Lebensversicherung:Rendezvous mit dem Tod

Was sollen die Deutschen ohne ihre Lebensversicherung machen? Auf 80 Millionen Einwohner kommen 95 Millionen Verträge - eine unfassbare Zahl. Doch nun droht der Lebensversicherung der Tod.

Catherine Hoffmann

Die Deutschen sind gut versichert. Aus Furcht vor dem Loch in der gesetzlichen Rentenkasse wird fleißig gespart. Zum Großteil landet das Geld auf dem Sparbuch, doch da zehrt die Inflation an der Rendite. Oder man kauft eine Lebensversicherung. Und dann noch eine: 95 Millionen Lebensversicherungspolicen gibt es hierzulande - mehr als Bundesbürger.

Lebensversicherung: Bilanzexperten kritisieren die bisherige Praxis deutscher Lebensversicherer, ihren Kunden eine Garantieverzinsung anzubieten: "Wenn ein Unternehmen in Zeiten hoher Zinsen einen langfristigen Lebensversicherungsvertrag mit vier Prozent Garantie geschlossen hat, bekommt es ein Problem, wenn die Zinsen über Jahre hinweg kontinuierlich sinken, wie dies in Japan der Fall war", sagt Thomas Noack, Analyst der WestLB. Für eine graphische Darstellung der Bedeutung von Lebensversicherungen für deutsche Sparer und die Entwicklung des Garantiezinses, bitte auf die Collage klicken.

Bilanzexperten kritisieren die bisherige Praxis deutscher Lebensversicherer, ihren Kunden eine Garantieverzinsung anzubieten: "Wenn ein Unternehmen in Zeiten hoher Zinsen einen langfristigen Lebensversicherungsvertrag mit vier Prozent Garantie geschlossen hat, bekommt es ein Problem, wenn die Zinsen über Jahre hinweg kontinuierlich sinken, wie dies in Japan der Fall war", sagt Thomas Noack, Analyst der WestLB. Für eine graphische Darstellung der Bedeutung von Lebensversicherungen für deutsche Sparer und die Entwicklung des Garantiezinses, bitte auf die Collage klicken.

Die Verträge weisen jedes Jahr rund vier Prozent Rendite aus. Es gilt zwar nicht als sexy, auf diesem Weg fürs Alter zu sparen. Aber nach zwei Börsencrashs in zehn Jahren sind den Deutschen ihre Lebensversicherungen so heilig wie Sparbuch und Bausparvertrag. Doch mit der gepflegten Langeweile, die garantierte Zinsen bieten, dürfte bald Schluss sein.

Neue Bilanzierungsregeln für die Unternehmen bringen die Lebensversicherung, so wie die Deutschen sie heute kennen, in Gefahr. Groß sind die Klagen der Branche, die mit einer halben Million Beschäftigten und rund 200 Milliarden Euro jährlichem Umsatz zu den bedeutendsten Industriezweigen des Landes zählt.

"Keine langfristigen Zinsgarantien mehr"

"Wenn die neuen Bilanzvorschriften wie geplant kommen, werden klassische kapitalbildende Lebensversicherungen möglicherweise in Zukunft nicht mehr angeboten werden können", sagt Werner Görg, Vorstandschef der Gothaer Versicherung.

Ein ähnliches Schicksal drohe staatlich geförderten Riester-Policen. "Die kapitalgebundene Lebensversicherung ist tot", urteilt der Leiter der Finanzberichterstattung eines großen Konzerns. "Wenn der Vorschlag Gesetz wird, gibt es für unsere Kunden keine langfristigen Zinsgarantien mehr."

