Drohender Staatsbankrott der USA:Flirt mit dem finanziellen Freitod

Zwei Wochen trennen die USA vom Staatsbankrott - doch an der Wall Street scheint es keinen zu interessieren. Die Märkte reagieren erstaunlich gelassen, selbst die Warnungen der Ratingagenturen konnten sie nicht aufschrecken. Die USA gelten als vertrauenswürdigste Schuldner der Welt, viele Investoren flüchten sich deshalb in Staatsanleihen. Aber diese Sicherheit ist trügerisch.

Moritz Koch, Washington

Präsident Barack Obama spricht vom Jüngsten Gericht, Notenbankchef Ben Bernanke von einer Selbstverstümmelung. Nur noch zwei Wochen trennen die USA vom Staatsbankrott - und in Washington wird weiter gestritten. Unversöhnlich stehen sich Republikaner und Demokraten im Kongress gegenüber, während sich der Kreditrahmen der Regierung seinem Ende zuneigt.

US President Barack Obama continues debt ceiling and budget negot

US-Präsident Barack Obama am 15. Juli bei einer Pressekonferenz zum drohenden Staatsbankrott der USA im Weißen Haus.

(Foto: dpa)

"Amerikanisches Roulette: Ein Land flirtet mit dem Freitod", titelt die Financial Times - und keinen an der Wall Street interessiert's. Selten waren Kredite für die Regierung so billig wie heute. Die Zinsen, die Investoren für amerikanische Staatsanleihen bekommen, liegen bei nur knapp drei Prozent. Entweder die Märkte haben Nerven aus Stahl, oder sie sind blind für die aufkommende Gefahr.

Selbst die Ratingagenturen konnten die Märkte bisher nicht aufschrecken. Moody's und Standard & Poor's warnten vergangene Woche, dass die USA drauf und dran seien, die Spitzennote für ihre Kreditwürdigkeit zu verspielen. Analysten reiben sich daher die Augen. Angesichts der Wahrscheinlichkeit einer Herabstufung sei es verwunderlich, dass die Märkte noch nicht reagiert hätten, sagt Matt King, Kreditstratege der Citigroup.

Eine Erklärung ist der gute Ruf Amerikas an den Finanzmärkten. Die USA gelten als vertrauenswürdigster Schuldner der Welt. Ihre Anleihen stehen für ultimative Sicherheit. Gerade jetzt, da die Euro-Krise droht zu eskalieren, flüchten sich viele Investoren in die sogenannten Treasuries. Das Risiko eines Zahlungsausfalls halten sie für gering. Am Ende würden sich die Politiker in Washington schon zusammenreißen. Zur Beruhigung heißt es immer wieder: Seit der Staatsgründung und den Tagen Alexander Hamiltons, des ersten US-Finanzministers, seien die USA ihren Zahlungspflichten immer nachgekommen.

Das Problem an dieser Behauptung ist, dass sie nicht ganz stimmt: Der jüngste Präzedenzfall stammt aus dem Mai 1979. Damals hinderte ein Verwaltungschaos das Finanzministerium daran, die Zinsen rechtzeitig zu zahlen. Nun kann man einwenden: Na und? Die Nation hat überlebt, die Märkte haben es vergessen. Doch der Preis der Säumigkeit war hoch. Die Zinsen stiegen, um 0,6 Prozentpunkt verteuerten sich die Kredite für den Staat.

Heute, so schätzt die Großbank JP Morgan, würde bereits ein Zinsanstieg um 0,5 Prozentpunkte die Regierung jährlich 75 Milliarden Dollar kosten - und das Wirtschaftswachstum um 0,4 Prozent verringern. Denn die steigende Zinslast bliebe nicht auf den Staat begrenzt. Auch Hypotheken, Kreditkartenschulden und Studentendarlehen würden teurer, die Amerikaner wären zum Konsumverzicht gezwungen. Das könnte reichen, um das Land in eine neue Rezession zu stürzen.

Panikmache?

Konservative Republikaner, vor allem jene, die der populistischen Tea Party angehören, tun solche Prognosen als Panikmache ab. Die Regierung könne ihre Schulden aus den laufenden Einnahmen bedienen, behauptet etwa die Präsidentschaftskandidatin Michele Bachmann.

Doch so gut wie alle Ökonomen halten dies für einen fatalen Irrglauben. Amerika leiht sich 40 Cent für jeden Dollar, den es ausgibt. Bleibt es zum Schuldenstichtag, dem 2. August 2011, bei der Blockade in Washington, müssten die Staatsausgaben schlagartig gekürzt werden. Rentenzahlungen, Gesundheitsleistungen, Soldatenlöhne - all das wäre in Frage gestellt. Und wäre es politisch wirklich möglich, ausländische Gläubiger besser zu behandeln als die eigenen Bürger? Kann es sich ein Finanzminister leisten, Zinszahlungen nach China zu überweisen, das enorme Mengen US-Anleihen hält, während Irakveteranen in den USA leer ausgehen?

Zudem haben die Ratingagenturen bereits deutlich gemacht, dass sie ohne einen Kompromiss in Washington auch dann den Daumen senken würden, wenn die USA ihre Zinsen weiter zahlten. Das Spitzenrating wäre Geschichte. Dutzende Finanzinstitutionen würden ebenfalls herabgestuft werden. "Eine Kaskade, welche die Pleite von Lehman Brothers harmlos aussehen ließe", wäre die Folge, sagt der Harvard-Ökonom und frühere Obama-Berater Larry Summers.

Und nicht nur Amerika wäre betroffen. Treasuries sind der Webfaden der globalen Finanzmärkte. Weltweit werden die US-Staatsanleihen als Sicherheit für Kreditgeschäfte genutzt. Was geschieht, wenn sich diese Sicherheit als Illusion entpuppt, ist kaum vorstellbar. Amerikas steht kurz davor, seinen Ruf dauerhaft zu beschädigen. Es ist überdies so tragisch wie komisch, dass die selbsternannten Defizitfalken der Tea Party die Krise der Staatsfinanzen noch verschlimmern. An der bestehenden Schuldensumme würde ein Stopp neuer Kredite nichts ändern. 14,3 Billionen Dollar beträgt sie. Je höher die Zinsen, desto erdrückender die Last.

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