Bildungspaket für arme Kinder:Abkassieren mit Hartz IV

Die Reform der Hartz-IV-Regelungen sollte mehr Mittagessen für arme Kinder ermöglichen. Stattdessen versickert das Geld bei den Kommunen, weil diese nun ihre eigenen Zahlungen einstellen.

Thomas Öchsner, Berlin

Wenn Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen über das Bildungs- und Teilhabepaket für arme Kinder redet, vergisst die CDU-Politikerin nie, ein Detail zu erwähnen: Die Kinder, sagt sie, hätten jetzt einen Anspruch auf ein "warmes Mittagessen" in der Schule oder Kindertagesstätte.

Bildungspaket für arme Kinder: In vielen Fällen stand das Essen für bedürftige Kinder schon auf dem Tisch - jetzt kommt lediglich das Geld aus einem anderen Topf.

In vielen Fällen stand das Essen für bedürftige Kinder schon auf dem Tisch - jetzt kommt lediglich das Geld aus einem anderen Topf.

(Foto: AP)

Dabei konnte man den Eindruck gewinnen, sie wären bislang leer ausgegangen und hätten, zugespitzt formuliert, hungernd zusehen müssen, wie ihre Mitschüler, deren Eltern nicht im Hartz-IV-Bezug sind, ihre Spaghetti Bolognese verschlungen haben. Tatsächlich haben bereits viele Kommunen und einige Länder in Deutschland ein Mittagessen für bedürftige Kinder ganz oder teilweise bezahlt, und die freuen sich jetzt über den Geldregen aus Berlin.

"Das Bildungspaket wird dazu führen, dass viele freiwillige Leistungen vor Ort zurückgefahren werden, weil der Bund ab sofort dafür gerade steht. In solchen Fällen ist das Ganze nichts anderes als ein finanzieller Verschiebebahnhof, ohne dass es für arme Kinder mehr oder bessere Leistungen geben muss", sagt Werner Hesse, Geschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands.

Diese Woche verkündete die sächsische Stadt Zwickau: Der Ernährungszuschuss für Kinder aus Hartz-IV-Familien wird eingestellt - wegen der neuen Mittel aus dem Bildungspaket des Bundes. Solche Meldungen häufen sich in diesen Tagen.

Richtig überraschend kommt dies nicht. Insgesamt hat der Bund für das Bildungspaket 1,6 Milliarden Euro veranschlagt. Ein Großteil davon ist für das Mittagessen in Schulen und Horten sowie für Schulsozialarbeiter vorgesehen. "Die Kommunen werden deshalb mit Blick auf ihre Finanzen versucht sein, ihre eigenen Programme zu ersetzen und die Nettoentlastung in erster Linie zur Konsolidierung ihres Haushaltes zu nutzen", sagt Hesse.

Stephan Articus, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, sagt dazu: Ob eine Kommune künftig aus eigener Kraft zusätzliche Leistungen erbringe, "hängt auch von der jeweiligen Haushaltslage ab".

München wird nicht weiterzahlen

In Bayern sorgt die Landesregierung schon jetzt für Schüler aus Hartz-IV-Familien. Sie legt einen Euro pro Mittagessen dazu, wenn auch die Kommune dafür ein Euro herausrückt. In München funktioniert dies seit Jahren tadellos.

Künftig wird die Stadt für die zuletzt knapp 3300 Schulkinder nicht mehr zahlen, weil das Geld vom Bund kommt. "Wir sind freiwillig eingesprungen. Das müssen wir jetzt nicht mehr", heißt es beim Sozialreferat München. Mit Sparen habe dies nichts zu tun. "Wir nehmen ja niemanden etwas weg", sagt eine Sprecherin.

Ähnlich wird es in München bei Musikschulen und Sportvereinen laufen. Wer einen Hartz-IV-Bescheid der Musikschule vorzeigte, musste keinen Beitrag überweisen. Künftig gibt es dafür Geld aus dem Bildungspaket. Bei den Sportvereinen übernahmen Spender den Beitrag für bedürftige Kinder. Auch hier gibt es Zuschüsse vom Bund. Das Sozialreferat denkt nun aber daran, Spenden für die Sportausrüstung zu verwenden.

Auch Nordrhein-Westfalen wird wohl sparen

In Nordrhein-Westfalen existiert ebenfalls bereits ein Landesfonds "Kein Kind ohne Mahlzeit." 70 Millionen Euro stehen dafür bereit. Ein Euro pro Mittagessen gibt die Landesregierung, ein Euro die Eltern, 50 Cent die Kommune. Klar ist schon jetzt, dass das Land dafür in Zukunft nicht mehr selbst zahlen wird. Nur für Härtefälle, etwa für Kinder von Asylbewerbern, die aus dem Bildungspaket keine Hilfe erwarten können, könnte es zukünftig noch Landesgeld geben, heißt es im Sozialministerium.

In Berlin erhalten 178.000 Kinder und Jugendliche Leistungen nach Hartz IV. Viele nutzen die Chance auf ein günstiges Mittagessen. 23 Euro zahlt das Land dafür im Monat. Auch hier ist sicher: Der Tisch ist weiter gedeckt - mit Geld vom Bund. Derzeit wird diskutiert, ob die eingesparten Mittel direkt in die Sparbüchse des Finanzsenators wandern.

Werner Hesse vom Paritätischen Wohlfahrtsverband hofft, dass es nicht nur zu Mitnahmeeffekten beim Bildungspaket kommt. "Es wäre schön, wenn die Kommunen frei werdende Mittel in die Jugendhilfe stecken, um andere Förder- und Bildungsangebote zu finanzieren."

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