Das Sparpaket der Koalition:Der Flop

Als halbgares Sammelsurium von Einzelmaßnahmen, ärgerlichen Luftbuchungen und verpassten Chancen wird das Sparpaket zu Recht kritisiert. Dabei war es richtig, das Sparen in den Mittelpunkt der Überlegungen zu stellen.

Marc Beise

Die Merkel-Koalition hat die große Sparwoche verpatzt - das ist eine Binsenweisheit. Angekündigt war ein Sanierungsprogramm für Deutschland, und die Chance, dass dieses Programm auf Begeisterung stoßen würde, war gleich null. Dass Opposition, Gewerkschaften und andere Gegner dieser bürgerlichen Koalition die ganze Klaviatur von echter bis gespielter Empörung bedienen würden, war sonnenklar. Nicht zu erwarten war, dass die Koalition es ihren Kritikern allerdings so leichtmachen würde.

Tausende Menschen demonstrieren in Berlin gegen Sparpaket

"Wir sind das Volk": Melkkuh im Protestzug von Berlin am 12.Juni. Dort trieb der Ärger über das Sparpaket Tausende auf die Straße.

(Foto: ag.ddp)

Was als großer Wurf geplant war, ist ein halbgares Sammelsurium von sinnvollen Einzelmaßnahmen, ärgerlichen Luftbuchungen und verpassten Chancen geworden. Viele Ankündigungen sind sträflich unbestimmt. Teilweise werden die Sparbemühungen auf nachrangige Institutionen verschoben, die nun sehen müssen, wie sie zurechtkommen. Der verkündete Einsparerfolg von 80 Milliarden Euro steht nur auf dem Papier.

Über das unerträgliche politische Ränkespiel zwischen den drei Koalitionspartnern ist viel geschrieben worden. Interessanter sind die dahinterstehenden sachlichen Debatten. Viele Kritiker der Koalition machen es sich mit ihren Alternativrezepten beneidenswert einfach. Man schröpft mal eben die Reichen, verschont natürlich die Armen, geißelt die Topmanager, bringt die Spekulanten zur Strecke, domestiziert die Banken - und schon wird alles gut. Klar, das Geld steckt im Geldautomaten, und wer pleite ist, holt sich neues.

Es ist bezeichnend, dass sich die aktuelle Debatte fast ausschließlich auf die Steuerfrage konzentriert. Hatte es noch vor zehn Jahren den Drang zu einem einfacheren Steuerrecht mit niedrigen Sätzen gegeben, so lautet nun der Schlachtruf: Rauf mit den Steuern! Es wird dringend Zeit, die Diskussion vom Kopf auf die Füße zu stellen. Alle reden über angeblich notwendige neue Einnahmen, dabei geht es zuallererst um die Kürzung von Ausgaben. Ein Land, das so über seine Verhältnisse lebt wie Deutschland, erst recht durch die krisenbedingten Konjunktur- und Rettungspakete, muss sich in schwierigen Zeiten bescheiden; warum ist das so schwer zu verstehen?

Sozialstaat ja, aber kleiner

Deshalb war es goldrichtig, dass die Koalition das Sparen in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen gestellt hat. Es ist auch richtig, damit im sozialen Bereich zu beginnen, was natürlich nicht populär ist. Die Arbeits- und Sozialausgaben müssen sinken - nicht, weil ihre Empfänger schlechtere Menschen sind oder sich nicht wehren können oder keine Lobby haben. Sondern weil diese Ausgaben grundsätzlich wenig dazu beitragen, Deutschland aus der Krise zu holen. Der Sozialstaat kann und muss reagieren, abfedern, ausgleichen, aber er kann nicht die wirtschaftliche Zukunft gestalten; er generiert kein Wachstum. Seit den siebziger Jahren aber steigen und steigen die Sozialausgaben; der Sozialetat macht die Hälfte (!) des Bundeshaushalts aus. Wer hieran etwas ändern will, verstößt offensichtlich gegen die Political Correctness im Lande, die da lautet: Verschont die Schwachen! Kein Wort davon, dass das Land nicht im Elend versänke, würden die Sozialleistungen auf das Niveau von 2005 oder 2000 zurückgenommen.

Subventionen unter Vorbehalt

Natürlich muss, zweitens, auch in der Wirtschaft gespart werden. Und zwar nicht da, wo es der Klientel der FDP nicht weh tut, sondern da, wo das Geld nicht gebraucht wird, um Wachstum zu generieren. 150 Milliarden an Subventionen sind zu überprüfen. Die Koalition hätte alle Subventionen unter Vorbehalt stellen sollen: Nicht ihr Abschaffen müsste dann begründet werden, sondern ihr Beibehalten. Und sie hätte natürlich ganz dringend die unselige Steuersenkung für Hoteliers zurücknehmen sollen.

Und drittens muss ein Sparprogramm, das ist schon wahr, in Zeiten großer gesellschaftlicher Verunsicherung auch dem sozialen Frieden dienen. Denkbar wäre eine höhere Erbschaftsteuer, die die geringe Eigenleistung des Nutznießers an diesem Reichtum berücksichtigt, und ein höherer Spitzensteuersatz. Letzterer müsste freilich dringend befristet werden auf die Dauer der konkreten Krise, denn das Steuerniveau in Deutschland ist sicher nicht zu niedrig. Die höheren Steuereinnahmen sollten auch zwingend im System bleiben. Was "die oben" vorübergehend mehr zahlen, müssen "die in der Mitte" auf Dauer mehr erhalten. Ergänzt um eine Neusortierung der zersplitterten Mehrwertsteuer könnte die dringend notwendige Entlastung der Leistungsträger der Mittelschicht, für die interessanterweise in einer schönen Allianz FDP und Linkspartei trommeln, herauskommen: Nur so ist dauerhaft mehr Wachstum und damit ausreichend soziale Sicherheit möglich.

Die Tragik in Berlin ist nicht, dass die Politiker dort alle so verbohrt wären. Sondern dass es keine Wirtschaftspolitiker von Format mehr gibt, deren Argumente überhaupt gehört werden. Kein Otto Graf Lambsdorff (FDP), der Ordnungspolitik "kann". Kein Karl Schiller (SPD), der seinen Genossen im richtigen Moment rät, "die Tassen im Schrank zu lassen". Kein Ludwig Erhard (CDU), der weiß, dass das Geld erst verdient werden muss, das der Sozialstaat verteilen soll. Und wenn mal einer so argumentiert wie die Großen damals, wird er zum Geisterfahrer erklärt, der aus der Zeit gefallen sei.

Darüber lohnt es sich wirklich nachzudenken. Ja, wenn man auf der Autobahn in Richtung, sagen wir, Berlin fahren will - und alle kommen einem irrtümlich entgegen, dann ist man wohl ein Geisterfahrer. Die anderen sind die Mehrheit und geben die Richtung vor. Nach Berlin kommen sie so aber noch lange nicht.

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