Die Genese der Finanzkrise:Gier und Verdrängung

Eine Handvoll psychologischer Phänomene bahnte der Finanzkrise den Weg - das Wissen um diese Schwächen zeigt, wie wichtig eine schärfere Marktregulierung ist.

Dieter Frey und Andreas Lenz

Dieter Frey ist Professor für Psychologie an der LMU München und Akademischer Leiter der Bayerischen Elite-Akademie. Andreas Lenz ist dort Student, er schreibt seine Diplomarbeit über die Finanzkrise.

NYSE, Broker, Gruppendruck, Gier und Verdrängung

Wie stehen die Kurse? Broker an der NYSE.

(Foto: Foto: AFP)

Nun lässt es sich nicht mehr verhindern: Die größte Finanzkrise seit 1929 greift in voller Wucht auf die Realwirtschaft über. Falsche Anreizsysteme, mangelnde Transparenz und unzureichende Rahmenordnungen konnten aber nur deshalb zur Katastrophe führen, weil sich dahinter fundamentale psychologische Phänomene verbergen. Aus der Sicht der Verhaltenswissenschaften sind es die folgenden:

1. Gewinnstreben

Die meisten Akteure sind vom Streben nach hohem Gewinn geprägt: Zum einen wollen Kunden ihr Geld möglichst profitabel anlegen. Dieses Motiv verleitet dazu, Risiken zu ignorieren. Zum anderen tätigen einige Gruppen den ganzen Tag Finanztransaktionen und jonglieren mit Millionenbeträgen, das fördert die Gier nach möglichst hohen Bonuszahlungen, oft erzockt durch hochspekulative Geschäfte.

2. Kurzfristiges Denken

Das hedonistische Prinzip der Profitmaximierung ist verbunden mit Kurzfristigkeit: Wenn Erfolge sich allzu schnell einstellen, fühlt man sich rasch bestärkt. Das Quartalsdenken hat im gesamten Marktsystem einen zerstörerischen Siegeszug angetreten, zu Lasten der Menschen, der natürlichen Ressourcen und der Umwelt.

3. Lerntheorien und Sorglosigkeit

Ein Grundsatz der psychologischen Lerntheorien: Verhaltensmuster, die sich als belohnend herausstellen, werden wiederholt. Sind die Belohnungen kontinuierlich, steigert man das Risiko, um noch größere Belohnungen zu bekommen. Bleiben Entscheidungen ohne negative Konsequenzen, dann entwickeln die Akteure eine Monopolhypothese: Alles wird auch in Zukunft gut sein. Diese Sorglosigkeit kann zu Erfolgsarroganz werden, man hält sich für immun gegenüber Negativkonsequenzen. Dies reduziert die Fähigkeit und Motivation, Gefahrensignale zu beachten. Es verstärkt auch die Illusion, dass man bei negativen Konsequenzen noch erfolgreich gegensteuern kann. Die Rückschläge müssen keineswegs zu einer Revision der Entscheidung führen, das Gegenteil kann der Fall sein: Man verstärkt das Risiko, setzt quasi alles auf eine Karte, um durch mögliche Gewinne den entstandenen Verlust zu reduzieren.

4. Herdentrieb

Menschen vergleichen sich mit anderen. Viele sahen, wie andere in durchaus undurchschaubaren und potentiell risikoreichen Geschäften hohe Gewinne machten - und dass sie selbst "der Dumme" sind, wenn sie nicht mitmachen. Liefe man nicht im Mainstream mit, wären Status, Prestige und Selbstwert bedroht, zudem ist der Druck der Auftraggeber enorm, profitstark zu sein. Denn der umsatzstärkste Bewerber dient natürlich als Maßstab für die eigene Leistung.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Gruppendenken, pluralistische Ignoranz und die Verdrängung von Inkompetenzgefühlen.

