Deutschland: Finanzpolitik:Steuern senken - jetzt oder nie

Wolfgang Schäuble setzt als Finanzminister keine Impulse mehr. Der einst anerkannte Steuerpolitiker ist schon zufrieden, wenn er Steuererhöhungen verhindern kann - und manchmal macht er nicht mal mehr das.

Marc Beise

Auf ein Wachstum von 3,7 Prozent haben sich diese Woche die Wirtschaftsweisen in ihrem Jahresgutachten 2010 festgelegt. Das ist im Reigen der Prognosen Spitze. Zu Jahresbeginn galt noch als Optimist, wer zwei Prozent Wachstum oder mehr postulierte. Der Sachverständigenrat wird am Ende der Wahrheit ziemlich nah gekommen sein - was allerdings keine allzu große Kunst ist für jemanden, der sein Gutachten nach zehn von zwölf Monaten Berichtszeitraum erstellt. Der Sachverständigenrat hat ferner den Vorteil, das Abkühlen der Konjunktur bereits deutlich erkennen zu können, ebenso die wieder wachsenden Risiken in der Welt(finanz)wirtschaft. Das kommende Jahr 2011 könnte einige böse Überraschungen parat halten, so wie 2010 überaus positiv überrascht hat.

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Weil die Regierung Merkel sich vor Jahresfrist in der Krise mit Schmerzen von ihren Steuerreform- und -senkungsplänen verabschiedet hat, muss dieser Kurs jetzt auf Teufel komm' raus beibehalten werden - obwohl die Steuerschätzer bis Ende 2012 zusätzlich 60Milliarden Euro in den öffentlichen Kassen sehen.

(Foto: dapd)

Damit hat der Sachverständigenrat auf den ersten Blick auch alle Mahner auf seiner Seite, die vor einer Änderung der Finanz- und Wirtschaftspolitik warnen: Bloß keine Experimente, Reformen gar, sondern weiter auf Nummer sicher gehen. Ja, die Erholung 2010 ist exorbitant, aber das Land ist durch den Krisenzyklus noch nicht durch. Entsprechend warnt der Sachverständigenrat in Person seines Steuer-Vordenkers Professor Wolfgang Wiegard vor finanziellen Abenteuern. Steuersenkungen beispielsweise seien nicht machbar - bis weit in die nächste Legislaturperiode hinein.

Wiegard kann sich dabei zwar auf die ins Grundgesetz geschriebene Schuldengrenze berufen, die Bund und Länder zum Sparen zwingt. Zugleich aber hat das laufende Jahr gezeigt, wie sich die Finanzlage der öffentlichen Hand rasant verändern kann, wenn starkes Wachstum die Steuereinnahmen nach oben und die Sozialausgaben nach unten treibt. Vor diesem Hintergrund ist es ganz schön mutig, den politischen Spielraum auf ein halbes Jahrzehnt oder mehr im Voraus sicher bestimmen zu wollen.

Basis für Wachstum

Darüber hinaus bedienen die Weisen mit ihrer Absage an Steuererleichterungen (mehr noch: dem Verständnis für künftige Steuererhöhungen) eine politische Eindimensionalität: sparen und sonst nix. Weil die Regierung Merkel sich vor Jahresfrist in der Krise mit Schmerzen von ihren Steuerreform- und -senkungsplänen verabschiedet hat, muss dieser Kurs jetzt auf Teufel komm' raus beibehalten werden - obwohl die Steuerschätzer bis Ende 2012 zusätzlich 60 Milliarden Euro in den öffentlichen Kassen sehen. Diese Selbstbeschränkung wäre angebracht, wenn Steuersenkungen Geschenke an den Bürger wären. Ein beliebiges Sahnehäubchen, für das es noch zu früh wäre, vielleicht sogar überhaupt nicht mehr angebracht in einer alternden Industrienation im internationalen Wettbewerb.Steuersenkungen aber sind mehr. Sie sind in ihrer besten Form Basis für Wachstum, für Innovation, Kreativität und Leistungsbereitschaft.

Die Notwendigkeit der Entlastung der Mittelschicht etwa ist parteiübergreifend anerkannt. Der Zugriff des Staates ist hier, Finanz- und Schuldenkrise hin oder her, zu stark. Selbst die Linken konzedieren die Probleme von "kalter Progression" und "Mittelstandsbauch", und die Kanzlerin selbst sprach das Thema soeben wieder an, im selben Atemzug, in dem sie eine Steuersenkungsdiskussion ablehnte. Wann aber, wenn nicht jetzt, im Aufschwung, müsste man sich diese Gedanken machen? Müsste man eine Arbeitsgruppe einsetzen, Minister zusammenspannen, einen Plan finden und kommunizieren? Nichts davon geschieht.

Traurige Tradition

Der Attentismus lässt sich personalisieren: Der Politiker Wolfgang Schäuble, der auf weitsichtige Gedanken abonniert schien, setzt als Bundesfinanzminister keine Impulse mehr. Schraubt ideenlos am Haushalt herum, gibt sich für Luftbuchungen her. Der einst anerkannte Steuerpolitiker ist schon zufrieden, wenn er Steuererhöhungen verhindern kann, und manchmal tut er nicht mal mehr das.

Schäuble steht in einer traurigen Tradition. Die deutsche Wirtschaftspolitik, so scheint es, kennt immer nur ein Thema. In den 1970-er Jahren, unter den SPD-Kanzlern Brandt und Schmidt, explodierten die Sozialleistungen. In den 90-er Jahren waren Steuerreformen angesagt, FDP und grüne Realos marschierten an der Spitze, selbst die Genossen wagten nicht mehr zu widersprechen. Unter Schröder/Fischer dann kam die Begrenzung des Sozialstaates, der Abbau von Sozialleistungen, die Einführung von Hartz IV. Und nun heißt das eine Thema über allem Stabilitätspolitik, das Begrenzen des Schuldenbergs, Punkt.

Gleichzeitig aber wird die Lebenswirklichkeit immer komplizierter. Der Steuer- und Sozialstaat mäandert, die Finanzwelt expandiert, die Globalisierung zwingt zu neuen Fragen. Und da soll es nur noch einen einzigen Strang der Finanzpolitik geben dürfen? Es wäre dies die Absage an die Gestaltungskraft der Politik.

Konkret auf die aktuelle Lage bezogen heißt das: Ja, der Weg in den Überschuldungsstaat muss gestoppt werden, aus verfassungsrechtlichen, wichtiger noch aus ökonomischen Gründen. Die Ausgaben des Staates, auch die Sozialausgaben und die Subventionen, müssen überprüft und in der Summe gekürzt werden; noch viel umfassender als bisher geschehen. Aber Sparen ist nicht alles - es gilt auch Wachstumsimpulse zu setzen. Forschungsförderung für alle, die Innovationen von morgen bereitstellen, Steuerentlastung für die Mittelschicht, die den Aufschwung sichern soll, um nur zwei Beispiele zu nennen. Eine solche Politik freilich müsste mit mehreren Bällen gleichzeitig jonglieren. Die Deutschen haben das offenbar verlernt.

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