Boom bei Ostprodukten:Ein Hauch von DDR

Nudossi, Rotkäppchensekt, Tintex-Fleckenlöser, Brockensplitter und der Croma-Rasierer - Ostprodukte sind gefragt wie nie zuvor. Doch mit Ostalgie hat das kaum etwas zu tun.

Thomas Trappe

Die Schokolade, die Fred Thieme gerade im Regal gefunden hat, kennt er seit seiner Kindheit. "Die hat mir damals geschmeckt, und die schmeckt heute immer noch", sagt der Mann mit der schwarzen Schiebermütze. Brockensplitter, mit Krokant gefüllte Vollmilchschokolade aus dem Harz, seien schon zu DDR-Zeiten schwer zu bekommen gewesen, sagt Thieme. Und auch heute musste er etwas suchen, ehe er das Geschäft Ostpaket am Berliner Alexanderplatz fand. Thieme lächelt - ebenso wie eine Frau, die ein paar Meter weiter einen Trabi entdeckt hat, aufgestickt auf ein Frotteehandtuch. Sie wird es dem sächsischen Schwager schenken. In dem Laden ist viel los. Doch jünger als 50 ist kaum einer der Kunden. Fred Thieme ist 65.

'Kaufhalle des Ostens' in Hermsdorf bietet breite Palette von DDR-Produkten

Konsumforscher sehen einen Trend, der noch länger anhält: "Die Nachfrage nach Ostprodukten wächst - und der Gipfel ist sicher noch nicht erreicht."

(Foto: dapd)

Zu Gast im Ostpaket: Ein Gemischtwarenladen, der vom Tintex-Fleckenlöser über Kyffhäuser Käseköstlichkeiten und Nudossi bis hin zum Croma-Rasierer so ziemlich alles bietet, was die Wende überlebte. Es ist eines der größten Geschäfte für Ostprodukte. Ähnliche Shops gibt es überall in den neuen Bundesländern. Sie alle bieten Waren mit Erinnerungswert, setzen also auf Kunden, die den größten Teil ihres Lebens in der DDR verbracht haben. Eigentlich kein Umstand, der eine Perspektive verspricht. Doch Wolfgang Adlwarth von der Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) sieht einen Trend, der noch länger anhält: "Die Nachfrage nach Ostprodukten wächst - und der Gipfel ist sicher noch nicht erreicht."

Nische für Missverständnisse

Reiner Karsten leitet zusammen mit seiner Lebensgefährtin Bianca Schäler das Ostpaket. In den ersten Tagen des neuen Jahres sind die beiden Mittfünfziger mit der Inventur beschäftigt. Die Bilanz für 2011 haben sie gerade erstellt: Der Umsatz liege im mittleren sechsstelligen Bereich - und mehr als ein Viertel über dem im Vorjahr, sagt Karsten. Seit zehn Jahren hat das Paar den Laden. In den vergangenen zwei Jahren wurde angebaut: Im Erdgeschoss der alten Markthalle gibt es jetzt zusätzlich das Geschäft Ostblock mit Waren aus den ehemaligen Bruderstaaten. Außerdem das Geschenkekombinat, in dem man T-Shirts bedrucken lassen kann, etwa mit Ampelmännchen, ein Wendegewinner. "Wir haben unsere Nische gefunden", sagt Karsten.

Eine Nische auch für Missverständnisse: Der Trabant auf Handtüchern, der Trabant als Miniaturauto, direkt am Eingang des Ostpakets - das weckt durchaus den Verdacht, dies sei ein Laden für Ostalgiker. Das Wort bringt Thieme in Rage: "Wenn jemand im Westen wie eh und je seine Niveacreme nutzt, dann nennt man ihn doch auch nicht Westalgiker." Tatsächlich sind DDR-Devotionalien im Ostpaket eher die Ausnahme. Bestimmt wird das Sortiment von Waren für den täglichen Gebrauch und Lebensmitteln. "Wir verkaufen Sachen, die die Leute schon lange kennen und die sie nur hier auf einem Fleck finden", sagt Bianca Schäler.

Auf eine bestimmte Altersgruppe lasse sich die Kundschaft nicht festlegen, widerspricht die Chefin dem Eindruck, den man gerade noch im Laden gewinnen konnte. "Wir haben genügend jugendliche Kunden, denen manche Sachen einfach schmecken und die dann zu uns kommen." Schäler weist, um zu verdeutlichen, auf eine Packung Nougat von Viba, hergestellt in Thüringen.

"Überlebt haben vor allem Traditionsmarken"

Der Konsumforscher Adlwarth nennt das eine "solide Mittelmarke": Unterhalb des Premium-, oberhalb des Billigsegments ließen sich fast alle Produkte einordnen, die in den Ost-Shops verkauft werden. "Die Kunden suchen einen guten Preis und gute Qualität", sagt er. Ostalgie spiele dabei kaum eine Rolle, es sei denn, man verstehe die übliche Markenbindung als solche. Das sei auch der Grund, dass sich Ostläden länger halten als sich die Menschen zwischen Ostsee und Erzgebirge noch ausdrücklich als Ossis verstehen. Produkte, die sich heute wegen des Labels Ost verkaufen, würden sich auch weiter verkaufen. Nicht weil sie aus dem Osten kämen, sondern aus der Region. "Das passt auch in den bundesweiten Trend des regionalen Markenbewusstseins."

Im Umkehrschluss heißt das aber auch, dass es ostdeutschen Unternehmen weiter schwer fallen wird, im Westen Fuß zu fassen - und die Nische zu verlassen. Wenn die Expansion klappt, dann nur langsam und bei großen Marken wie Hasseröder Pils oder Bautzner Senf. Das belegen Statistiken der GfK aus den vergangenen Jahren. Das bundesdeutsche Erfolgsmodell Rotkäppchensekt ist bis heute eine der wenigen Ausnahmen.

Wie viele Produkte es aus der DDR ins wiedervereinigte Deutschland geschafft haben, vermag Adlwarth nicht zu sagen. "Überlebt haben vor allem Traditionsmarken." Die Geschichte dieser Marken ähneln sich - häufig erzählen sie von einem Kampf, der Anfang der Neunziger am Rand des Untergangs ausgefochten wurde. Zwei bis drei Jahre, sagt Adlwarth, habe es gedauert, bis die Ostdeutschen wieder zu den alten Produkten griffen. "Vorher bestand ein ungeheurer Nachholbedarf und damit eine Lust auf Westprodukte."

Reiner Karsten und Bianca Schäler profitieren nun vom Gegentrend. Dass der allerdings nicht ewig anhalten wird, das wissen auch sie. "Wir müssen auf der Höhe der Zeit bleiben", sagt Karsten. Seine Partnerin verweist auf die vielen Ostläden in den neuen Bundesländern, die nicht nur mit Produkten aus der DDR aufwarten, sondern auch mit einem Ladendesign, das an die vergangenen Zeiten erinnert. Ein Verkaufskonzept, das einzig auf Ostalgie setze, sagt sie, und damit eines, das zum Scheitern verurteilt sei. Karsten: "Unsere Kunden wollen ja nicht zurück in die Siebziger, sondern einfach etwas kaufen, das sie kennen."

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