Crashkurs (2): Inflation:Die Nebelkerze

Der Kassenbon im Supermarkt wird immer kürzer und der Betrag, der unten als Summe steht, immer höher: Das Problem Inflation. Teil zwei der Miniserie "Crashkurs".

Dirk Müller

Die Regierung spricht von zwei bis drei Prozent Inflation. Wir persönlich haben eher den Eindruck, als seien es zehn Prozent. Woher kommt der Unterschied? Wieso gibt es offiziell kaum Inflation, und dennoch haben wir immer weniger im Geldbeutel und müssen immer mehr für die Dinge des täglichen Bedarfs ausgeben? Sie kennen das: Der Bonzettel im Supermarkt wird zwar immer kürzer, der Betrag, der unten als Summe steht, aber immer höher. Und dennoch haben wir angeblich kaum Inflation. Wie geht denn das? Machen wir doch einmal die Windmaschine an! Was ist eigentlich Inflation?

Inflation

Wenn die Inflation steigt, bleibt immer weniger Geld im Portemonnaie.

(Foto: Foto: dpa)

("...") Unser Wirtschaftssystem ist auf Verschuldung angelegt, auf Konsumieren und Investieren, bevor die eigentliche Leistung erbracht wurde. Also wird einfach mehr Geld herausgegeben, als Wirtschaftsgüter existieren. Der Staat nimmt zum Beispiel einfach mal aus dem Nichts heraus neue Schulden auf (schafft also de facto neues Geld), um Straßen zu bauen.

In der Hoffnung, dass auf diese Weise neue Arbeitsplätze entstehen und dann mehr Menschen Steuern zahlen, mit denen die Schulden wieder zurückgezahlt werden können. So kann man die Wirtschaft ankurbeln, indem man ein wenig Inflation herbeiführt. Denn zunächst einmal gibt es ja etwas mehr Geld, als es echte Wirtschaftsleistung gibt. Die entsteht erst, wenn die Arbeitsplätze später wirklich geschaffen werden und die Straßen gebaut werden.

Das Problem mit den Zinsen

Allerdings sorgt unser System dafür, dass dies von Jahr zu Jahr neu geschieht. Immer mehr Verschuldung, um immer wieder neu die Wirtschaft wachsen zu lassen. Das wäre so weit kein Problem, wenn wir nicht den Zins und Zinseszinseffekt hätten. Denn von Jahr zu Jahr wachsen der Schuldenberg und die Zinslast. Also muss der Staat immer mehr Geld neu schaffen (Kredit aufnehmen), von dem ein immer größerer Teil nicht mehr zur Stimulierung der Wirtschaft, sondern zur Bedienung der Zinsen verwendet wird.

Diese Zinsen, die gezahlt werden, fördern aber nicht die Wirtschaft, sondern werden zu immer größeren Vermögen bei einigen wenigen gehortet. Also steht der Geldvermehrung keine gestiegene Wirtschaftsleistung gegenüber. ("...") Das Ergebnis ist Inflation!

Seit Jahrzehnten wurde an den Universitäten eine ganz einfache Methode zur Berechnung der Inflation gelehrt:

Geldmengenwachstum minus Wirtschaftswachstum = Inflation

Jetzt kommen wir langsam zu des Pudels Kern:

Geldmengenwachstum (M3) in der Bundesrepublik 2007: zirka 12 Prozent abzüglich Wirtschaftswachstum in der Bundesrepublik 2007: zirka 2,2 Prozent ergibt Inflation 2007: zirka 9,8 Prozent

Das entspricht schon eher meiner angeblich so falschen "gefühlten Inflation"! Hat mein Bauchgefühl - vielleicht sollte ich sagen: mein "gesunder Menschenverstand" - vielleicht doch recht!?

Wenn der Bürger für besonders blöd verkauf wird

Die Abgeordnetendiäten stiegen im Jahr 2007 um 9,4 Prozent. Beeindruckende Parallele! Da konnten wohl doch ein paar Leute rechnen ... Zumindest, wenn es um den eigenen Geldbeutel geht. Aber der Bürger wird mal wieder für besonders blöd verkauft! Dem erzählt man allen Ernstes, die Inflation läge bei zwei bis drei Prozent, und er wäre nur zu dumm, das zu verstehen, weil er halt nur die "gefühlte Inflation" spürt und die "großen, schwierigen" Zusammenhänge nicht versteht. Da kommt mir die Galle hoch!

