Deutschlands oberster Bankenretter im Gespräch:"Wir sehen das Geld nicht vollständig wieder"

Den Steuerzahler kostet die Bankenrettung Milliarden? Stimmt nicht, sagt Christopher Pleister, der Chef des Bankenrettungsfonds - jedenfalls bis jetzt verdiene der Staat vielmehr an der Finanzkrise. Doch in ein paar Jahren kommt die Rechnung für das Milliardengrab HRE.

Helga Einecke und Harald Freiberger

Christopher Pleister, 63, machte Karriere im System der Volksbanken, etwa als Vorstand der heutigen DZ-Bank und Verbandspräsident. Seit 1. Juli ist er als Chef der Behörde FMSA, zu der auch der Rettungsfonds Soffin gehört, im Fall von Finanzkrisen der erste Feuerwehrmann.

Hannes Rehm ist neuer SoFFin-Chef

Christopher Pleister, der Chef des Sonderfonds.

(Foto: ddp)

SZ: Herr Pleister, wie lebt es sich als oberster deutscher Bankenretter?

Pleister: Der Begriff ist überholt. Wir retten bei der Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung (FMSA) nicht mehr einzelne Banken, sondern die gesamte Kreditwirtschaft. Wir wollen verhindern, dass das Finanzsystem wankt, wenn eine Bank in Schwierigkeiten gerät. Es wird keine Kapitalhilfen vom Rettungsfonds Soffin mehr geben. Künftig werden Banken, die sich selber nicht mehr helfen können, restrukturiert und abgewickelt.

SZ: Der Soffin wird also künftig zu einer Art ökonomischer Schrottverwertung?

Pleister: Wenn die Bankenaufsicht Bafin einer Bank keine Überlebenschance gibt, werden die systemrelevanten Teile auf eine Brückenbank übertragen. Wir haben vorsorglich drei Brückenbanken gegründet. Die heißen Brückeninstitut Eins AG, Brückeninstitut Zwei AG, Brückeninstitut Drei AG - und können den systemrelevanten Teil einer Bank weiterführen. In die erste Brückenbank haben wir fünf Millionen Euro Stammkapital eingezahlt. Sie ist also einsatzfähig.

SZ: War das nötig, weil die WestLB in Düsseldorf, die einst so stolze Landesbank, ins Schlingern geriet?

Pleister: Nein. Wir haben unabhängig von einem konkreten Fall gehandelt.

SZ: Und was passiert mit dem Rest, der nicht in die Brückenbank wandert?

Pleister: In der alten Bank bleiben die Verbindlichkeiten, deren Ausfall nicht das System gefährden würde. Entscheidend ist, dass die Kosten künftig von den Banken selbst getragen werden - es wird ja eine Bankenabgabe geben, in die Kreditinstitute jährlich eine Milliarde Euro einzahlen. Damit wird ein bei der Bundesanstalt FMSA angesiedelter Fonds finanziert. Im Idealfall hat der Steuerzahler mit der Systemstabilisierung der Kreditwirtschaft nichts mehr zu tun.

SZ: Wie viele Milliarden hat die Bankenrettung die Steuerzahler gekostet?

Pleister: Die FMSA hat zunächst Überschüsse erwirtschaftet, weil sie Gebühren verlangt. Bisher haben wir den Steuerzahler kein Geld gekostet. Das ändert sich dieses Jahr, weil keine neuen Anträge mehr kommen.

SZ: Nichts gekostet? Der Rettungsfonds Soffin hat in zwei Jahren über neun Milliarden Euro an Verlusten angehäuft.

Pleister: Der Soffin hat Banken im Verlauf der Krise Garantien von bis zu 174 Milliarden Euro gewährt und Kapital von bis zu 29 Milliarden Euro vergeben. Die Gebühren und Zinsen dafür lagen über den Ausgaben.

SZ: Woher kommen dann die Verluste?

Pleister: Aus unseren Beteiligungen und aus der ausgelagerten Abwicklungsanstalt der Hypo Real Estate (HRE), der FMS Wertmanagement. Es handelt sich um ein Bewertungsergebnis, da man annehmen muss, dass einzelne Bilanzposten nicht mehr so viel wert sind. Daraus haben wir ein Negativkapital von rund neun Milliarden Euro. Die Mittel für die Rekapitalisierung haben wir uns bei der bundeseigenen Finanzagentur geliehen und zahlen dafür Zinsen. Wie hoch die Verluste sein werden, zeigt sich erst in der Endabrechnung.

SZ: Also kommt das dicke Ende noch?

Pleister: Dieses Jahr bekommen wir erhebliche Gebühren aus dem HRE-Konzern für die Abspaltung der Bad Bank. Die Commerzbank hat uns einen Abstandsbetrag von über einer Milliarde Euro für die vorzeitige Kündigung der Staatshilfe gezahlt, sie wird auch voraussichtlich Zinsen auf ihre noch verbliebene stille Einlage zahlen. Also können wir Teile unseres Verlustvortrags vermutlich abbauen.

SZ: Gibt es eine Zwischenbilanz für die Commerzbank? Sie hat den wesentlichen Teil der Staatshilfe zurückgezahlt. Zwei Jahre lang sind die Zinsen ausgefallen, weil die Bank nichts verdient hat.

Pleister: Die Commerzbank hat auch schon Zinsen gezahlt.

SZ: Aha. Das ist eine Neuigkeit.

