Commerzbank: Aktionäre kritisieren Blessing:"Sie san a Pfui-Pfui-Vorstand"

Auf der Hauptversammlung der Commerzbank spucken die Aktionäre Gift und Galle. Vorstandschef Martin Blessing gerät schwer unter Beschuss.

Helga Einecke und Martin Hesse

Leicht lässt sich Richter Roland Glöckner nicht aus der Ruhe bringen. Am Montag, dem 11. Mai 2009, duldet er keine Störungen, denn er hat etwas wichtiges vor. Früher als üblich fährt er in seinem Büro im Frankfurter Amtsgericht den Computer mit dem doppelten Bildschirm hoch. Links ruft er das Handelsregister auf, rechts eine Urkunde.

Commerzbank Hauptversammlung, Martin Blessing, dpa

Gedrückte Stimmung auf der Hauptversammlung: Commerzbank-Chef Martin Blessing (stehend) muss heftige Kritik der Aktionäre einstecken.

(Foto: Foto: dpa)

Die Formulierungen sind fertig vorbereitet. Nun gibt er die Buchstaben und Zahlen ein, die für seine elektronische Unterschrift stehen. Um 7.32 Uhr meldet der Computer Vollzug. HRB 14.000 ist auf HRB 32.000 verschmolzen. HRB 32.000 steht für Commerzbank, HRB 14.000 für Dresdner Bank. Um 7.41 Uhr ist der komplette Eintrag von HRB 14.000 rot, die grüne Bank existiert von Amts wegen nicht mehr.

"Eigentlich ein schlanker Vorgang", urteilt der Richter. Die Uhrzeiten hat er sich trotzdem notiert. "Es waren doch besondere Momente", sagt er nachdenklich. Es gehe ja nicht um eine Trinkhalle, fügt er halb im Scherz hinzu. Als Beweis rollt er mit der Maus den aktuellen Registerauszug der Commerzbank hoch, in dem die Dresdner Bank samt ihrer 23.295 Mitarbeiter, 910 Filialen und einer Bilanzsumme von 421 Milliarden Euro verschwunden ist.

Blessing entschuldigt sich - fast

Für Martin Blessing, den jungen Chef der Commerzbank, sollte der Kauf der Dresdner Bank der ganz große Coup sein. Doch bei der Hauptversammlung am Freitag muss er sich vor seinen Aktionären für ein Milliardendesaster rechtfertigen. Erst gibt sich Blessing volksnah, plaudert im Foyer der überfüllten Jahrhunderthalle in Frankfurt-Höchst mit Aktionären. Später auf dem Podium entschuldigt er sich, weniger für Management-Fehler, sondern dafür, kein eloquenter Redner zu sein.

Den Kauf der Dresdner Bank verteidigt er mit häufig gehörten Argumenten. Die Lehman-Pleite und ihre Folgen für die Dresdner Bank seien nicht vorhersehbar gewesen, die strategische Logik sei nach wie vor richtig, man habe Verantwortung für Kunden und Mitarbeiter der Dresdner Bank. Immerhin räumt Blessing ein: "Wir hätten einfach mehr unseren gesunden Menschenverstand walten lassen sollen."

Die Stimmung kocht hoch

Doch so einfach lassen sie ihn nicht davonkommen. Die Stimmung kocht hoch, als Richard Mayer, ein Kleinaktionär aus Bayern an das Mikrofon tritt. "Wer garantiert uns denn, dass Sie auch 2009 und 2010 Ihren gesunden Menschenverstand nicht ausschalten?", fragt er mit einer Stimme und einem Temperament, die an den Schauspieler Hans Moser erinnern. "Sie san a Pfui-Pfui-Vorstand ersten Grades, ein grauenhafter Kapitalverwässerer!", schleudert der sichtlich erregte Mann dem Bankchef entgegen.

Anderen Aktionärsvertretern spricht er damit aus dem Herzen, auch wenn die meisten ihre Kritik milder formulieren. "Das strahlende Gelb unserer Commerzbank ist fahl und welk geworden", sagt Klaus Nieding von der Deutschen Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz. Von der Nummer zwei in Deutschland habe Blessing die Bank zum Sanierungsfall gemacht, fügt er hinzu. Dann folgen unangenehme Fragen.

