Börsen:Die Trottel tanzen, die größeren Trottel schauen zu

Ein Jahr nach dem Lehman-Crash knackt der Dow Jones die 10.000-Punkte-Marke - obwohl die Rezession noch nicht vorbei ist. Platzt bald die nächste Blase?

C. Hoffmann

New York, 29. März 1999: Von der Balustrade der Börse schweben Konfetti, die Händler auf dem Parkett reißen die Arme empor, die Manager in den Banktürmen lassen Champagnerkorken knallen: Der Dow-Jones-Aktienindex hat erstmals die Marke von 10.000 Punkten erreicht. Ein beispielloser Börsenboom hatte die amerikanischen Aktienkurse auf immer luftigere Höhen gejagt - und weite Teile der Bevölkerung spekulierten mit. So war es vor zehn Jahren, als die Menschen von einer neuen Epoche träumten, von ewigem Wachstum ohne Inflation. Heute - zwei Börsencrashs später - notiert der Dow wieder über der magischen Marke von damals. Und wieder fragen sich verwunderte Beobachter, ob die Euphorie nicht längst gesiegt hat über die Realität, ob die Gefahr eines Rückschlags wächst.

Dow Jones, AP

Der Dow knackt die 10.000-Punkte-Marke - und die Wall Street ist begeistert.

(Foto: Foto: AP)

Ein Jahr nach dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers wird wieder hemmungslos spekuliert an den Aktienmärkten und Rohstoffbörsen, in New York genauso wie in Frankfurt oder Shanghai. Die Rezession ist noch gar nicht recht beendet, da entfalten die Fluten, die über die Welt wogen, ihre volle Wirkung: Die Notierungen der Aktien, die Kurse von Unternehmensanleihen, die Preise vieler Rohstoffe steigen, als sei nichts gewesen. Und die Wall-Street-Banker? Sie machen einfach weiter und investieren eifrig Geld, wo immer es Gewinne verspricht.

Billiges Geld? Kein Problem

Pumpen die Börsianer schon wieder neue Blasen auf? Es sieht ganz so aus. Auf Teufel komm raus wird Geld gedruckt, damit das Finanzsystem nicht kollabiert und dem beängstigenden Kursabsturz keine Neuauflage der Großen Depression folgt. Die Notenbanken verteilen zum Nullzins Geld an die Kreditinstitute, damit diese nicht an ihren Fehlspekulationen zugrunde gehen. Und die Staaten schaufeln Abermilliarden in die Wirtschaft, um die Konjunktur in Schwung zu bringen. Noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg war die Geld- und Wirtschaftspolitik weltweit so großzügig wie heute. Notenbanken und Regierungen ziehen alle Register, um eine Weltwirtschaftskrise abzuwenden. Wie es aussieht, ist der Versuch geglückt.

Allerdings hat die Rettung ihren Preis: Der Aufschwung an den Börsen ist nur geliehen. Er lebt vom vielen Geld, das in die Wirtschaft geschaufelt wird. Doch er kann nicht von Dauer sein, solange Unternehmen nicht investieren, Haushalte nicht konsumieren und Banken kaum Kredite vergeben. Doch das alles tun sie nicht, jedenfalls nicht genügend.

Wenn Gier Dummheit trifft

Und so erinnert das Wunder von der Wiederauferstehung der totgesagten Weltwirtschaft an ein Pyramidenspiel: Viele Staaten haben sich bis zum Anschlag verschuldet, um maroden Banken und abgewirtschafteten Unternehmen zu helfen. Zu den alten Lasten kommen neue. Die amerikanische Notenbank beispielsweise wies zur Jahresmitte 52,8 Billionen Dollar Kredite für die gesamte Volkswirtschaft aus: Geld, das sich Regierung, Unternehmen und Privatleute von den Bürgern geliehen haben.

Dem steht eine Wirtschaftleistung von zuletzt 14,2 Billionen Dollar gegenüber. Damit beträgt die Schuldenquote mehr als 370 Prozent des Bruttoinlandsprodukts - mehr als jemals zuvor in der US-Geschichte. Und so wird auf die "kreditfinanzierte Wachstumsblase", wie Peer Steinbrück die Zeit vor der Lehman-Pleite nannte, die nächste Blase gesetzt. Gleichzeitig pumpen die Notenbanken weiterhin munter Geld in den Kreislauf. Das treibt die Kurse an den Finanzmärkten.

Gier und Dummheit

Von irrationalem Überschwang kann aber noch keine Rede sein. Gemeinhin gelten Gier oder Dummheit als Ursache von Spekulationsblasen. Die Gier der Boni-Banker hat den amerikanischen Verbrauchern erlaubt, über ihre Verhältnisse zu leben und Häuser zu bauen, die sie sich nicht leisten konnten. Und die Dummheit von Firmenchefs hat es möglich gemacht, dass sich viele Banken mit Giftpapieren verzockten.

Es gibt aber noch eine dritte Quelle für Übertreibungen an der Börse: Blasen platzen, weil Anleger der schlichten Logik von Finanzmärkten gehorchen. Solange die Musik spielt, muss getanzt werden. Mit anderen Worten: Solange die Notenbanken für viel billiges Geld sorgen, geht die Party an den Börsen weiter. Es handelt sich also um eine Art rationalen Überschwang, wenn der Dow über 10.000 Punkte steigt. Die Anleger wetten auf steigende Kurse, weil es auch andere tun, wohl wissend, dass die Rally nicht durch die ökonomische Realität gedeckt ist. Barton Biggs, der große US-Investor, hat das einmal so formuliert: "Nur Trottel tanzen, die noch größeren Trottel aber sehen dabei zu."

Und so könnte die Party noch eine Weile weitergehen, auch wenn die Preise von Aktien, Anleihen und Gold schon kräftig gestiegen sind. Gefährlich wird es erst, wenn die Musik stoppt: Wenn die Notenbanken bremsen und den Staaten das Geld für weitere Wohltaten ausgeht, gilt es schnell einen sicheren Platz zu ergattern - bevor die Blase platzt.

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