Heute ist es üblich, Anlegern für die gesamte Laufzeit eines Vertrages, oft sind das 30 Jahre und mehr, eine Mindestverzinsung zu garantieren. Derzeit versprechen die Unternehmen neuen Kunden 2,25 Prozent Zinsen auf ihre Sparbeiträge. Im Durchschnitt haben deutsche Versicherer den Anlegern 3,4 Prozent Zinsen zugesichert, bei manchen alten Verträgen sogar vier Prozent. Die Garantie ist eines der besten Verkaufsargumente für die Policen, sie wiegt angesichts niedriger Kapitalmarktzinsen umso schwerer.

Genau hier setzt die Kritik der Bilanzexperten an: "Wenn ein Unternehmen in Zeiten hoher Zinsen einen langfristigen Lebensversicherungsvertrag mit vier Prozent Garantie geschlossen hat, bekommt es ein Problem, wenn die Zinsen über Jahre hinweg kontinuierlich sinken, wie dies in Japan der Fall war", sagt Thomas Noack, Analyst der WestLB.

Zweifel an der Aussagekraft der Bilanzen

"Dann baut sich eine Garantieverpflichtung auf, die nur schwer erwirtschaftet werden kann. Das ist gefährlich." Denn ein niedriges Zinsniveau bedeutet, dass die Kosten für Garantien extrem teuer werden, das wiederum belastet das Ergebnis. Bislang reflektiert die Bilanz aber nicht die tatsächlichen Garantiekosten in der Lebensversicherung, eine mögliche Schieflage zeigt sich allenfalls in sinkenden Aktienkursen, nicht aber in der Gewinn- und Verlustrechnung. Noack zweifelt deshalb an der Aussagekraft der heutigen Bilanzen. Künftig soll das anders werden.

Seit 13 Jahren schon arbeitet das International Accounting Standards Board (IASB) mit Sitz in London an Bilanzregeln für Versicherer. Nun drängt die Zeit. Im Juni endet die Amtszeit des Vorsitzenden Sir David Tweedie, turnusmäßig verlassen auch andere Mitglieder das Gremium, in dem Bilanzierer und Wirtschaftsprüfer sitzen.

Bis dahin soll die unüberschaubare Vielfalt an Rechnungslegungsvorschriften in Europa beseitigt werden, die es praktisch unmöglich macht, die Bilanzen verschiedener Unternehmen miteinander zu vergleichen. Läuft alles nach Plan, werden die neuen Regeln wohl noch in diesem Jahr von der EU-Kommission anerkannt und damit automatisch zu nationalem Recht.

Mehr fondsgebundene Produkte

Dann werden Versicherungsverträge spätestens ab 2015 wie andere Finanzinstrumente auch behandelt. Dann herrscht kalte ökonomische Realität in den Unternehmen. Hinter den neuen Standards steht die schlichte Frage: Was kostet es das Unternehmen, seine Verpflichtungen zu erfüllen, wenn die zukünftigen Zahlungsströme zum heutigen Zeitpunkt abgezinst werden? "Wir halten diese Sichtweise für richtig, denn heute wird dies nicht gemacht", sagt Jörg Schneider, Finanzvorstand der Munich Re. "Der Teufel liegt allerdings im Detail: nämlich der Wahl des richtigen Zinssatzes."

Die neuen Standards gelten im Wesentlichen für große Aktiengesellschaften wie Allianz, Munich Re mit seinem Erstversicherer Ergo, Generali oder Axa. Für Gesellschaften, die viele klassische Lebensversicherungen mit Zinsgarantie im Portfolio haben, bedeutet das: Sie müssen bei Zinsänderungen große Schwankungen in der Gewinn- und Verlustrechnung hinnehmen.

"Die Ergebnisse werden dramatisch hin- und herschwingen", sagt Gothaer-Chef Görg. "Dafür brauchen wir wesentlich mehr Eigenkapital." Das wäre wohl das Ende der Lebensversicherung deutscher Art. Statt den Sparern Garantien zu gewähren, würden die Versicherer das Kapitalanlagerisiko auf ihre Kunden abwälzen und verstärkt fondsgebundene Produkte verkaufen.

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