Einzelhandel:Online allein reicht nicht

Immer mehr Internet-Verkäufer unternehmen Gehversuche in der realen Welt. Sie sind einst im Netz gestartet und feilen nun an Konzepten für einen Auftritt im stationären Handel.

Von Stefan Weber

Niklas freut sich, dass er hier kostenlos neue Müsli-Sorten testen kann ("mit fruchtigen Blaubeeren - echt lecker"), Jana lässt sich ihren persönlichen Müsli-Mix in eine Dose mit dem Abbild des Kölner Doms abfüllen ("ein tolles Mitbringsel"), und Helge kommt nur kurz vorbei, um sich ein "müsli2go" im Pappbecher ("mein Frühstück") zu holen: Im Laden des Müslianbieters Mymuesli in der Kölner Ehrenstraße, wo sonst vor allem viel junge Mode angeboten wird, ist an diesem trüben Morgen eine Menge los. Seit der Eröffnung im Herbst 2013 ist das Geschäft zu einer festen Größe im Viertel geworden. So wie in Aachen, Augsburg, Bonn, Heidelberg, Konstanz, Regensburg und all den anderen Städten, in denen das Unternehmen in den vergangenen Jahren Läden eröffnet hat. Dabei hatten die drei Studienfreunde, die das Unternehmen 2007 gründeten, am Anfang so gar nichts mit Ladenkonzepten am Hut: Sie starteten als mymuesli.com, als Online-Händler. Auch das erste Geschäft 2009 im Heimatort Passau betrachteten die Jungunternehmer zunächst eher als Farbtupfer denn als einen strategischen Schritt.

Inzwischen ist Mymuesli in der stationären Welt angekommen. Oder besser: in der Multichannel-Welt, denn es lässt sich gar nicht mehr klar sagen, ob das Unternehmen eher im Netz oder in den Fußgängerzonen zu Hause ist. Gleich 20 Stores hat Mymuesli, einst das, was Experten einen Pure Player, einen reinen Online-Händler nennen, im vergangenen Jahr eröffnet. Die meisten in Deutschland, einige auch in Österreich und der Schweiz. Knapp 40 Standorte umfasst das Ladennetz inzwischen.

Der direkte Kontakt zum Käufer bringt Know-how, das im Wettbewerb nützlich ist

Damit steht der Müsli-Verkäufer für einen Trend, den auch Entwickler von Handelsimmobilien sehr aufmerksam verfolgen: Immer mehr Internet-Verkäufer unternehmen Gehversuche in der realen Welt. Ob Elektronikspezialisten wie Cyberport oder Notebooksbilliger, Möbelverkäufer wie Fashion for Home, Brillenanbieter wie Mister Spex oder Schuhspezialisten wie Shoepassion - alle sind einst im Netz gestartet und feilen nun an Konzepten für einen Auftritt im stationären Handel. Die Begründungen dafür klingen stets ähnlich: "Bei vielen Kunden besteht ein großes Bedürfnis, die Geräte vor dem Kauf anzufassen, auszuprobieren oder auch die Farbe des Produkts live zu erleben", heißt es bei Cyberport. Fashion for Home verspricht den Kunden, dass sie in ihren Ladengeschäften prüfen können, wie es sich "auf ihrem Wunschsofa sitzt und wie Möbel in natura wirken". Und Mymuesli wirbt für seine Läden schlicht mit den Worten: "Zum Anfassen, Anschauen, Probieren."

Für Kai Hudetz, Geschäftsführer des Instituts für Handelsforschung (IFH), haben viele Online-Händler erkannt, dass Kunden es schätzen, wenn sie die im Netz angebotene Ware auch persönlich begutachten und anprobieren können. Zudem besäßen Multichannel-Verkäufer bei vielen Verbrauchern ein größeres Vertrauen als Unternehmen, die nur online verkaufen. "Wer ausschließlich auf einen Vertriebsweg setzt, gilt oft als anonym und schlecht greifbar für den Kunden", beobachtet Hudetz. Zudem hat mancher Internetverkäufer erkannt, dass er seine Marke mit Ladengeschäften besser erlebbar machen kann und dass sich im direkten Kontakt mit Kunden manches erfahren lässt, was im Wettbewerb hilfreich ist.

Zum Beispiel wenn es um Retouren geht. Für Pure Player bedeuten Rücksendungen vor allem eins: Kosten. Kommen Kunden jedoch in einen Laden, um im Internet bestellte Ware zurückzugeben, besteht die Chance, ihnen stattdessen etwas anderes zu verkaufen. Solche Überlegungen sind wichtig, denn auch im Online-Handel nimmt der Gegenwind stark zu. Die Zeiten des ungebremsten Wachstums sind vorbei. Vor allem in den Vorreiterbranchen wie Bücher, Medien, Mode und Elektronikartikel schwächen sich die Zuwachsraten ab. Große Dynamik herrscht allenfalls bei Nachzügler-Warengruppen wie Möbel oder Baumarktartikel.