In der Tat wurden diese angeblich großen und schwierigen Zusammenhänge nur zu einem einzigen Zweck geschaffen: als Nebelkerze, um den Bürger zu verschaukeln. Im Einzelnen funktioniert diese Nebelkerze übrigens ganz einfach: Man bildet einen sogenannten "Warenkorb". Klingt ja auch logisch. Warenkorb kennen Sie: Das ist das Teil im Supermarkt, in das Sie all die Dinge Ihres täglichen Bedarfs tun. Und genau so, wie am Einkaufswagen immer die Rolle am rechten Vorderrad klemmt und die eingeworfene Ein-Euro-Münze nicht mehr herauskommt (scheint ein Naturgesetz zu sein), klemmt es auch am bundesdeutschen Warenkorb. Da kommt einfach alles rein, was der Bürger (angeblich) braucht. Dann schauen wir, wie sich diese Preise verändern.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Wie der Trick mit dem Warenkorb funktioniert.

Die Nebelkerze

Das klingt ganz gut, ermöglicht aber eine Menge Tricks. Ich kann die Zusammenstellung in meinem Warenkorb beispielsweise so ändern, dass ich von den Dingen, die teurer werden, einfach weniger in den Warenkorb lege und dafür mehr von jenen Dingen, deren Preise fallen. So wurde die Gewichtung von Lebensmitteln, deren Preise in den letzten Jahren dramatisch anzogen, von 13,1 Prozent im Jahr 1995 auf 10,4 Prozent im Jahre 2005 reduziert!

Gleichzeitig wurde der Anteil von Freizeit und Kultur, zu dem auch die immer billiger werdenden Fernreisen zählen, von 10,4 auf 11,6 Prozent erhöht. Im Klartext heißt das: Man will der armen Rentnerin erklären, dass sie halt Pech hat, wenn ihr ganzes Geld, das sie nach den Ausgaben für Wohnen und Heizen noch übrig hat, für immer teurere Lebensmittel draufgeht. Würde sie weniger essen und stattdessen öfter nach Mauritius fliegen, hätte sie auch nicht so eine hohe persönliche Inflationsrate. Was für ein Zynismus!

Aber um dem ganzen die Krone aufzusetzen und weil dieser Trick alleine nicht den gewünschten Effekt erzielen kann (das ist ja schließlich schon eine Hausnummer, die Inflationsrate von 9,8 auf 2,2 Prozent zu "berichtigen"), wurde ein noch witzigeres Instrument geschaffen: die Hedonische Methode. Das klingt schon so, dass man sich gar nicht erst damit beschäftigen will. Soll es auch. Auf Deutsch klingt das schon viel interessanter: "Lustzugewinn".

"Ist halt zehn Prozent teurer geworden"

Da wird man doch hellhörig und schaut sich zur Erklärung ein Beispiel an: Sie benötigen einen neuen PC. Also gehen Sie in den Elektronikmarkt Ihres Vertrauens. Wie immer reicht für Ihre einfachen Word-Anwendungen das simpelste Modell aus. Sie stellen das Gerät an die Kasse und bezahlen 1100 Euro. Letztes Jahr haben Sie noch 1000 Euro bezahlt. "Na ja", denken Sie sich, "ist halt zehn Prozent teurer geworden." Aber am Ausgang steht ein Statistiker und rechnet Ihnen vor: "Nein, nein! Das sehen Sie völlig falsch! Letztes Jahr hatte der PC zwei GHz. Jetzt hat der Prozessor vier GHz. Da haben Sie ja einen Lustzugewinn von 100 Prozent!! Und das für nur zehn Prozent mehr Geld. In Wirklichkeit ist der PC also viel billiger geworden. Haben Sie sich schon überlegt, wofür Sie all das gesparte Geld jetzt ausgeben werden? Die Regierung rechnet fest damit, dass Sie damit die Konjunktur ankurbeln!"

Sie werden sich verwundert die Augen reiben, vorsichtig weitergehen und hoffen, dass der Irre nicht gefährlich ist ... Aber genau das passiert jeden Tag, an dem man Ihnen erzählen will, die Inflationsrate betrage nur 2,2 Prozent!

Der Text ist ein Auszug aus dem Buch "C(r)ashkurs - Weltwirtschaftskrise oder Jahrhundertchance? Wie Sie das Beste aus Ihrem Geld machen" von Dirk Müller, es ist kürzlich bei Droemer erschienen. Müller, besser bekannt als Mr. Dax, ist Deutschlands prominentester Kursmakler

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