Ging es dem Bank-Manager bei der Übernahme der Dresdner nicht eher um die Befriedigung von übertriebenem Ehrgeiz? Will er etwa zur Nummer eins des deutschen Geldgewerbes - der Deutschen Bank - aufschließen und damit alte Fehler der Dresdner Bank wiederholen? Hat sich Blessing einen Sanierungsfall, ja eine "finanzielle Neutronenbombe" ins Haus geholt, mit dem schon die Chefs der Allianz nicht fertig wurden? Gibt es einen einzigen guten Grund für diese Übernahme? "Verziehen Sie sich aus diesem Vorstand und nehmen Sie die Dresdner Bank gleich mit", ruft Aktionär Meier.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie die Aktionäre zur Dresdner Bank stehen - und die Gründe für deren Untergang.

Das verlorene Wir-Gefühl

Die HRB 14.000 ist bei den Aktionären des neuen Eigentümers Commerzbank nicht willkommen. Wer eine Ahnung davon bekommen möchte, warum die Dresdner Bank am 11. Mai 2009 untergegangen ist, muss in das Frankfurter Bahnhofsviertel gehen. Zwischen Fixerstuben, Pornokinos und Ramschläden liegen hier einige meist unscheinbare Bürogebäude der einst stolzen Bank verstreut.

Im vierten Stock eines solchen Hauses in der Taunusstraße sitzt Wolfgang Wannemacher. Seine weißen Haupt- und Barthaare umrahmen ein freundliches Gesicht mit Lachfältchen in den Augenwinkeln. Seit fast 41 Jahren arbeitet er für die Dresdner Bank, die vergangenen 15 Jahre war er als Betriebsrat freigestellt. "Die Bank ist hier im Bahnhofsviertel verwurzelt. Wir waren eben schon immer mitten im Leben", sagt Wannemacher.

Die Commerzbank will jetzt die meisten der Gebäude im Bahnhofsviertel schnell räumen. Leer steht schon heute das Jürgen-Ponto-Hochhaus. Ein zwei Meter hoher Bretterzaun riegelt den silbernen Turm ab, den die Dresdner Bank 1978 als damals höchstes Bankgebäude Kontinentaleuropas an den Rand des Bahnhofsviertels stellte. Ein Jahr vorher war der damalige Vorstandssprecher Jürgen Ponto von Terroristen der RAF ermordet worden. "Das war der erste große Einschnitt", erinnert sich Wannenmacher.

Kühler Umgang

Die Bank mit dem Slogan vom grünen Band der Sympathie verlor eine Führungspersönlichkeit, mit der sich damals auch die einfachen Mitarbeiter identifizierten. "Das berühmte Wir-Gefühl der Dresdner Bank, das kennen viele Mitarbeiter gar nicht mehr", beklagt Wannemacher in weichem hessischen Singsang. Irgendwann zwischen Pontos Tod 1977 und heute ist es verloren gegangen. Was aber machte dieses Gefühl aus?

Der Mann mit dem kurzärmeligen, karierten Hemd wird nachdenklich, wenn man ihn das fragt. Das sei schwer zu greifen, sagt er. Er spricht über Mitarbeiter-Förderung, die Dresdner-Bank-Meisterschaften, und dann fängt er an, dieses Gefühl in der Abgrenzung zur Deutschen Bank zu suchen. Als man den Kollegen von dem großen Konkurrenten bei den Fusionsgesprächen Anfang 2000 gegenüber saß, da sei man erschrocken, wie kühl die miteinander umgingen. Abends tranken die Dresdner Banker auf dem Wochenmarkt am so genannten Kaisersack am Ende der Kaiserstraße den Weinstand leer und diskutierten ihre mögliche Zukunft bei der Deutschen Bank.

Die Treffen am Weinstand blieben, doch ansonsten kam alles anders. Die Fusion mit der Deutschen Bank platzte, es folgte der erste große Stellenabbau und im Frühjahr 2001 der Verkauf an die Allianz. "An dem Tag, als die Allianz uns übernahm, stand fest, dass es die Dresdner Bank nicht mehr geben soll", sagt Wannenmacher. Das war fast auf den Tag genau vor acht Jahren. Der Versicherungskonzern habe alles aus der Bank herausgezogen, womit man Geld verdienen konnte. Der von der Allianz installierte Dresdner-Chef Herbert Walter legte ein Sanierungsprogramm nach dem anderen auf, doch als die Finanzkrise kam, stand die Bank endgültig am Abgrund.

Zum Sterben zu groß, zum Leben zu klein

Als die Allianz im März 2008 ankündigt, die Dresdner Bank solle aufgespalten werden, schöpfen viele in der Bank Hoffnung. Sie glauben, das Investmentbanking soll verkauft werden. Jene Sparte, die allein 2008 rund sechs Milliarden Euro Verlust anhäufte. Im Wettlauf mit der Deutschen Bank hatte sich die Dresdner 1995 dazu hinreißen lassen die Londoner Investmentbank Kleinwort Benson zu übernehmen.

Doch im Investmentbanking war die Bank zum Sterben zu groß, zum Leben zu klein. Und weil auch die Commerzbank-Tochter Eurohypo Milliarden abschreiben muss, kann nur noch der Staat die beiden kranken Banken retten. Der Staat wird mit Milliarden der Steuerzahler Miteigentümer und Mitbestimmer der Commerzbank, auch das erbost die Aktionäre am Freitag auf der Hauptversammlung.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Commerzbank-Chef Martin Blessing die Lage einschätzt - und warum ein Werbespot bei Mitarbeitern beider Banken Verbitterung löst.

Verbitterung statt Zuversicht

Blessing versucht es mit Zuversicht. "Wir haben allen Widrigkeiten zum Trotz das ehrgeizigste Projekt an den Start gebracht, das es im deutschen Bankensektor gegeben hat. Und die Integration der Dresdner Bank ist gut angelaufen", beschreibt er den Status Quo. Doch an der Basis tun sie sich schwer, zueinander zu finden. Vor einigen Filialen haben Mitarbeiter am Tag der Auslöschung ihrer Bank in der Mittagspause eine Gedenkminute eingelegt.

"Wir haben Jahrzehnte mit dem Gedanken gelebt, wir sind die Nummer zwei, wir sind größer und besser als die Commerzbank", sagt Wannemacher. Umso ernüchternder sei es gewesen, von der kleineren Bank gekauft zu werden. Vor allem aber fürchten viele um ihren Job. 9000 Stellen sollen weltweit wegfallen, allein 6500 in Deutschland.

Einen Integrations-Konflikt-Eskalations-Ausschuss hat Blessing einrichten lassen. Doch so viel sich die Beauftragten auch ausdenken, um die beiden Mannschaften zusammenzuschweißen, so groß bleiben die Vorbehalte. Die Manager haben ein Symbol für die Integration entwickelt, gelbe und grüne Jahresringe, die ineinandergreifen und mit dem Motto "Zusammen wachsen" betitelt sind.

Offene Fragen

Und wenn die Mitarbeiter ihre Arbeit am PC eine Weile ruhen lassen, poppt dieses Logo auf und es folgt ein Werbespot, in dem Mitarbeiter beider Banken gemeinsam auftreten. Bei jenen Beschäftigten, die wissen, dass ihre Stellen abgebaut werden, löst der Spot jeden Tag aufs neue Verbitterung aus.

Nun ist es vorbei. Doch was löst das Ende des 137 Jahre alten Unternehmens aus bei Mitarbeitern wie Wannemacher, die ihr Leben mit der Bank geteilt haben? "Es ist, als wenn ein Angehöriger, den man viele Jahre gepflegt hat, nach langer schwerer Krankheit stirbt", sagt er ernst. Er habe sich lange darauf vorbereitet. Am 1. September geht er. Für den Pflegenden fängt das Leben wieder neu an.

Die neue Commerzbank, wie ihr Chef Blessing sein Konglomerat aus Dresdner und Commerzbank nennt, soll nach dem Willen ihrer Manager, Eigentümer und Mitarbeiter auch leben. Ja sie soll sogar 2011 wieder Gewinne erwirtschaften und sich aus der staatlichen Umklammerung herauslösen. Am Freitag blieb vor Tausenden von Aktionären die Frage offen, ob es dabei um reines Wunschdenken ehrgeiziger Vorstände oder um ein machbares Projekt geht, bei dem der gesunde Menschenverstand waltet.

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