Dritter Jahrestag der Lehman-Pleite:Blumen gegen den Zorn

Bankintern hießen sie nur "A&D" - Alte und Doofe. Als die US-Investmentbank Lehman Brothers vor drei Jahren pleite ging, waren auch 3700 Kunden von Deutschlands größter Sparkasse betroffen. Als Entschuldigung empfahl ein internes Papier eine Einladung zum Essen oder einen Blumenstrauß. Jetzt urteilt erstmals der Bundesgerichtshof über die Klage eines Opfers.

Kristina Läsker

Kann ein Tulpenstrauß zornige Anleger beruhigen? Kann ein Teller Spaghetti beim Italiener einen Rentner trösten, der seine Altersvorsorge verloren hat? Die Hamburger Sparkasse (Haspa) scheint das zu glauben. Vor genau drei Jahren, am 15. September 2008, ging die Investmentbank Lehman Brothers pleite. Betroffen waren auch 3700 Kunden von Deutschlands größter Sparkasse. Ihnen hatte die Haspa zuvor Lehman-Zertifikate verkauft - und nun war das Geld weg.

Drei Jahre nach Lehman Brothers kehrt die Angst zurück

Vor genau drei Jahren ging die Investmentbank Lehman Brothers pleite. Betroffen waren auch Kunden von Deutschlands größter Sparkasse - ihr Geld war plötzlich weg

(Foto: dpa)

Statt alle Kunden zu entschädigen, fand die Haspa etwa 1000 Anleger teilweise ab. Die Mehrheit bekam nur "kleine Gesten". Das geht aus internen Papieren hervor, die der Süddeutschen Zeitung und dem Radiosender NDR Info vorliegen. Darunter ist ein fünfseitiger Ratgeber zum Umgang mit wütenden Kunden. "Neben persönlicher Wertschätzung kommen ein teilweiser Verzicht auf Depotgebühren, eine Einladung zum Essen oder ein Blumenstrauß in Betracht", lautet der Rat für Haspa-Mitarbeiter.

Zwei Geschädigte, die weder Geld noch Blumen bekamen, sind Bernd und Brigitte Krupsky aus Hamburg. Frühzeitig hatten sie gegen die Haspa geklagt. Denn als konservative Anleger hätten sie die Finger von den Lehman-Zertifikaten gelassen, sagen die beiden ehemaligen Lehrer. Wenn sie gewusst hätten, dass bei einer Pleite der US-Bank ihr Erspartes futsch ist. Und wenn sie geahnt hätten, wie viel die Haspa als Provision an den Papieren verdiente.

In knapp zwei Wochen, am 27. September, wird der Bundesgerichtshof (BGH) über den Fall Krupsky entscheiden. Zum ersten Mal werden die obersten Richter über die Klage eines Lehman-Opfers urteilen - und festlegen, wie intensiv die Bank über Risiken und Marge hätte aufklären müssen. "Wir hoffen sehr, dass das BGH-Urteil Grundsatzcharakter haben wird", meint Gabriele Schmitz von der Verbraucherzentrale Hamburg. Die Juristin schätzt, dass es etwa 40.000 bis 50.000 Lehman-Opfer hierzulande gibt. Kunden der Haspa, der Targobank (früher Citibank), der Commerzbank und Kreditinstitute. Die meisten Anleger haben zwischen 10.000 und 50.000 Euro investiert und verloren. Geschätzter Schaden: 750 Millionen Euro.

Angestellte wussten nicht, was sie da verkauften

Als Krupskys sich im Herbst 2006 auf den Weg zur Sparkasse machten, ahnten sie nichts von dem Fiasko. Rot strahlte das Logo der Haspa durch die eher triste Große Bergstraße in Altona. Sie wollten ihr Geld neu anlegen. "Wir hatten an Bundesschatzbriefe gedacht", schildert Brigitte Krupsky. Die schmale 66-Jährige mit den roten Locken sitzt im Büro ihres Anwalts Ulrich Husack. Eigentlich hat sie kaum Kraft für den BGH-Prozess in Karlsruhe. Vor sieben Wochen ist ihr Mann an Krebs gestorben, es gibt so viel zu regeln. Doch in diese letzte Schlacht gegen die Haspa will sie ziehen. Weil sie meint, dass sich die Sparkasse aus der Verantwortung stiehlt. Anstatt kleinen Leuten finanziell zur Seite zu stehen. "Es geht irgendwie auch ums Prinzip."

