Einigung beim Krisengipfel:Die Blender von Brüssel

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Griechenland darf nicht pleitegehen - das wollten die Euro-Länder mit dem neuen Rettungspaket vermeiden. Doch die erste Ratingagentur sagt: Der Zahlungsausfall kommt. Dabei kommen die Banken bei den Beschlüssen besser weg, als Merkel und Sarkozy beteuern. Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Brüsseler Einigung und ihren Folgen.

Johannes Aumüller, Lutz Knappmann und Hans von der Hagen

Die Euro-Länder haben sich auf ein neues Rettungspaket für Griechenland geeinigt. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy freut sich über das Entstehen eines "Europäischen Währungsfonds". (Foto: AFP)

Was hat der Sondergipfel konkret beschlossen?

Im Wesentlichen ein neues Hilfspaket für Griechenland. Dem klammen Staat wird ein Teil seiner insgesamt 350 Milliarden Euro Schulden erlassen. Die Euro-Länder und der Internationale Währungsfonds (IWF) tragen mit insgesamt 109 Milliarden Euro die Hauptlast, dazu kommen - angeblich - 50 Milliarden Euro von privaten Gläubigern. Darüber hinaus beschlossen die Staats- und Regierungschefs, die Aufgaben des Euro-Rettungsfonds EFSF zu erweitern, um ein Überschwappen der Krise auf andere Euro-Länder zu verhindern.

Hat Griechenland nun den formellen Zahlungsausfall - den berüchtigten "Default"?

Vor Veröffentlichung der Details des Rettungsplans ist unklar, ob am Ende hier eine einheitliche Bewertung geben wird. Die Beteiligung der Banken ist bislang als "freiwillig" deklariert worden. Ob sie tatsächlich freiwillig bleibt, ist offen. "Die praktische Umsetzung der Gläubigerbeteiligung könnte noch gewisse Unsicherheiten an den Märkten hervorrufen", warnte Bankenverbandschef Michael Kemmer. Es seien noch einige wichtige Variablen der Beschlüsse vom Euro-Gipfel zu klären. Die Ratingagentur Fitch preschte zwar vor und kündigte an die Anleihen Griechenlands mit der Bewertung "eingeschränkter Zahlungsausfall" zu versehen. Der Derivateverband ISDA sieht hingegen keinen Anlass für ein "Kreditereignis", also einen formellen Zahlungsausfall. Diese Einschätzung ist von großer Bedeutung, da ein Übergreifen der Krise auf den Markt für Kreditderivate wie Credit Default Swaps (CDS) verhindert wird. Eine verheerende Kettenreaktion wie nach der Lehman-Pleite, die seinerzeit auch durch die CDS ausgelöst worden war, scheint damit unwahrscheinlich zu sein.

Hat Griechenland mehr Zeit für die Rückzahlung von Schulden?

Ja. Die Laufzeit der Kredite des EFSF soll mindestens auf 15 Jahre verdoppelt werden - sie kann aber wohl auf bis zu 30 Jahre steigen. Verlängert werden auch die Laufzeiten der Griechenland-Hilfen, die direkt über die Nationalstaaten abgewickelt werden - in Deutschland etwa über die staatliche Förderbank KfW.

Wie hoch ist die Beteiligung der Privaten tatsächlich?

Sie ist wohl weitaus geringer, als es die Äußerung von Josef Ackermann ahnen lässt. "Das trifft uns hart", hatte der Deutsche-Bank-Chef die Beschlüsse des EU-Gipfels kommentiert. Doch diese Einschätzung teilen Juristen nicht: "Dieses Paket als Bankenbeteiligung zu verkaufen, ist schwer zu akzeptieren", kritisiert Udo Reifner, Professor für Wirtschaftsrecht an der Uni Hamburg und wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Finanzdienstleistungen. "Viel ehrlicher müsste man sagen: Das ist ein Bankenrettungspaket."

Das bislang vorgelegte Einigungspapier beziffert die Beteiligung des Privatsektors auf insgesamt 50 Milliarden Euro bis 2014. Darin enthalten sind 37 Milliarden Euro, die Banken und anderen privaten Gläubigern angeblich entgehen, wenn die Laufzeiten der Altschulden verlängert und die Zinssätze gesenkt werden. Hinzu kommen demnach knapp 13 Milliarden Euro, die Investoren verlieren, weil sie bei einem vorzeitigen Rückkauf einen Abschlag gegenüber dem Nennwert der Anleihen hinnehmen müssten.

Doch diese Zahlen sind reine Theorie. Details, wie die Bankenbeteiligung ausgestaltet werden soll, sind bislang noch offen. Ebenso unklar ist, wie die Garantien aussehen werden, mit denen der Rettungsfonds EFSF den Umtausch von Anleihen absichern will - und zu welchem Wert Griechenland tatsächlich eigene Staatsanleihen zurückkauft.

Hinter den Kulissen des EU-Gipfels
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Europa hat zäh verhandelt - die Beschlüsse des Sondergipfels in Brüssel feierten vor allem Kanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Sarkozy. Aber wie kamen die Mächtigen Europas zu ihrer Einigung? Ein Blick hinter die Kulissen des Gipfels.

Zudem klammern die Berechnungen die Wirkung des Rettungspakets aus. 50 Milliarden Euro dürften allenfalls die Maximalbelastung sein, die auf die Banken zukäme, sollte sich an den ökonomischen Rahmenbedingungen nichts ändern. Doch das Rettungspaket führt bereits jetzt zu einer Entspannung an den Märkten - und damit auch zu sinkenden Risiken für die Gläubiger.

