Einzelhandel:Eine ganze Stadt als Einkaufszentrum

Bad Münstereifel

Klare Ansage in Bad Münstereifel: Hier gibt's was zu kaufen. Investoren haben zahlreiche Immobilien in der Altstadt in ein Shopping-Paradies verwandelt.

(Foto: Oliver Berg/dpa)

Die Innenstadt von Bad Münstereifel verwandelt sich in ein Outlet-Center.

Von Stefan Weber

Seit ein paar Wochen wird wieder kräftig gemauert, gezimmert und gepinselt in der Fußgängerzone von Bad Münstereifel. Handwerker haben alle Hände voll zu tun, gleich zehn Immobilien im Herzen des malerisch gelegenen Eifelörtchens zu sanieren. Es muss Platz her für neue Ladenflächen. Gerade erst hat der Damenmodeschneider Betty Barclay einen Shop in der Marktstraße eröffnet - dort, wo seit September auch die Jeansmarke Levi's mit einem eigenen Laden vertreten ist. Und im nächsten Jahr soll ein gutes Dutzend weiterer Marken, bevorzugt aus dem Young-Fashion-Bereich, im Kneipp-Heilbad Flagge zeigen. Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass in Bad Münstereifel jeder dritte Laden leer stand und die Fassaden verfielen.

Seit gut 15 Monaten ist die Stadt Schauplatz eines bundesweit beachteten immobilienwirtschaftlichen Experiments. Im August vergangenen Jahres eröffnete das City Outlet Bad Münstereifel, einer dieser Tempel der Einkaufswelt, die bevorzugt Designermode, Sportartikel und andere Lifestyle-Ware verkaufen. Und das mindestens 30 Prozent billiger als üblich - so zumindest das Versprechen. In der Regel bauen Outlet-Architekten künstliche Dörfer auf die grüne Wiese. Mit Häusern, die verziert sind mit Zinnen und Türen und die jeweils einen bekannten Markenhersteller beherbergen. Anders in Bad Münstereifel: Hier empfanden die Planer keine Idylle künstlich nach. Hier vermarktet sich seit August 2014 eine ganze Stadt als Einkaufszentrum. Das hat es noch nie gegeben. Drei ortsansässige Investoren hatten in der Altstadt zahlreiche Immobilien gekauft und diese gemeinsam mit einem Spezialisten für den Betrieb von Fabrikverkaufszentren, der österreichischen Firma Retail Outlet Shopping, hergerichtet. Gegen viele Widerstände und gegen düstere Prognosen, wonach ein solches Konzept niemals funktionieren werde. Zwar gleicht das City Outlet einem Flickenteppich, weil dem Investoren-Trio längst nicht alle Häuser in der Stadt gehören. Aber immerhin summiert sich die Verkaufsfläche der 30 über die Altstadt verteilten City-Outlet-Läden auf 12 000 Quadratmeter - was in den ersten zwölf Monaten nach der Eröffnung eine Million Kunden in die Eifelstadt zog. Auch wenn nicht alle Händler und Gastronomen mit dem Geschäft zufrieden sind, so lässt sich doch zumindest eins sagen: Es herrscht Aufbruchstimmung in Bad Münstereifel. Oder, wie Vizebürgermeister Ludger Müller sagt: "Unser Städtchen macht jetzt wieder Spaß."

In zahlreichen Städten gibt es derzeit Planungen für Fabrikverkaufszentren

Solchen Spaß wünschen sich auch die Oberen anderer Städte in der Provinz, die bei Immobilieninvestoren allenfalls als C-Standorte gelten. Und die mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben, wie sie der Kurort im Dreieck von Aachen, Köln und Bonn noch vor Kurzem hatte: Ladenstraßen veröden, weil niemand investiert, Geschäfte machen reihenweise dicht, der Leerstand steigt. So haben sich in den vergangenen Monaten Bürgermeister und Gemeinderäte aus ganz Deutschland nach Bad Münstereifel aufgemacht. Alle wollten sehen, wie es der Ort anstellt, Outlet zu werden - und ob dieses Konzept nicht übertragbar ist auf ihre Kommune.

Vielerorts stehen die Nachahmer bereits in den Startlöchern. In Mittelfranken beispielsweise beobachtet Joachim Will, der mit seiner Wiesbadener Firma Ecostra zu den führenden Experten für Fabrikverkaufszentren in Europa gilt, ein regelrechtes Wettrennen zwischen den Gemeinden Dinkelsbühl, Feuchtwangen und Öttingen um die Realisierung eine City-Outlet-Centers. Auch in den hessischen Gemeinden Usingen und Oberursel, so beobachtet er, werde über ein solches Innenstadtprojekt nachgedacht.

Ob diese Vorhaben verwirklicht werden, ist fraglich. "City Outlets sind eine Nische innerhalb der Nische Fabrikverkaufszentren", sagt Will. Große, international erfahrene FOC-Betreiber würden solche Konzepte "bislang noch nicht einmal mit spitzen Fingern anfassen." Denn solche Ensembles seien nur begrenzt kapitalmarktfähig. Und Hypothekenbanken, so weiß der Handelsexperte, finanzierten City Outlets nicht. In Bad Münstereifel lagen die Dinge anders. Da investierte nicht ein internationaler Investor mit Engagements in mehreren Ländern, sondern eine Gruppe von Privatpersonen mit viel Eigenkapital, die sich dem Ort verbunden fühlen - aber natürlich auch Geld verdienen wollen. Eher unwahrscheinlich, dass es anderswo eine ähnliche Konstellation gibt.

Hinzu kommt: Kleine Orte abseits der Verkehrsadern besitzen nur ein begrenztes Kaufkraftpotenzial. Da prüfen renommierte Marken sehr kritisch, ob es sich lohnt, Flächen anzumieten. Andererseits sind jedoch gerade diese weithin bekannten Labels nötig, um Kunden in ein Center zu ziehen. Ohnehin ist Vorsicht geboten mit der Eröffnung weiterer Fabrikverkaufszentren - auch vor den Toren von Städten. Es droht eine Überversorgung. In Deutschland gibt es - gemessen an der Definition der Branche - aktuell zwölf solcher Outlets mit einer Verkaufsfläche von mindestens 5000 Quadratmetern, die von einem zentralen Management gesteuert werden. In diesem Jahr hat es nur eine Neueröffnung gegeben, das Fashion Outlet im rheinland-pfälzischen Montabaur, direkt an der Autobahn A3 und in unmittelbarer Nähe zum ICE-Bahnhof. Hinzu kommen etliche Center im grenznahen Ausland, die vor allem Kunden aus Deutschland umwerben. In zahlreichen Städten gibt es derzeit Planungen für weitere Factory Outlet Center. Besonders konkret sind die Überlegungen nach einer Analyse des Kölner Handelsforschungsinstituts EHI in Leipzig (etwa 10 000 Quadratmeter Verkaufsfläche, geplante Eröffnung: März 2016) sowie den beiden nordrhein-westfälischen Städten Remscheid (20 000 Quadratmeter, 2017) und Werl (13 800 Quadratmeter, ab 2017). Dabei muss sich der Standort Remscheid im Bergischen Land möglicherweise gegen einen Mitbewerber wehren, der nur eine 40-minütige Autofahrt entfernt ist: Wuppertal. Denn auch dort gibt es Ideen für ein FOC. Geplanter Eröffnungstermin: ebenfalls 2017.

Experte Will sieht dennoch "deutliche Ausbaupotenziale" für Fabrikverkaufszentren. Denn als größter und kaufkräftigster Einzelhandelsmarkt in Europa weise Deutschland nur 2,1 Quadratmeter Verkaufsfläche je 1000 Einwohner auf. Zum Vergleich: In Großbritannien sind es 8,6 Quadratmeter je 1000 Einwohner, in der Schweiz gar 10,1 Quadratmeter. In beiden Ländern, so heißt es in einer Analyse von Ecostra, wird es jedoch bald zu "rückläufigen Bestandszahlen" kommen. Mit anderen Worten: Einige Center werden aus wirtschaftlichen Gründen dichtmachen.

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