Dann erzählt Krupsky, was ihr Mann und sie schon vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht erzählt haben: Wie die Beraterin von Bundesschatzbriefen abgeraten hatte. Wegen der niedrigen Zinsen. Weil sie etwas Flotteres hatte: ein Zertifikat von Lehman. Ob das riskant sei, hätten die Eheleute gefragt. Die Angestellte winkte ab. Es könnten "schlimmstenfalls die Zinsen verloren gehen". Das angelegte Kapital sei sicher. Dann war da noch dieser kleine Scherz: Nur wenn die Weltwirtschaft zusammenbricht, werde die Anleihe ausfallen, meinte die Beraterin. Nach einer Stunde stand der Deal. Die Krupskys steckten 10.000 Euro in ein Papier namens ProtectExpress. Einen Prospekt gab es nicht. Wozu auch. "Wir waren seit 25 Jahren Kunde, wir haben dieser Beraterin vertraut."

Opfer heißen bankintern "A&D": Alte und Doofe

Zwei Jahre später, als der Crash kommt, sind die 10.000 Euro weg. Am 15. September 2008 ist die drittgrößte Investmentbank der USA zahlungsunfähig - und diese Pleite wird zur Krise der Krupksys. Was sie nicht wussten: Mit ihrem Zertifikat hatten sie einer ausländischen Bank ein Darlehen gegeben. "Dass wir in irgendeiner Form das Insolvenzrisiko von Lehman Brothers trugen, wurde uns nicht gesagt", meint Krupsky.

Verbraucherschützerin Schmitz kann darüber nur den Kopf schütteln. Wie bei den Krupskys habe die Haspa tausendfach falsch beraten, sagt sie. "Unser Eindruck ist, dass viele Kunden komplett überrumpelt worden sind." Als Lehmann insolvent war, bildeten sich vor der Verbraucherzentrale am Hauptbahnhof unglaubliche Schlangen. "Der Andrang war riesig", sagt Schmitz. Vielen Anlegern musste sie erst erklären, welche Zeitbomben sie sich ins Depot geholt hatten. Bei der Haspa hatte das anscheinend niemand für nötig gehalten. Das verrät schon die Sprache: Bankintern heißen viele Opfer nur "A&D". Das steht für "Alte und Doofe".

Markige Worte, doch sie widersprechen internen Papieren

Doch warum hat die Haspa nicht besser aufgeklärt? Fakt ist, dass die Berater Ende 2006 unter großem Druck standen. Je höher der Jahresertrag ausfiel, desto besser war ihr Verdienst. Ranglisten der Top-Verkäufer sollten den Vertrieb anstacheln. Wer besonders erfolgreich war, durfte zur Belohnung verreisen, nach Malaga oder in die Türkei. Von solchem Druck erzählt eine interne E-Mails aus 2006. Mit dem Spruch: "Ja, ist denn jetzt schon Weihnachten?" wurde die Protect-Express-Anleihe angepriesen. "Unglaubliche 10 Prozent Ertrag" für Kunden wurden versprochen.

Das Schreiben verschwieg die Risiken bei einer Pleite. Dass die Haspa die Papiere bereits gekauft hatte - und sie nur unter Zahlung von Abschlägen hätte zurückgeben können, blieb auch unerwähnt. Doch darum wird es dem Bundesgerichtshof gehen: Denn Krupskys hätten nach eigener Aussage den Kauf abgelehnt, wenn sie von der Marge gewusst hätten. Weil diese verraten hätte, warum die Anleihen so schnell in den Markt gestopft wurden.

Die Haspa wehrt sich gegen Vorwürfe, sie hätte besser aufklären müssen. Auf solchen Geschäften sei immer eine Spanne, beteuert Vertriebsvorstand Reinhard Klein. "Uns werden nachträglich Aufklärungspflichten aufgebürdet." Auch die Aussagen vieler Rentner, sie hätten gar nicht gewusst, was sie da kauften, lässt Klein nicht gelten. "Das waren alles erfahrene Anleger." Die Kunden hätten wissen müssen, dass ihre Einlagen nur dann geschützt sind, wenn das pleite gehende Institut aus Deutschland stammt. Bei Lehman Brothers habe schon der Name gezeigt, dass eine Bank aus dem Ausland dahinterstecke, sagt Klein. "Es war zu erkennen, dass es ein ausländischer Emittent war."

Doch so markig diese Worte sind, sie widersprechen internen Papieren. Demnach wussten viele Angestellte selbst nicht, was sie da verkauften. Kurz nach der Pleite verschickte das Management eine E-Mail mit vorformulierten Antworten für Kunden. Diese lesen sich wie ein Nachhilfekurs für Anfänger. Darin werden den eigenen Beratern die Risiken von Zertifikaten, von Investmentfonds und von einfachen Sparbüchern erklärt. Es sind Fakten, die jeder Berater laut Vorstand Klein wissen müsste. Was schlimmer ist: Die E-Mail enthält falsche Fakten. "Ein Totalverlust kann eintreten. Wir halten es derzeit jedoch für eher unwahrscheinlich", heißt es drei Tage nach der Insolvenz. Zu diesem Zeitpunkt ist das Geld der Anleger längst weg.

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