Crashkurs (1): Ölpreis:Der Schatz im Meer

Streit ums Öl: Wer hat ein Interesse daran, dass der Schmierstoff der Wirtschaft möglichst teuer am Markt gehandelt wird? Die USA - wegen der Bohrverbote im eigenen Land. Teil eins der Miniserie "Crashkurs".

Dirk Müller

Wir haben zur Zeit ein Phänomen, das meines Wissens in dieser Dimension einmalig in der US-Geschichte sein dürfte. Es war schon immer so, dass die Einflüsse der Wirtschaft auf die Politik groß waren. Es gab schon immer Lobbyarbeit und Einflussnahme. Aber was sich in den letzten Jahren in den USA zugetragen hat, ist - jedenfalls solange man von demokratischen Staaten sprechen möchte - kaum mehr zu übertreffen.

Dirk Müller, Mr. Dax

Dirk Müller, vielen besser bekannt als "Mr. Dax", hat sein erstes Buch geschrieben: "Crashkurs". Der Text ist ein Auszug.

(Foto: Foto: dpa)

Was schätzen Sie, wie viel Condoleezza Rice wiegt? Die Antwort lautet: 129. 000 Bruttoregistertonnen! Condoleezza Rice war nämlich nicht nur Außenministerin der USA unter George W. Bush, sondern auch der Name eines Öltankers unter der Chevron-Flagge. Bevor Miss Rice nämlich als Sicherheitsberaterin in die Regierung Bush eintrat, war sie zehn Jahre lang Direktorin von Chevron, einer der größten Ölfirmen der Welt. Nach ihrem Regierungseintritt wurde der Tanker in Altair Voyager umbenannt.

Und Dick Cheney, Vizepräsident unter George W. Bush, war vor seiner Amtszeit Präsident eines anderen großen Unternehmens: Halliburton - eines der größten Ölexplorationsunternehmen der Erde, das mit Cheney an der Spitze im Irak in den neunziger Jahren millionenschwere Geschäfte abgeschlossen hat.

("...") Auch die Familie Bush war zumindest bis 2001 geschäftlich im Nahen Osten engagiert - und ausgerechnet mit dem Clan der Bin Ladens verbunden. Salem Bin Laden, der von 1976 bis 1988 die Geschäfte der Saudi Binladin Group leitete, verbanden gemeinsame Ölinteressen mit der Familie Bush.

Extremer Anstieg

("...") Böse Zungen könnten behaupten, dass mit der Bush-Administration die US-Ölindustrie ein Regierungsmandat erhalten hat.

("...") 2008 war ein Jahr des extremen Anstiegs der Ölpreise. In der Spitze explodierte der Preis auf 147 US-Dollar pro Fass. An der Zapfsäule sah man allerorten Menschen mit verweinten Augen den Tankdeckel schließen, und alle Welt fragte sich: "Warum, um Himmels willen, ist der Ölpreis so hoch?" Die "Experten" haben uns die tollsten Erklärungen angeboten, so dass ich mich in einem Zustand zwischen Schenkelklopfen und Kopf-auf-die-Tischplatte-Schlagen befand. Die erste Erklärung war: Wir haben eine Ölknappheit!

Merkwürdigerweise wurde aber nirgends ein Tanker leer zurückgeschickt. Nirgends wurde eine Raffinerie nicht beliefert. Die nordafrikanischen Ölförderländer haben sich sogar geweigert, die Ölproduktion zu erhöhen. Das sei völlig überflüssig, da absolut genug Öl auf dem Markt sei, um alle Nachfrage zu versorgen.

Autokonzerne in großer Not

Die zweite Erklärung war: Die bösen Asiaten brauchen so viel Öl! Doch das Wirtschaftswachstum in Asien hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits abgekühlt. Ohnehin vollzieht sich der Mehrverbrauch einer ganzen Volkswirtschaft langsam und kontinuierlich; der Verbrauch verdoppelt sich nicht binnen weniger Monate, wie es der Ölpreis getan hat. Im Gegenteil: Während der Höchststände im Ölpreis gingen wir an den Finanzmärkten längst von einer deutlichen Abkühlung der Weltkonjunktur, wenn nicht sogar von einer weltweiten Rezession aus. Das ist nicht gerade der Stoff für eine künftig hohe Ölnachfrage.

Zu dieser Zeit waren die großen amerikanischen Autobauer bereits in größten Schwierigkeiten, weil niemand mehr ihre spritfressenden Pickups und Geländewagen kaufen wollte. Sogar die als ökologisch unbelehrbar geltenden amerikanischen Verbraucher hatten plötzlich das Benzinsparen entdeckt und stiegen auf Kleinwagen um oder ließen das Auto gleich ganz in der Garage. Das Verkehrsministerium meldete elf Milliarden gefahrene Meilen weniger pro Monat - wobei sich mir noch immer nicht ganz erschließt, wer die gezählt haben will. Kurzum: Es gab keinen Grund für einen so hohen Ölpreis.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Wie das Bohrverbot in den USA gekippt wurde.