Welche Ansprüche haben die einst lupenreinen Internet-Verkäufer an ihre Shops?

Schwieriger wird das Geschäft der Internetverkäufer auch deshalb, weil die Konzentration zunimmt: Es sind vor allem die großen Shops (insbesondere Marktführer Amazon), die am Branchenwachstum teilhaben - auf Kosten der Kleinen. Derzeit erwirtschaften die Top Ten der deutschen Online-Händler gut ein Viertel des gesamten Handelsumsatzes im Netz. Vor fünf Jahren war es erst ein Fünftel gewesen. Forscher Hudetz prognostiziert gar, dass 90 Prozent der Internetverkäufer nicht überleben werden. Somit wächst der Druck auf Verkäufer, die einmal als reine Onlineanbieter gestartet waren, sich auch mit stationären Konzepten zu beschäftigen - mit dem Ziel, ihr Profil zu schärfen und sich für Kunden erlebbar zu machen. Selbst Marktführer Amazon spürt offensichtlich diesen Druck. Sonst würde der Online-Händler nicht darüber nachdenken, in den nächsten Jahren bis zu 400 Läden zu eröffnen.

1352 Euro

Die Verbraucher in Deutschland kaufen immer mehr im Internet ein. Brachte der Online-Handel im vergangenen Jahr noch einen Umsatz von 53 Milliarden Euro, sollen es dieses Jahr schon 62 Milliarden Euro werden. Das geht aus einer Umfrage im Auftrag des Gutscheinmarktplatzes Retailmenot hervor. Im Durchschnitt wird demnach jeder Onlineshopper dieses Jahr 1352 Euro ausgeben, etwa zwölf Prozent mehr als 2015. Auch die Anzahl der Käufe wird der Befragung zufolge steigen. AFP

Welche Ansprüche haben die einst lupenreinen Internet-Verkäufer an ihre Shops? Reicht ihnen ein kleiner Showroom, um Flagge zu zeigen? Oder muss es ein großzügig geschnittenes Ladengeschäft sein, in dem Kunden einen Großteil des Sortiments live erleben können? Die Antwort ist sehr stark abhängig vom Sortiment. Aber die Anforderungen an die Lage sind bei allen, die einen stationären Anker suchen, ähnlich: Gefragt sind stark frequentierte Top-Lagen, möglichst in den Metropolen. Das wird den Wettbewerb in den ohnehin begehrten und entsprechend teuren 1a-Lagen in den nächsten Jahren weiter anheizen. Nach Zahlen der Handelsimmobilienspezialisten von Jones Lang Lasalle entfielen bereits 2015 etwa 40 Prozent der neu vermieteten Flächen in Deutschland auf die üblichen "Big-10-Standorte", allen voran Berlin. Entsprechend haben hier die Spitzenmieten zuletzt noch einmal angezogen. Treiber dieser Entwicklung sind vor allem finanzstarke, global agierende Einzelhändler. Sie spielen ihre Vertriebskraft zwar zunehmend auch im Netz aus. Aber sie verdichten zugleich auch ihr Ladennetz weiter. Eine spannende Frage wird sein, ob die meisten Online-Händler die Finanzkraft besitzen, um mitzubieten um die besten Standorte. Oder ob sie wohl oder übel auch einmal eine 1b-Lage akzeptieren.

Physische Präsenz ist teuer. Nicht nur wegen Miete und Personalkosen. Auch der Ladenbau ist aufwendig und verursacht hohe Kosten. Denn in den Geschäften wird immer mehr Technik eingesetzt. Die Läden werden vernetzt, damit Kunden mit dem Smartphone einchecken und Informationen abrufen können. Mitarbeiter nutzen Tablets zur Verkaufsunterstützung. Preisschilder und Kassenterminals werden digital.

Am Ende könnten sich diese Investitionen jedoch lohnen, denn die Kunden wechseln die Verkaufskanäle immer häufiger situativ, zumal sie das Internet mit dem Smartphone immer dabei haben. Wer nur auf die Karte Internet-Verkauf setzt, könnte schon bald abgehängt werden von Multichannel-Anbietern.

Immobilienentwickler können sich freuen. Mit den Online-Händlern erwachsen ihnen neue Nachfrager. Eine Rettung für die vielen Tausend Flächen, die laut Prognose des Handelsverbandes HDE in den nächsten Jahren durch Geschäftsaufgaben stationärer Händler frei werden, sind sie freilich in den seltensten Fällen. Denn die Läden, die dicht machen, befinden sich meist dort, wo es Internet-Verkäufer nicht hinzieht: in wenig besuchte Nebenlagen klein- und mittelgroßer Städte.

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