Die "Mehr"-Ideologie:Die Krux mit dem Geld, die Krux mit dem Glück

Es ist verlockend, alle Schwierigkeiten auf Geldmangel zu schieben. Doch reiche Völker sind erwiesenermaßen nicht die glücklichsten und die eigene Zufriedenheit hängt nicht von der Höhe des Einkommens ab, sondern davon, wie viel der Nachbar im Vergleich verdient - egal ob kleiner Angestellter oder millionenschwerer Boss.

Alexandra Borchardt

So hatten sich das die Herren vom FC Bayern München nicht vorgestellt: Auf einem mühsam erkämpften fünften Platz in der Tabelle rettet sich der teuerste Verein der Bundesliga zum Jahreswechsel über die Pause. Dabei klingt die Kalkulation vieler Fußball-Manager so bestechend. Je kostspieliger die Mannschaft, desto erfolgreicher, so ihre Erwartung. "Geld schießt Tore", sagt der Volksmund dazu. "Motivierte Teams schießen Tore", sagen die Männer von Mainz 05, dem Überraschungs-Bundesligisten der Saison, derzeit drei Plätze vor den Bayern.

Glücksklee

Glücksforscher haben ermittelt, dass für die Zufriedenheit das relative Einkommen entscheidend ist, also der Verdienstabstand zum Kollegen oder Nachbarn, mit dem man sich vergleicht.

(Foto: dpa)

Die These, dass viel auch viel hilft, stimmt eben nur in Grenzen, und das gilt nicht nur für den Fußball. In Zeiten knapper Kassen und einer Debatte, wie viel Wachstum die Erde braucht und verträgt, lohnt es sich, diese Erkenntnis wiederzubeleben. Auch in Politik und Wirtschaft kann es sich auszahlen, statt an "mehr" öfter an "besser" zu denken.

Beispiele für die Dominanz der "Mehr"-Ideologie gibt es zuhauf. Schließlich ist es verlockend, alle Schwierigkeiten auf den Mangel an Mitteln zu schieben, und die Lösung aller Probleme in Finanzspritzen zu sehen. Gäbe es mehr Geld für Lehrer, den Straßenbau und Pflegeheime, wären die Schüler schlauer, der Verkehr flüssiger und alte Menschen besser betreut, so die Logik. Doch es gibt viele Belege dafür, dass die Welt so nicht funktioniert.

Das fängt in der Firma an: Mitarbeiter finden Gehaltserhöhungen zwar angenehm, der Motivationseffekt lässt aber rasch nach, wenn damit nicht qualitative Verbesserungen einhergehen wie eine neue Aufgabe, bessere Arbeitsmittel, mehr Wertschätzung oder mehr Freiheit. So würde der Zugbegleiter bei der Bahn zwar eine Prämie zu schätzen wissen, aber er würde besser arbeiten, wenn er umfassend informiert und im Umgang mit schwierigen Kunden geschult wäre.

Die Bedürfnisse wachsen mit

Und dem Top-Manager bedeutet der Gehaltssprung wenig, wenn er danach auf einen Abschiebeposten wechseln muss. Wie Glücksforscher ermittelt haben, ist für die Zufriedenheit ohnehin das relative Einkommen entscheidend, also der Verdienstabstand zum Kollegen oder Nachbarn, mit dem man sich vergleicht. Das betrifft den kleinen Angestellten ebenso wie den millionenschweren Boss.

Ähnliche Phänomene gelten für Volkswirtschaften. Die reichen Völker sind erwiesenermaßen nicht die zufriedensten, die Höhe des Bruttoinlandsprodukts allein ist nur ein mäßiger Indikator für Lebensqualität. "Das Glück wächst nicht, wenn das Einkommen eines Landes steigt", hat ein Langzeitvergleich mit Daten aus 37 Ländern ergeben, der kürzlich von Ökonomen der University of Southern California veröffentlicht wurde. Und sie haben auch eine Erklärung dafür: Die materiellen Bedürfnisse wachsen mit dem Einkommen mit.

Spezialität der Opposition

In der Politik ist der Ruf nach mehr Geld für dies und das eine Spezialität jener, die die Kasse nicht zu verwalten haben - vorzugsweise der Opposition. Und es ist eine leicht verständliche Forderung, mit der sich gut in Wahlkämpfe ziehen lässt. Gäbe es höhere Zuschläge für Hartz-IV-Empfänger, einen größeren Bildungsetat, mehr Geld für Familien, nähme die soziale Gerechtigkeit zu, so eine dieser Gleichungen. Aber sie geht nicht auf. Denn Summen alleine sind selten entscheidend; es kommt darauf an, wie sie investiert werden.

So mögen für manch einen Bedürftigen ein paar Euro mehr Staatsgeld im Monat viel bedeuten. Was die meisten von ihnen aber wirklich brauchen, ist eine Perspektive. Werden sie im Job-Center engagiert betreut, wird ihnen Mut gemacht, ihnen zu Arbeit verholfen, wäre vielen weit mehr gedient. Dort sollten die Mittel eingesetzt werden.

Teure Waffen helfen nicht immer

In der Familienpolitik ist das Elterngeld das beste Beispiel dafür, dass viel Geld nicht unbedingt viel hilft. Zwar entlastet der üppige staatliche Zuschuss viele Paare bei der Familiengründung. Dauerhaft mehr Kinder geboren haben die Frauen deswegen noch nicht. Ebenso wenig hat das subventionierte, gebührenfreie Studium in Deutschland den hiesigen Akademikern international zu einem besonderen Vorsprung verholfen oder Kindern aus armen Familien einen vergleichbar guten Zugang zu Bildung verschafft wie jenen aus reichen.

Kriege gewinnt nicht unbedingt der, der die teuerste Kriegsmaschine hat. Und eine Steuererleichterung hilft der Volkswirtschaft nichts, wenn den Bürgern und den Unternehmern das Vertrauen in die Zukunft fehlt, und sie ihr Geld lieber sparen oder ins Ausland tragen, statt es auszugeben und zu investieren.

In den meisten Lebensbereichen kommt es eher auf das "Wie" an als aufdas "Wie viel": Wie gut sind Unternehmen darin, die Talente ihrer Mitarbeiter zu erkennen, angemessen einzusetzen und zu fördern? Wie lässt sich ein wirtschaftliches Wachstum erzielen, das die Lebensqualität möglichst vieler Menschen steigert, ohne dabei künftigen Generationen zu schaden? Wie verteilt der Staat die bei hoher Verschuldung knapper werdenden Ressourcen?

In mehreren Ländern, auch in Deutschland, arbeiten Ökonomen bereits an einem neuen Wohlstandsindikator, der stärker auf Qualität als auf Menge abheben soll. Und für die Politik gilt: Jede Leistung, jede Investition, jede Subvention sollte regelmäßig daraufhin überprüft werden, ob sie ihren Zweck erfüllt. Denn manch eine gutgemeinte Gabe bewirkt nichts oder das Gegenteil. Die Lehre vom Weihnachtsabend gilt auch im Alltag: Wer allzu viel verteilt, dem fehlt es häufig allein an Phantasie.

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