Der Schatz im Meer

("...") Doch der Preis kam lange nicht zurück, sondern stieg weiter bis auf wahnwitzige 147 US-Dollar pro Fass. Öl! Nicht Whisky oder Chanel No. 5! Was steckte wirklich dahinter? Hier eine viel interessantere Theorie: Besonders bei "politischen" Preisen wie dem Ölpreis, dem Goldpreis oder Lebensmittelpreisen muss die Frage lauten: Wer hat ein Interesse an diesem oder jenem Kurs? Wer hatte also Interesse an einem extrem hohen Ölpreis?

("...") Die Antwort liegt in den USA selbst: Seit 1982 bestand ein Verbot, an den Ost- und Westküsten nach Öl zu bohren. Hintergrund war der Umweltschutz und der Schutz von Naturreservaten. Es wird vermutet, dass unter diesen Küstengebieten zirka 14 bis 16 Milliarden Barrel Rohöl lagern. Bei geschätzten Förderkosten von 40 US-Dollar und einem angenommenen Verkaufspreis von 100 US-Dollar wäre das ein Gewinn von etwa 1 Billion US-Dollar (1.000.000.000.000 US-Dollar). Was für ein Reibach für die US-Ölindustrie! Wenn man nur an dieses Öl rankäme!

Der republikanische Präsident George W. Bush war schon seit Jahren bemüht, dieses Verbot zu Gunsten der Ölindustrie aufzuheben. Aber da war dieser kleine, aufsässige, demokratisch dominierte Kongress, der dem Präsidenten Jahr für Jahr Widerstand leistete und den Umweltschutz vor die Interessen der Ölindustrie stellte.

Nur noch wenige Monate Zeit

Nun ging das Jahr 2008 ziemlich schnell dem Ende entgegen und mit ihm die Amtszeit des Präsidenten Bush. Sein wahrscheinlicher Nachfolger, der Demokrat Barack Obama, hatte sich zu diesem Zeitpunkt darauf festgelegt, die Bohrrechte nicht freizugeben. Also blieben der Öllobby nur wenige Monate Zeit, den Kongress zum Einlenken zu zwingen.

Der einzige Weg - außer Waffengewalt und hundertfacher Bestechung - war, den Ölpreis über die Futuremärkte so in die Höhe zu treiben, dass die Bevölkerung an der Zapfsäule rebellierte und in einem "Volksaufschrei" den Kongress dazu zwingen würde, das Bohrverbot aufzuheben. Denn schließlich standen bald Kongresswahlen an. Parallel zu den hohen Ölpreisen hetzte Bush die Bevölkerung auf: "Der Kongress nimmt die Bürger als Geiseln des Umweltschutzes!" - "Wenn wir an unsere eigenen Ölvorkommen herankämen, würden die Benzinpreise umgehend sinken." Das war natürlich absoluter Hafenkäse, weil es Jahre dauern würde, die Felder zu erschließen. Und: Die Vorkommen wären zwar profitabel, würden den Ölverbrauch der USA jedoch nur für wenige Jahre decken.

Aber die Taktik zeigte Erfolg. Die Stimmung in der Bevölkerung schlug um. Schnell war eine Mehrheit für ein Abschaffen des Bohrverbots: "Sch... auf den Umweltschutz! Wir wollen billigen Sprit!"

Bohrverbot aufgehoben

("...") Am 28. September 2008 konnte man es schwarz auf weiß lesen: In einer Nebenmeldung zum US-Rettungspaket wurde bekannt, dass der US-Kongress das Bohrverbot an den Küsten aufgehoben hat. In den folgenden Stunden brach der Ölpreis um zehn Prozent ein, um sich in den folgenden Wochen bis auf 70 US-Dollar zu halbieren. In den deutschen Zeitungen lesen Sie von diesen Hintergründen freilich nichts. Im Gegenteil. Hier heißt es: "Das Platzen des 700-Milliarden-Dollar-Rettungspakets führt zum Einbruch beim Ölpreis."

Der Ölpreis war jedoch längst um diese zehn Prozent gefallen, als das Abgeordnetenhaus das Rettungspaket ablehnte.

Der Text ist ein Auszug aus dem Buch "C(r)ashkurs - Weltwirtschaftskrise oder Jahrhundertchance? Wie Sie das Beste aus Ihrem Geld machen" von Dirk Müller, es ist kürzlich bei Droemer erschienen. Müller, besser bekannt als Mr. Dax, ist Deutschlands prominentester Kursmakler

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