Börse:Die Rally des Bären

Deutsche Aktien nähern sich ihrem Stand vor dem Schwarzen Montag im Januar an - doch Experten halten dies nur für ein trügerisches Zwischenhoch.

Simone Boehringer

Die Industrie boomt, die Arbeitslosigkeit sinkt, und Star-Investoren wie Warren Buffett wollen Geld in deutschen Firmen anlegen. Das klingt nach der besten aller Welten für die Börse.

Tatsächlich hat der Dax eine bemerkenswerte Aufholjagd hinter sich: Seit dem Tiefstand Mitte März hat das wichtigste deutsche Aktienbarometer um etwa 15 Prozent zugelegt. Damit hat sich der Dax binnen weniger Wochen dem Stand vor dem sogenannten Schwarzen Montag angenähert: Am 21. Januar waren die Kurse weltweit abgestürzt, der Dax war um mehr als sieben Prozent eingebrochen. Der Anlass: In Amerika war der Notverkauf der fünftgrößten Investmentbank Bear Stearns bekannt geworden.

Es folgten Milliarden-Abschreibungen weiterer Banken in Amerika und Europa, und die großen Notenbanken, allen voran die amerikanische Fed, aber auch die Europäische Zentralbank (EZB), fluteten das Finanzsystem mit Geld, um einen Kollaps zu verhindern. Inzwischen haben Branchengrößen wie Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann vorsichtig das Auslaufen der globalen Kreditkrise aufgerufen. Weltweit, selbst im Ursprungsland der Immobilienkrise, den USA, zogen die Aktienkurse seit Mitte März deutlich an.

Die große Frage, die sich nun viele Investoren stellen: Ist der jüngste Aufwärtstrend nur ein trügerisches Zwischenhoch, eine sogenannte Bärenrally inmitten einer länger anhaltenden Aktienbaisse? Oder sind die Kurse schon wieder längerfristig auf dem Weg nach oben? Die gesammelten Analystenschätzungen des viel beachteten Branchendienstes Ibes verheißen auf den ersten Blick nur Gutes: So rechnen die dort aufgeführten Aktienexperten im Schnitt mit einer Steigerung der Dax-Gewinne bis 2009 um rund 16 Prozent. In Euroland insgesamt sollen die Erträge um mehr als zehn Prozent steigen, in den USA sogar um 18 Prozent. Nur für das laufende Jahr sind die Prognosen teils verhaltener: So dürften die Dax-Gewinne trotz des jüngsten Rekordquartals für die Industrie im Vergleich mit 2007 leicht sinken, meinen die Ibes-Analysten. Für Euroland könnte immerhin ein Gewinnplus von fünf Prozent drin sein, für die USA zehn Prozent.

Konjunktur lässt nach

Im Gespräch mit der SZ halten einige Experten diese sogenannten Konsensusprognosen jedoch teilweise für übertrieben. "Die deutschen Unternehmen operierten zuletzt mit Rekordmargen und Rekordumsätzen. Das Umfeld an den Weltmärkten lässt es kaum zu, dieses Niveau zu halten", sagt etwa Stefan Steib, Leiter des Aktienresearchs bei der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW). Eberhardt Unger, Chefökonom des unabhängigen Analysehauses Fairesearch, findet, dass zu viele "Berufsoptimisten" in seiner Zunft unterwegs sind. "Offenbar will niemand die Rezession in Amerika und die sich abschwächenden Wachstumsraten wahrhaben", so Unger. Beide Experten halten die jüngste Aufholjagd an den Börsen für "stark liquiditätsgetrieben", wie es im Fachjargon heißt. "Das Geldmengenwachstum in Amerika und Europa ist schon seit Monaten zweistellig. Dieses Geld muss investiert werden", erklärt Unger.

Tatsächlich rechnen viele US-Volkswirte ihrem Land inzwischen eine schrumpfende Wirtschaftsleistung vor. Und für Europa mehren sich die Zeichen der Abkühlung. So meldete das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) am Dienstag einen überraschend starken Einbruch ihres Konjunkturindikators für Deutschland. ZEW-Chef Wolfgang Franz sagte, die Konjunkturdynamik werde "an Fahrt verlieren". Als Folge der Finanzkrise werde es für Firmen teurer, Kredite aufzunehmen und zu investieren.Auch das Weltwirtschaftsklima trübte sich im zweiten Quartal laut dem Münchner ifo-Institut weiter ein und erreichte ein Sechs-Jahres-Tief. Im ersten Quartal 2008 hatte die deutsche Wirtschaft im Vergleich zum Vorquartal noch um 1,5 Prozent zugelegt - so viel wie seit zwölf Jahren nicht mehr. "

Zurzeit sind Aktien noch relativ günstig", meint Fondsmanager Karl Fickel, Chef der auf deutsche Aktien spezialisierten Anlagegesellschaft Lupus Alpha. "Aber wenn die Unternehmen erst anfangen, ihre Gewinnprognosen zu revidieren, was aufgrund der unsicheren Lage an den Weltmärkten sehr gut möglich ist, sind viele Papiere schnell sehr teuer." Fickel glaubt nicht an die beschwichtigenden Worte aus der Finanzbranche zur Kreditkrise: "Die strukturelle Bereinigung der Banken hat noch gar nicht begonnen." Ähnlich sieht es auch "Steib von der LBBW: "Die Panik ist aus dem Markt, aber die Probleme bleiben. Das Störpotenzial der Krise für den Rest der Welt wird unterschätzt."

Für den Dax prognostiziert Steib in den nächsten drei Monaten ein Absinken auf 6500 Punkte. Und was sollen Anleger tun? "Investieren wie Warren Buffett, in Unternehmen, deren Geschäftsmodell auch in zehn Jahren noch trägt, und in Produkte, die jeder braucht", rät Fickel.

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