Welche politische Dimension hat diese Entscheidung?

Nicolas Sarkozy feiert die Beschlüsse als "Einstieg in einen Europäischen Währungsfonds" - und hat damit durchaus recht. Europa ist auf dem Weg in eine Transferunion. Die Brüsseler Beschlüsse (PDF-Datei) betreffen den EFSF gleich dreifach: Erstens vergibt er Kredite künftig für einen Zinssatz von 3,5 Prozent, zweitens soll er nach Vorbild des IWF vorbeugend tätig werden können und drittens darf er künftig Anleihen von Euro-Krisenländern direkt vom Markt aufkaufen. "Man kann so einen Vergleich ziehen", musste am Donnerstagabend selbst Selbst Angela Merkel, die eine solche Idee immer bekämpft hatte, zugeben. Am Freitag erklärte sie: "Eine Transferunion, so wie ich sie verstehe, wäre ein automatischer Finanzausgleich. Und die darf es nach meiner Überzeugung nicht geben."

Wer hat sich durchgesetzt?

"Nach einem Europäischen Gipfeltreffen gibt es überall nur Gewinner", hat Luxemburgs Premierminister Jean-Claude Juncker einmal gespottet. Entsprechend lässt es sich auch nach diesem Treffen in Brüssel durchdeklinieren: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat zumindest formal die Beteiligung privater Gläubiger durchgesetzt, Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy eine Entwicklung hin zu der von ihm gewünschten Transferunion, Griechenlands Premier Giorgos Papandreou eine neue Perspektive, EZB-Chef Jean-Claude Trichet keine Angst mehr, Anleihen eines auf Zahlungsausfall gestuften Landes zu kaufen - und die Banken beteiligen sich zwar etwas, kommen aber trotzdem gut weg.

Was kostet dieser Beschluss den deutschen Steuerzahler?

Eine Frage, auf die es keine eindeutige Antwort gibt. Die Summen für Garantien und Kredite sind ohnehin immens. Im Rahmen des Euro-Rettungsschirmes muss Deutschland für 211 Milliarden Euro bürgen. Am ersten Griechenland-Hilfspaket im vergangenen Jahr betrug der deutsche Anteil rund 22 Milliarden Euro - in Form von Krediten. Eine ähnliche Summe dürfte die Folge des jüngsten Beschlusses sein, die genaue Aufteilung ist noch unklar. Der Bund der Steuerzahler hat das zweite Rettungspaket für Griechenland dennoch schon scharf kritisiert.

Verloren oder verschenkt ist allerdings noch kein einziger Euro. Im Gegenteil können Befürworter sogar darauf verweisen, dass die Griechenland-Kredite dem Bundeshaushalt bisher zugutekommen, weil sie Zinsen bringen - bislang rund 200 Millionen Euro. Allerdings sind die Kredite und Garantien (zumindest in Teilen) gefährdet, wenn sich die Situation doch noch einmal verschärft oder wenn eine Herabstufung Griechenlands auf Zahlungsausfall nicht so glimpflich verläuft wie von der Politik gehofft.

Welche Hürden gibt es noch für das neue Rettungspaket?

Mehr als derzeit scheint. Dass der EFSF zusätzlich Aufgaben übernehmen soll, können die Staats- und Regierungschefs nicht im Alleingang beschließen; in manchen Mitgliedsländern muss das Parlament derartige Entscheidungen bestätigen. Vor allem zwei Länder könnten hier eine interessante Rolle spielen. Erstens: Deutschland. Der FDP-Politiker Frank Schäffler monierte, Teile der Gipfeleinigung würden gegen einen Beschluss des Bundestages verstoßen. "Damals haben die Fraktionen von Union und FDP mehrheitlich entschieden, dass gemeinsam finanzierte oder garantierte Schuldenaufkaufprogramme ausgeschlossen werden", sagte er. Schäffler hat in finanz- und europapolitischen Fragen allerdings öfter eine Einzelmeinung innerhalb der Koalitionsfraktionen. Das zweite Land ist Finnland. Schon beim ersten Rettungspaket für Griechenland gab es heftige Diskussionen, als es um die Portugal-Hilfe ging, reüssierte bei den zeitgleich stattfindenden Parlamentswahlen die Partei "Wahre Finnen" mit ihrer strikten Anti-Rettungsfonds-Haltung.

Ist die Euro-Krise damit gelöst?

Dies sei jetzt aber mal das letzte Paket, sagte Juncker in Brüssel, man könne nicht als zwei Wochen Teillösungen nachreichen. Nun: Innerhalb der nächsten Wochen dürfte es in der Tat nicht zu einem weiteren Rettungs-, Krisen- oder vergleichbar gelabelten Gipfel kommen. Die Euro-Krise allerdings als ausgestanden zu betrachten, wäre auch eine falsche Wahrnehmung. Griechenland mag zwar auf absehbare Zeit keine Finanzierungssorgen mehr haben. Doch erstens muss es diese Verschnaufpause nun auch nutzen, um die strukturellen Probleme anzugehen. Und zweitens sind ja auch viele andere Länder massiv überschuldet, Portugal und Irland, Italien und Spanien - und, ja, auch Deutschland. Und wenn sich in all diesen Ländern niemand um die Eindämmung der Haushaltskrisen kümmert, ist es nur eine Frage der Zeit, bis es zum nächsten Krisentreffen kommt.

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