Einbruch der Finanzmärkte:Börsen in Aufruhr

Nikkei Stock average plunged 6.3 percent

Tokio: Ein Geschäftsmann nimmt konsterniert die jüngsten Entwicklungen an den Börsen zur Kenntnis. Der Nikkei-Index ist um 6,3 Prozent gefallen

(Foto: dpa)

Verunsicherung macht sich weltweit an den Finanzmärkten breit. An den Erfolg der "Abenomics" glaubt niemand mehr. Die US-Notenbank Fed könnte der Wirtschaft ihre Geldversorgung abklemmen. Und der Dax wird von all dem nach unten gezogen. Es gibt viele Gründe, nervös zu sein.

Von Harald Freiberger, Christoph Neidhart, Nikolaus Piper und Markus Zydra

Die Finanzmärkte sind in Aufruhr. Tokios Börse stürzte am Donnerstag um 6,4 Prozent ab. Hinzu kam, dass die Weltbank ihre Prognose für das weltweite Wachstum senkte. Das sandte Schockwellen rund um die Welt. Die Ursachen und die Folgen - ein Blick auf die vier Epizentren des Börsenbebens.

Japan

Binnen drei Wochen hat die Tokioter Börse 21 Prozent verloren. Obwohl Notenbankchef Haruhiko Kuroda von natürlichen Korrekturen spricht, hat der Markt den Glauben an "Abenomics" verloren. Das Programm, mit dem Premier Shinzo Abe die seit zwei Jahrzehnten stagnierende Wirtschaft sanieren will, setzt sich einer aggressiven Lockerung der Geldpolitik, Konjunkturprogrammen und Strukturreformen zusammen. Letztere gelten als zu lau und zu wenig. Außerdem gibt es Anzeichen dafür, dass die Notenbank die wilden Renditen-Ausschläge auf dem Anleihenmarkt nicht unter Kontrolle bringt. Japan ist mit 240 Prozent der Wirtschaftsleistung verschuldet. Noch mehr Schulden kann Tokio sich eigentlich nicht leisten.

Handelsminister Akira Amari hat die Börsenkurse über Monate starkgeredet. Wie Kuroda glaubt er, dringlichste Aufgabe von Abenomics sei es, die Deflation zu überwinden. Steigen die Preise, kauften die Leute wieder mehr und die Industrie investiere. Das hat sich nicht bestätigt: Firmen investieren nicht, Verbraucher geben nicht mehr Geld aus. Die meisten haben auch gar nicht mehr.

Das Börsen-Rally der letzten Monate stützte sich auf die Erwartung, Abe werde es gelingen, die Wirtschaft rasch anzuschieben. Besonders ausländische Anleger haben sich von Abe blenden lassen. Aus den USA floss viel Geld in japanische Aktien. Die Lage der Unternehmen rechtfertigten die Kursgewinne nicht. Seit klar wird, dass Abe es nicht schafft, nötige Reformen durchzupeitschen, nehmen viele Investoren ihre Gewinne mit.

In den USA herrscht Angst vor dem Beginn des "Tapering"

Ein neues Wort macht die Runde auf den Finanzmärkten: "Tapering". Das Verb "to taper" heißt so viel wie "etwas auslaufen lassen" und genau darum geht es: Um die Furcht, dass die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) mit dem "Tapering" beginnen und ihr gigantisches Programm zur Geldvermehrung ("Quantitative Easing") auslaufen lassen könnte. Bisher kauft die Fed jeden Monat für 85 Milliarden Dollar Wertpapiere und schöpft dadurch neues Geld. Niemand weiß genau, was passiert, wenn die Fed das Programm zurückfährt. Dies ist die eigentliche Ursache der jüngsten Turbulenzen an den Weltbörsen.

Die Wende kam am 22. Mai. An diesem Tag legte der Chef der Fed, Ben Bernanke, dem Kongress seinen Halbjahresbericht vor. Für sich genommen war dieser Bericht unspektakulär. Die Fed werde nicht voreilig handeln, aber dann weniger frisches Geld schaffen, wenn der Arbeitsmarkt "nachhaltige Besserung" zeige. Im Kontext der unsicheren Weltkonjunktur reichte diese Andeutung der Andeutung einer Änderung aus, um die Märkte nachhaltig zu verunsichern. Die Fragen dahinter: Ist der Aufschwung in den USA schon so stark, dass er höhere Zinsen aushält? Und was würde ein Kurswechsel der Fed für die labile Weltwirtschaft bedeuten? Der Dow-Jones-Index erreichte an jenem 22. Mai seinen bisherigen Höchststand von 15 542 Punkten. Seither geht der Trend nach unten - mit extremen Ausschlägen in beide Richtungen. Am Mittwoch unterschritt er die wichtige Marke von 15 000 Punkten. Am Donnerstag stabilisierte sich die Lage etwas, der Dow startete unverändert.

