Entmietung:Einfach vor die Tür gesetzt

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Nach einem Streit um Mietrückstände spielt eine Hausbesitzerin Justiz und räumt die Wohnung ihrer Mieterin leer.

Von Bernd Kastner

Es ist dies nicht nur eine Geschichte über Selbstjustiz. Auch über die Rechtsauffassung der Polizei, über Gerichtsvollzieher und den Kampf einer Frau um ihr Recht. In Neukeferloh vor den Toren Münchens wurde ohne rechtliche Grundlage die Wohnung einer 23-jährigen Finnin von den Vermietern leer geräumt. Mit diesem jüngsten Fall von Entmietung muss sich nun die Staatsanwaltschaft beschäftigen.

Montag, 20. Oktober, 10 Uhr. Maija Mäkinen (Name geändert) kommt nach einem Wochenende bei ihrem Freund zurück in die Hubertusstraße in Neukeferloh. Vor dem Haus, in dem sie ein 25 Quadratmeter großes Apartment bewohnt, steht ein blauer Möbelwagen. Die Tür ihrer Wohnung ist offen, die Vermieterin und drei Helfer tragen ihr komplettes Hab und Gut hinaus. Die junge Frau ist entsetzt, will telefonieren, doch auch das Telefon ist weg. Von einem Nachbarn aus verständigt sie die Polizei und ihren Partner, der ihre Anwältin in München informiert. Als Maija Mäkinen danach zu ihrer Wohnung kommt, ist die Tür zu, das Schloss ausgewechselt. Die Frau hat nur noch, was sie auf dem Leib trägt. Möbel, Kleidung, persönliche Unterlagen - alles weg.

An Ihrer Tür klebt ein Zettel: "Bitte beachten Sie einen Hinweis in Ihrem Briefkasten." Dort ein weiterer Zettel der Vermieterin Anna Fuchs (Name geändert): "Da Sie auf die Kündigung nicht reagiert haben, wurde die Wohnung geräumt."

Die Vorgeschichte

Kurz nach dem Einzug der Finnin im März 2002 bilden sich Schimmelflecken an der Wand, später schimmelt es unterm Sofa und hinterm Regal. Die Mieterin reklamiert mehrmals, die Vermieterin schiebt es auf mangelndes Lüften. Als dann noch Wasser von oben in das Apartment läuft, dieses wochenlang unbewohnbar ist und nach der Renovierung wieder Flecken auftreten, beauftragt die Mieterin auf eigene Kosten einen Sachverständigen.

Sein Fazit: Das Mauerwerk ist feucht, die Mieterin nicht schuld. Daraufhin kürzt Frau Mäkinen fünf Monate lang die Miete, erst um 30, dann um 20 Prozent. Die Eigentümerin kündigt Schadenersatzklage gegen den Gutachter an, saniert aber trotzdem die Außenfassade. Doch die Flecken bleiben. Am 6. Oktober kündigt Frau Fuchs der Mieterin fristlos wegen Mietrückstandes. Sie gibt ihr zwölf Tage Zeit zum Auszug. Zwei Tage nach Ablauf der Frist fährt der blaue Möbelwagen vor.

Mietrückstand wegen Minderung

Und dann dieser Zettel im Briefkasten - mit einer Handy-Nummer. Unter dieser, heißt es, erhalte sie Auskunft über den Verbleib der Einrichtung. Mäkinens Anwältin Isabelle Rapp ruft an, es meldet sich die Vermieterin. Sie werde, sagt sie, die Möbel allenfalls in eine andere Wohnung bringen lassen, aber nicht in die Hubertusstraße. Anruf der Anwältin bei der Polizei in Haar: Der Beamte , der zur Wohnung gekommen war, als sie schon leer war, erklärt, das sei nicht Sache der Polizei. Und überhaupt, nach seiner Auffassung habe sich die Vermieterin rechtens verhalten, schließlich sei die Miete ausgestanden.

