmen für den Rettungsschirm von 123 Milliarden auf 211 Milliarden Euro. Bevor dieser vergrößerte EFSF in Aktion treten kann, muss der Bundestag am Donnerstag zustimmen.

(Foto: AP)

Am Donnerstag stimmen die Abgeordneten erneut über Hilfen ab, mit denen der Euro-Rettungsschirm erweitert werden soll. Die wichtigsten Begriff rund um die Abstimmung.

EFSF

Das ist die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität, vulgo: Rettungsschirm. Der EFSF wird 2010 von den EU-Finanzministern und dem Internationalen Währungsfonds aufgespannt. Das Volumen liegt bei 750 Milliarden Euro. Dazu wird im Juni 2010 eine Zweckgesellschaft mit Sitz in Luxemburg gegründet. Der Fonds soll beinahe 300 Milliarden Euro Kredite an notleidende Euro-Mitglieder vergeben können, damit bildet er den Kern des Rettungsprogramms.

Die einzelnen Staaten stellen dem EFSF gemäß ihrem Anteil an der Europäischen Zentralbank (EZB) Garantien bereit, zunächst 440 Milliarden Euro. Diese Überdeckung ist nötig, um dem Fonds die beste Bonitätsnote "AAA" zu sichern. Denn bei Gründung des Rettungsfonds haben nur sechs von 17 Mitgliedern die Spitzennote.

Leider haben sich die Experten verrechnet. Wie sich später herausstellte, lässt sich das Triple-A nur dann sicherstellen, wenn die Garantiesumme deutlich größer ist. Noch aber glaubt man, dass der EFSF effektiv knapp 300 Milliarden Euro mobilisieren könnte.

Zu den 440 Milliarden Euro steuert der IWF nochmals 250 Milliarden Euro bei. Weitere 60 Milliarden Euro stammen von der EU-Kommission, sodass ein Rettungsschirm im Umfang von 750 Milliarden Euro entsteht.

Am 20. Juni 2011 beschießen die EU-Finanzminister, den Krisenfonds EFSF zu vergrößern und ihm mehr Aufgaben zu geben. Damit tatsächlich die angepeilten bis zu 440 Milliarden Euro an Notkrediten herausgereicht werden können, sollen die Euro-Länder ihre Garantien auf 780 Milliarden Euro erhöhen.

Für Deutschland steigt der Anteil am maximalen Garantierahmen von 123 Milliarden auf 211 Milliarden Euro. Bevor dieser vergrößerte EFSF in Aktion treten kann, müssen in einigen Ländern die Parlamente zustimmen, darunter eben auch in Deutschland der Bundestag am Donnerstag.

Der europäische Rettungsschirm hat aber ein Verfallsdatum: Er läuft spätestens Mitte 2013 aus.

ESM

Der EFSF wird Mitte 2013 durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) abgelöst. Dazu wird allerdings nicht einfach der temporäre Rettungsschirm verlängert. Vielmehr möchte man die Konstruktionsfehler der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion beheben. Deshalb sollen die Europäischen Verträge geändert werden. Bei Zahlungsausfällen von Staaten sollen auch Banken und andere private Gläubiger die Last mittragen. Eine Aufstockung des Fonds oder gemeinsame Euro-Anleihen sind nicht geplant.

Fraktionsdisziplin

Zunächst hieß es, etwa 25 Abgeordnete von Union und FDP wollten gegen die Ausweitung des Euro-Rettungsschirms stimmen. Nun sollen es höchstens noch 18 sein. Das mag daran liegen, dass einige Politiker ihre Meinung geändert haben. Höchstwahrscheinlich hat es aber auch mit der Fraktionsdisziplin zu tun. Ein Wort, mit dem Politiker und Juristen ihre Probleme haben. Es bedeutet, dass die Fraktion einheitlich abstimmen sollte, obwohl manch einer Bedenken hat. Entweder alle oder keiner, heißt es dann. Streng genommen ist das verfassungswidrig.

Im Grundgesetz steht, die Abgeordneten seien nur ihrem Gewissen unterworfen. Das widerspricht der Fraktionsdisziplin. Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP steht auf Seite 131 unmissverständlich: "Im Bundestag (...) stimmen die Koalitionsfraktionen einheitlich ab". Wie ist das möglich?

Eine Rechtfertigung findet sich in den Erläuterungen zur Geschäftsordnung des Bundestags. Regeln seien nötig, um den "persönlichen Wettbewerb" der Abgeordneten auf ein hinnehmbares und nützliches Maß zu beschränken. Das bedeutet: Im Bundestag sollen nicht einzelne Abweichler miteinander ringen, sondern die Parteien im politischen Wettstreit. Die Eigenständigkeit der Abgeordneten werde dadurch "rechtlich nicht geschmälert, auch wenn das Wort von der Fraktionsdisziplin etwas anderes nahelegt und im Parlamentsalltag auch bewirkt", heißt es.

In einzelnen Sachfragen wird den Abgeordneten ausdrücklich nahegelegt, nur ihrem Gewissen zu gehorchen und auf die Fraktionsdisziplin zu verzichten. Zuletzt war das bei der Abstimmung über die Präimplantationsdiagnostik der Fall.

Linktipp: Im Blog der Seite abgeordnetenwatch.de ist nachzulesen, wie schwer sich die Parlamentarischen Geschäftsführer der Bundestagsfraktionen tun, wenn sie die Disziplin in ihren Reihen erläutern sollen.

Kanzlermehrheit

Angela Merkel hat viel telefoniert in den vergangenen Tagen. Die Kanzlerin rief persönlich bei mutmaßlichen Abweichlern der Regierungskoalition an, um für die Zustimmung zur Ausweitung des Euro-Rettungsschirms zu werben. Es dürften keine netten Gespräche gewesen sein, und sie waren rechnerisch auch nicht nötig. SPD und Grüne hatten ja früh signalisiert, für die Ausweitung stimmen zu wollen. Die Mehrheit schien gesichert, trotz der Gegenstimmen in den eigenen Reihen, die bei Probeabstimmungen aufgetaucht waren. Warum also der Aufwand?

Das Parlament hat 620 Sitze, 330 sind von Abgeordneten der Unions- und FDP-Fraktion belegt. Wenn sich 311 schwarz-gelbe Politiker zusammentun, ist die sogenannte Kanzlermehrheit erreicht. Sie ist vor allem bei der Wahl des Kanzlers und bei seiner Abwahl durch eine Vertrauensfrage oder das konstruktive Misstrauensvotum von Bedeutung - aus psychologischen Gründen aber nicht nur da, sondern auch in anderen inhalhtlichen Fragen.

Die Abstimmung über den Euro-Rettungsschirm erfolgt namentlich. Stellt sich dabei heraus, dass Merkel nur dank SPD und Grünen gewinnt, würde das "Interpretationsmöglichkeiten" eröffnen, wie CSU-Chef Horst Seehofer sagte. Die Opposition würde daran zweifeln, ob die Kanzlerin noch die Kontrolle hat. Innerhalb der Koalition würden Ja- und Nein-Sager einander zerfleischen. Ein Horror-Szenario, das Merkel offenbar abwenden konnte: 19 Abweichler dürften es maximal sein, um die Zahl 311 nicht zu verfehlen. Neueste Probeabstimmungen sagen höchstens 18 Abweichler voraus. Damit stünde die Kanzlermehrheit. Auch dank Merkels Telefonaten.

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