Die eigentliche Wende hatte zuvor auf den Märkten für Anleihen stattgefunden. Als die ersten Spekulationen über "Tapering" einsetzten, begannen Anleger damit, ihr Geld aus US-Staatsanleihen ("Treasurys") abzuziehen. Die Kurse sanken, die Zinsen stiegen spiegelbildlich von 1,61 Prozent Anfang Mai auf bis zu 2,27 Prozent.

Genaueres werden die Spekulanten vermutlich am Mittwoch nächster Woche wissen. Dann stellt sich Bernanke nach einer Fed-Sitzung den Fragen von Journalisten. Er wird dann andeuten, so die Spekulationen, dass der tatsächliche Kurswechsel in der Geldpolitik im September kommen könnte. Sicher ist das nicht.

Europa steckt tief in der Rezession

Europas Börse werden derzeit von den Vorgängen in Japan und die USA mit nach unten gezogen. Der Deutsche Aktienindex (Dax) fiel im Tagesverlauf nter die psychologisch wichtige Marke von 8000 Punkten auf 7968, was für Unruhe sorgte. Schließlich war der deutsche Leitindex am 22. Mai auf ein neues Allzeithoch von 8530 Zählern geklettert, doch seitdem ist die Luft raus. Mancher Experte befürchtet eine Verzögerung der wirtschaftlichen Erholung in Europa, die Euro-Zone steckt tief in der Rezession. Andere Börsianer erwarten, dass die US-Notenbank künftig weniger Geld ins Finanzsystem pumpt und damit die Nachfrage nach Aktien fällt. "Ich halte das Argument für überzogen, denn die japanische Notenbank pumpt mittlerweile so viele Milliarden ins System, dass eine Reduktion durch die Fed die globale Liquiditätsmenge kaum beeinflusst", sagt Folker Hellmeyer, Chefanalyst der Bremer Landesbank. "Außerdem würde die Fed nur dann weniger Liquidität geben, wenn sich die US-Wirtschaft erholt, und das wäre ja auch ein gutes Zeichen für die Aktienmärkte."

Die jüngste globale Aktienrally speist sich durch billiges Notenbankgeld, denn die Rekord-niedrigen Leitzinsen in den USA, Europa und Japan drücken den Ertrag bei Anleihen. Investoren greifen daher zu Aktien. "Wir erleben eine Kurskorrektur, mittelfristig wird es wieder aufwärts gehen mit Aktien, die Unternehmen im Dax sind nicht überbewertet", sagt Hellmeyer. Insgesamt waren die Verluste an den europäischen Aktienmärkten dann auch überschaubar. Der Dax kletterte bis zum Nachmittag wieder auf 8060 Punkte.

Eine Zunahme der Spannungen lässt sich auch an den Anleihemärkten der Euro-Zone ablesen. Anfang Mai konnte sich Italien auf zehn Jahre noch zu 3,8 Prozent verschulden, am Mittwoch lag der Zins bei 4,3 Prozent. Auch Spaniens Regierung muss deutlich höhere Zinsen für Staatsanleihen bieten. Am Donnerstag waren es 4,6 Prozent statt 4,0 Prozent Anfang Mai. Der Euro kostete 1,33 US-Dollar, das war der höchste Stand seit Februar, noch Mitte Mai notierte Europas Gemeinschaftswährung bei 1,28 Dollar.

Schwellenländer wachsen schneller als Industriestaaten

Nicht nur die Politik der Notenbanken bringt die Börsen unter Druck, auch von der Konjunktur gibt es schlechte Nachrichten. Die Weltbank senkte ihre Prognose für das weltweite Wachstum 2013 von bisher 2,4 auf 2,2 Prozent. Hauptgründe dafür sind zum einen die anhaltende Europa-Krise, zum anderen die Schwäche der bisherigen Wachstumslokomotiven China, Brasilien, Indien und Russland. Die Schwellenländer sollen nur noch um 5,1 Prozent wachsen, bisher ging die Weltbank von 5,5 Prozent aus. Auch der Boom bei Staatsanleihen von Schwellenländern ist vorbei, internationale Investoren verkauften in den vergangenen Wochen massenhaft, die Zinsen stiegen gewaltig. "Wir halten Anleihen von Schwellenländern trotzdem weiter für attraktiv", sagt Michael Discher-Remmlinger, Anleihenexperte bei der Fondsgesellschaft Deka. Das Wachstum der Schwellenländer werde zwar geringer ausfallen, liege aber immer noch deutlich über dem von Industriestaaten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: