Energieexperten schlagen Alarm:Adieu, billiges Öl

Horrorszenario der Internationalen Energie-Agentur: Nach der Ölpest im Golf von Mexiko sind Engpässe und steigende Preise wahrscheinlich. Nötig ist nicht weniger als eine Energierevolution.

Markus Balser und Michael Bauchmüller

Die Internationale Energie-Agentur (IEA) schlägt nach der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko Alarm und erwartet weitreichende Folgen für die globale Ölversorgung. "Die Kosten werden definitiv ansteigen", warnt Agenturchef Nobuo Tanaka im Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Nötig sei eine Energierevolution.

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Nach der Öl-Katastrophe im Golf von Mexiko warnt die Internationale Energie-Agentur vor Engpässen und steigenden Ölpreisen.

(Foto: getty)

Selbst zweieinhalb Monate nach der Explosion der BP-Ölplattform Deepwater Horizon ist noch immer kein Ende der Umweltkatastrophe in Sicht. Aus dem Leck fließen seitdem täglich bis zu neun Millionen Liter Öl. Die Führung der einflussreichen Internationale Energieagentur warnt nun eindringlich vor den Folgen für die Weltwirtschaft.

So könnte die Ölförderung von zwei Seiten unter Druck geraten: Einerseits würde die Förderung nun teurer, etwa durch neue Auflagen und höhere Versicherungsprämien, warnte Tanaka. Andererseits könnte sich die Erkundung neuer Felder verzögern. "Die Kosten werden definitiv ansteigen, das Risiko auch und damit die kosten der Versicherung", sagte Tanaka.

Die Reserven schmelzen dahin

Der Chefvolkswirt der Organisation, Fatih Birol, geht noch weiter. "Die Ära billigen Öls geht zu Ende", sagte er der SZ. Auch ernsthafte Engpässe seien nach der Katastrophe möglich. Die internationale Organisation, in der sich 30 große Verbraucherstaaten unter dem Dach der OECD zusammengeschlossen haben, beobachtet seit Wochen, wie sich der Unfall auf die Wirtschaft auswirkt.

Sollten sich weltweit alle Bohrungen im Meer verzögern, könnten mittelfristig täglich eine Million Barrel Öl fehlen, warnte Tanaka. Schon jetzt erwarte die Organisation, dass die weltweiten Reservekapazitäten bis 2015 von derzeit sechs auf vier Millionen Barrel am Tag zurückgehen. "Eines von vier Millionen Barrel ist spürbar", sagte Tanaka. "Wir werden das sehr genau beobachten müssen."

Weil die globalen Ölvorkommen in wenigen Jahren abnehmen, der Verbrauch aber weltweit rasant steigt, warnen Experten seit längerem vor der Gefahr von globalen Engpässen. Heute stammten bereits 30 Prozent der Rohölproduktion aus Meeresbohrungen, so Tanaka. "Wovon der Anteil der Tiefeseebohrungen in Zukunft sicherlich noch steigen wird." Aber gerade die sind seit dem BP-Desaster in der internationalen Kritik. Ohnehin ist längst fraglich, ob die Quellen tatsächlich so stark sprudeln wie gedacht.

Mehr Macht für den arabischen Raum

Die Erschließung von Vorkommen auf hoher See könnte ins Stocken geraten, fürchtet Birol. Die Ölpest habe schlagartig die Risiken der Technologie offenbart. Neue Gesetze und nötige strengere Sicherheitskontrollen ließen den Preis der Förderung vor den Küsten Amerikas und Afrikas steigen. "Der Unfall führt dazu, dass viele Projekte neu kalkuliert werden müssen. Eine ganze Reihe wird sicher nicht mehr profitabel sein", sagt Birol. "In vielen Fällen wird sich die Förderung vor den Küsten der USA, Brasiliens und einiger afrikanischer Länder nicht mehr lohnen."

Beim Ausbruch der Weltwirtschaftskrise im Spätsommer 2008 hatten stark fallende Preise die Folgen des Abschwungs abgemildert. Nun könnten höhere Preise den Aufschwung bremsen. Die Agentur rechnet mit höheren Kosten für die Industrie und Verbraucher.

Chancen für erneuebare Energien

"Ein angespannter Markt bedeutet, natürlich, dass die Preise stärker schwanken und eher steigen als sinken", erklärte Tanaka. Chefvolkswirt Birol rechnet gar mit einer Rückkehr zu alten Rekordhöhen. "Durchschnittspreise für ein Barrel von 30 oder 40 Dollar wie zuletzt über viele Jahre werden für immer der Vergangenheit angehören", so Birol.

Die Ölkatastrophe wird offenbar auch die Pläne der Bundesregierung durchkreuzen, die Abhängigkeit von einzelnen Ölförderländern zu reduzieren. "Der Mittlere Osten wird wieder an Macht und Einfluss über die globale Energieversorgung gewinnen. Hier lagern die größten leicht zu erschließenden Ölreserven. Das hat beträchtlichen Folgen für die Versorgungssicherheit der OECD-Mitglieder", sagt Birol voraus. Vor allem das Gewicht nationaler Ölkonzerne im arabischen Raum werde stark wachsen.

Umso stärker müssten sich die Industriestaaten vom Brennstoff Öl trennen, forderte Tanaka. "Wir brauchen mehr Elektrofahrzeuge, aber dafür muss es auch eine Infrastruktur geben", sagte der IEA-Chef. Auch die Photovoltaik müsse noch günstiger werden, soll sie einen Durchbruch erleben. "Wir brauchen vor allem einen Preis für Kohlenstoff, um den Wandel zu beschleunigen."

Dazu aber müssten die Staaten ernst machen mit ihren bislang unverbindlichen Zusagen im Klimaschutz. Auch dürften Staaten nicht länger Öl oder Kohle subventionieren. "Würden die Subventionen bis 2020 abgeschafft, ließen sich 2,4 Gigatonnen Kohlendioxid einsparen", warb er. "Die Hälfte des saudischen Öls würde nicht mehr benötigt."

Mit Blick auf die deutsche Energiedebatte riet Tanaka zu einer Abkehr vom Atomausstieg. "Wenn wir die Emissionen verringern wollen, sollte Kernkraft, neben Energiesparen und erneuerbaren Energien ein Bestandteil des Energiemixes sein", sagte er. "Es ist daher vernünftig, den Ausstieg noch einmal zu überdenken."

Dagegen sieht das Umweltbundesamt gute Chancen für eine vollständige Stromversorgung aus erneuerbaren Energien bis 2050. "Das ist bereits mit der heute verfügbaren Technik möglich", sagte Amtschef Jochen Flasbarth. "Deutschland kann jederzeit und vollständig aus erneuerbaren Energien versorgt werden."

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