Dienstag. Anwältin Rapp stellt Antrag auf einstweilige Verfügung beim Münchner Amtsgericht, um die Öffnung der Wohnung und Herausgabe der Möbel zu erreichen. Das Gericht erlässt die Verfügung sofort. Doch die nutzt nichts, solange sie der Vermieterin nicht zugestellt ist. Die Anwältin benötigt einen Gerichtsvollzieher vom Amtsgericht Ebersberg, weil die Vermieterin in Vaterstetten wohnt. Zuständig für Vaterstetten ist Gerichtsvollzieherin X., doch die hat erst am Donnerstag wieder Sprechstunde, heißt es.

Heute hat Obergerichtsvollzieher Y. Dienst, aber erst ab 15 Uhr. Kurz nach 15 Uhr sagt Herr Y., dass er für Vaterstetten, wo die Vermieterin wohnt, nicht zuständig sei. Man möge sich an Kollegin X. wenden. Gegen halb vier erklärt er sich doch zur Zustellung bereit - wenn das Papier in einer halben Stunde bei ihm sei, um vier ende sein Dienst. So schnell aber schafft es kein Kurier von München nach Ebersberg.

Anruf bei der Gerichtsvollzieherverteilerstelle des Münchner Amtsgerichts, wo es Eilgerichtszusteller gibt. Nein, lautet die Auskunft, bis Vaterstetten hat noch nie ein Münchner Mitarbeiter etwas zugestellt. Frau Mäkinen ist eine weitere Nacht ohne Wohnung.

Keine Spur von den Möbeln

Mittwoch. Anwältin Rapp fährt morgens selbst nach Ebersberg, wirft die Verfügung in den Briefkasten des Amtsgerichts. Gerichtsvollzieherin X. stellt nachmittags zu, trifft aber Frau Fuchs nicht an. Was tun? Anwältin Rapp schlägt vor: Rufen Sie sie doch mal an. Maija Mäkinen weiß noch immer nicht, wo ihr Hab und Gut geblieben ist.

Donnerstag. Die Gerichtsvollzieherin spricht am Telefon mit Vermieterin Fuchs. Ergebnis: Sie will nichts herausgeben. Die Mieter-Anwältin bereitet einen Antrag auf Zwangsgeld vor, da meldet sich der Vermieter-Anwalt - und lenkt ein. Am Nachmittag fährt wieder ein Lieferwagen in der Hubertusstraße vor, Männer stellen die Möbel und Kisten ins Apartment zurück. Bett und Schrank sind auseinander montiert, der Rest ist lose oder in Kisten verpackt.

Zwei Wochen später, Besuch bei Maija Mäkinen. Im Garten ist gerade Herr Fuchs, der Mann der Vermieterin. Warum, will man fragen, haben Sie die Wohnung ohne Urteil räumen lassen? Der Mann will nichts sagen, verweist den Besucher des Gartens und sagt: Man wisse ja, das sei sonst Hausfriedensbruch.

Strafanzeige gestellt

Mittlerweile hat die Mieter-Anwältin Strafanzeige gestellt, sie spricht von "Selbstjustiz". Der Haus- und Grundbesitzerverein hat das Mandat von Frau Fuchs sofort nach der Räumung niedergelegt. Und der Anwalt, der sie zwischenzeitlich beraten hat, will nicht mit diesem Fall in Verbindung gebracht werden.

Frau Mäkinen lebt zwischen Kisten. Sie weiß nicht, wo ihre Sachen gelagert waren und ob Geräte wie der Computer noch funktionieren. Sie ist mit den Nerven am Ende, sagt, sie wolle so schnell wie möglich weg von hier. Auch wenn sie juristisch Recht bekommen habe, aber man wisse ja nicht, was den Vermietern noch einfalle. Die Wohnung wird also bald frei sein. Die Vermieter haben dann ihr Ziel erreicht.

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