Gier und Verdrängung

5. Gruppendenken

Die Akteure der betroffenen Institutionen (Investmentbanker, Börsenaufsichten, Notenbanken) handelten nicht als Einzelne: Entscheidungen und Fehlentscheidungen wurden sehr oft in Gruppen getroffen. Gruppenprozesse haben aber die Eigenheit, dass es zu einem informellen Gruppendruck kommt, welcher Konformität einklagt und kritisches Querdenken unterdrückt. Auch wer durchaus Gefahrensignale sieht, passt sich dem Druck der Gruppe und der Notwendigkeit, geschlossen und gleichförmig zu handeln, an. Es kommt dazu, dass die Gruppe sich eine eigene Wahrheit gibt, sich für unanfechtbar hält. Die "Stars" der Gruppe entwickeln sich zu Gurus, die von sich überzeugt sind, dass sie ihre Spielregeln auch anderen oktroyieren können, zum Beispiel auch der Politik.

6. Verantwortungsdiffusion und pluralistische Ignoranz

Investmentbanken, Börsenaufsicht, Notenbanken, Behörden verschiedener Länder: Je mehr Institutionen und Personen an Entscheidungen beteiligt sind, umso mehr teilt sich Verantwortung - bis sich letztlich niemand verantwortlich fühlt und keine Institution die Aufgabe einer verstärkten Regulierung annimmt. Dadurch, dass es über Jahre kaum negative Vorfälle gab, kam es zu einer pluralistischen Ignoranz gegenüber dem Risiko: Dass alle im selben Strom mitschwimmen und trotz des potentiellen Risikos nichts passierte, wurde so interpretiert, dass es so gefährlich nicht sein könne.

7. Verdrängung von Inkompetenzgefühlen

Keineswegs war es so, dass die Investmentbanker, Verkäufer, Berater oder Kunden das, womit sie da handelten, im Kern verstanden hätten. Nur wenige hatten die Zivilcourage und das Selbstbewusstsein, es zu hinterfragen. Solange die Produkte sich verkaufen ließen und hohe Profite erzielten, neigten Experten und Laien dazu, sich keine Blöße geben zu wollen, etwas nicht zu wissen. Sie reichten das Produkt weiter und verdrängten diffuse Inkompetenzgefühle.

Es wäre vermessen zu sagen, wie unmoralisch die Akteure waren. Der sogenannte Markt, wo nichts reguliert wurde, wo es keine Kontrolle und keine Verantwortung für Ergebnisse gab, hat dies alles möglich gemacht. Diejenigen, die jetzt vorschnell Steine werfen, weil sich Akteure an der nächsten Generation versündigt haben und möglicherweise verantwortlich sind für eine große Wirtschaftskrise, mögen sich fragen, wie sie selbst sich als Kleinanleger verhalten haben. Dass kaum einer der Akteure nun persönlich haften muss und zur Verantwortung gezogen wird, ist psychologisch eine fatale Botschaft. Damit sind im Grunde die nächsten Missbrauchsszenarien - sie werden anders aussehen und andere Schwerpunkte haben - schon vorprogrammiert.

Zwar muss jeder Einzelne wissen, was moralisch vertretbar ist (und sei es dank Unterrichts in Schulen, Universitäten und den MBA-Programmen über ethische Grundsätze und verantwortungsvolles Verhalten). Doch angesichts menschlicher Fehlbarkeit scheint Folgendes genauso wichtig: Die Politik und die Gesellschaft müssen nun klare Spielregeln formulieren und Rahmenbedingungen setzen für ein vernünftiges Wirtschaften und einen verantwortungsvollen Umgang mit den Ressourcen von Mensch und Umwelt.

Oft braucht man Sputnik-Schocks, Tschernobyl-Katastrophen oder Finanzkrisen, bevor es zu tatsächlichen Verbesserungen in der Transparenz und Kontrolle kommt. Das Spiel am Rande des Abgrunds kann, so betrachtet, vielleicht auch heilsam gewesen sein und zu einer neuen, koordinierten und globalen Finanzordnung führen.

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