Pleister: Ja, für einen Tag. Der erste Teil der stillen Einlage wurde kurz vor Jahresende 2008 überwiesen - und die Bank wies in jenem Jahr noch einen Gewinn aus. Es fielen bei uns zwei Millionen Euro an.

SZ: Das ist ein Klacks für Sie.

Pleister: Es ist fast schon unangenehm, mit so riesigen Zahlen so pauschal zu hantieren. Man muss sich immer wieder zwicken und sich klarmachen, was diese Zahlen eigentlich bedeuten.

SZ: Der Bund hat bei der Commerzbank also nicht draufgezahlt?

Pleister: Unterm Strich sind wir in den schwarzen Zahlen, wenn man die Kosten für die Refinanzierung mit den Einnahmen verrechnet. Es hat den Steuerzahler bisher also nichts gekostet.

Milliardengrab HRE: "Wir sehen das Geld nicht vollständig wieder"

SZ: Internationale Institutionen rechnen vor, die Bankenrettung würde die Deutschen einen dreistelligen Milliardenbetrag kosten. Sie behaupten nun, es sei überhaupt noch kein Geld geflossen.

Pleister: Jede Statistik hat eine andere Basis. Geflossen ist noch nichts. Die Summe der gewährten Garantien und Rekapitalisierungen als Maßstab ist offenkundig unsinnig. Die bei der Europäischen Kommission eingereichten Werte der Beihilfeberechnungen liegen im oberen einstelligen Milliardenbereich. Ebenso der Verlustausweis in unseren Jahresabschlüssen. Allerdings unter der Annahme, dass es nicht zu einem Haircut auf Staatsanleihen kommt. Das Teuflische an den meisten der Produkte, die zur Finanzkrise geführt haben, ist, dass die Stunde der Wahrheit erst zwischen 2025 und 2030 schlägt.

SZ: Die US-Regierung erklärt, sie mache Gewinn mit der Bankenrettung.

Pleister: Die Aussage der Amerikaner gilt nur, wenn man die Immobilienfinanzierer Freddie Mac und Fannie Mae nicht einbezieht. Unser Freddie Mac und Fannie Mae ist die HRE. Wir haben sie gerettet, um die Kreditwirtschaft vor einer dramatischen Krise zu bewahren. Würden wir sie nicht berücksichtigen, ergäbe sich für uns ein anderes Bild.

SZ: Kann die HRE zurückzahlen?

Pleister: Man muss zwischen den Hilfen an die HRE und die FMS Wertmangement unterscheiden. 3,8 Milliarden Euro fließen in die FMS Wertmanagement.

SZ: Das Geld können Sie doch abschreiben.

Pleister: Angesichts des Abwicklungsplans wäre es unrealistisch, davon auszugehen, dass wir die 3,8 Milliarden Euro vollständig wiedersehen.

SZ: Die sind also weg.

Pleister: Sie sind nicht weg, sie sind zurückgestellt. Wie viel wir davon wiedersehen, wird sich zeigen.

SZ: Bleiben noch sechs Milliarden bei der neuen HRE, der Deutschen Pfandbriefbank. Jetzt mal ehrlich: Sehen Sie das Geld wieder?

Pleister: Das wird sich erst nach 2014 zeigen, wenn die von der EU geforderte Privatisierung angegangen wird.

SZ: Haben Sie die Bankenabgabe für weitere Finanzhilfen einkalkuliert?

Pleister: Die Durchführungsverordnung ist ja noch nicht verabschiedet. Künftig können wir aber mit den Banken in einer Krise tatsächlich verhandeln. Beim ersten Krisenfall, der IKB, hatten viele Kreditinstitute gemeint, dies sei nicht ihr Problem. Das war natürlich sehr kurz gedacht, weil man durch die Rettung der IKB auch deren Gelder und Stabilität geschützt hat.

SZ: Sparkassen und Genossenschaftsbanken erklären, dass sie ihr eigenes Sicherungssystem haben.

Pleister: Die Mitgliedsbank eines Verbunds ist nur deshalb marktfähig, weil sie eben durch diesen Verbund garantiert wird. Und der Verbund als solcher ist wiederum systemrelevant und profitiert von der impliziten Garantie.

SZ: Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann hat die Bankenabgabe eine "Lex Deutsche Bank" genannt, weil er sich als der einzige maßgebliche Einzahler fühlt.

Pleister: Die Bankenabgabe richtet sich für jedes Institut nach dessen Systemrelevanz und Vernetzung.

SZ: Sie wollen gut eine Milliarde Euro im Jahr einnehmen. Es wird Jahrzehnte dauern, bis sich mit dem Fonds wirklich eine neue Bankenkrise bekämpfen lässt.

Pleister: Wir können bis zu 20 Milliarden Euro Kapitalhilfen und bis zu 100 Milliarden Euro Garantien vergeben. Reichen die Mittel des Fonds nicht, werden sie erst einmal vom Bund vorgestreckt - und am Ende dem Fonds aber in Rechnung gestellt. Wir können auch eine Sonderumlage von den Banken verlangen. Allerdings werden Banken und deren Eigentümer kein Interesse daran haben, den Fonds in Anspruch zu nehmen. Sollte es jemals dazu kommen, würden sie nicht gerettet, sondern so abgewickelt, dass der Staat nicht mehr erpressbar ist.

SZ: Das Gesetz soll abschrecken?

Pleister: Es wäre eine gewaltige Herausforderung, das Restrukturierungsgesetz anzuwenden. Es gehört zu der Art von Gesetzen, die am besten sind, wenn durch sie verhindert wird, dass sie angewendet werden müssen.

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