Berlin:Kulturkampf am Ufer

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Das Projekt "Mediaspree" ist ins Stocken geraten, aber es soll weiter gebaut werden. Bei den Bürgern ist der Widerstand ungebrochen.

Von Laura Weißmüller

Bunte Leggins, Bier in der Hand und elektronische Beats, das ist die Grundausstattung der Berliner Mittzwanziger, egal, ob sie gerade der Morgensonne entgegenfeiern oder aber an einer Demo teilnehmen. Etwa zehn Vertreter davon, die dem Standardoutfit noch ein paar bunte Federn hinzugefügt haben, rüsten sich gerade für ihren Protest und bemalen auf der Jannowitzbrücke Plakate. Nur eine Spreekurve weiter liegt das historische Nikolaiviertel, wo sich im gleichen Moment beige gekleidete Touristengruppen durch die Gassen schieben. Die gutgelaunten Demonstranten scheinen Lichtjahre davon entfernt zu sein.

Demonstration gegen das "Mediaspree"-Projekt in Berlin: Ein Boot zieht eine riesige Baby-Figur über die Spree. (Foto: Foto:)

Vor gut einem Jahr haben mehr als 87 Prozent der Wähler aus Friedrichshain-Kreuzberg in einem Bürgerentscheid gegen eine dichte Bebauung des Spreeufers zwischen der Michaelbrücke in Mitte und der Elsenbrücke in Treptow gestimmt. Investoren wollen hier unter dem Titel "Mediaspree" Hochhäuser und Neubauten am Fluss hochziehen. Die gigantischen Pläne reichen nicht nur bis zehn Meter an die Spree heran, sondern bedeuten auch das Aus für viele kulturelle Zwischennutzungsprojekte. Gerade die haben jedoch entscheidend zum Ruf Berlins als kreative Partystadt beigetragen - und locken jedes Wochenende Tausende von feierwütigen Easyjet-Touristen aus aller Welt in die Hauptstadt.

Da das Ergebnis des Bürgerentscheids jedoch nicht bindend ist, halten die Investoren - sofern sie schon ein Baurecht haben - an ihren Großprojekten fest. Aber auch die Seite der Kreativen will nicht kampflos aufgeben: "Megaspree", ein Bündnis aus Clubbetreibern und Kulturschaffenden, hat sich formiert und setzt sich - wie zuletzt bei einer Demo-Parade mit mehreren Tausend Menschen - für ein Spreeufer ein, das den Bewohnern mehr als nur zehn Meter zugänglich ist und weiterhin Platz für alternative Lebensentwürfe bietet.

Kronleuchter an den Bäumen

Ein buntes Beispiel dafür befindet sich gleich bei der Michaelbrücke an der Kreuzberger Uferseite. Seit vier Jahren existiert dort der "Schwarze Kanal", 25 Menschen leben hier in phantasievoll umgebauten Bauwagen. Ende des Jahrs sollen sie den Platz räumen, der Eigentümer Hochtief will dort seinen Firmensitz errichten. "Berlin wirbt mit seiner Vielfalt, dazu gehören auch wir", sagt Nadine, die hier seit einigen Jahren wohnt. Sie versteht nicht, dass ihre bunt angestrichenen Wohnwägen einem neuen Hochhaus weichen müssen - obwohl gerade am Spreeufer viele Büroflächen leer stehen.

Weiter stadtauswärts an der Kreuzberger Uferseite sieht man tatsächlich immer wieder "Zu vermieten"-Banner an den Häusern. Sogar neben dem "Schwarzen Kanal" hängt ein Plakat, und auch im Deutschen Architektur Zentrum (DAZ) nebenan sollen Büros leerstehen. Wer hinter den schick umgebauten Klinkerbau des DAZ zur Spree hinunter geht, findet mitten in dem für das Spreeufer bislang noch so typischen Unkrauturwald das Areal von Kiki Blofeld. Die Bar besteht aus wild verstreuten Stühlen, ein paar Bierbänken und einzelnen Kronleuchtern an den Bäumen. Mütter lassen hier ihre Kinder durch den Sand toben, während daneben zwei junge Asiatinnen den Schlaf von gestern Nacht in Liegestühlen nachholen. Urlaub von der Großstadt, das ist mitten in Berlin möglich und auch noch ein wenig länger: Kiki Blofeld hat im Gegensatz zu den meisten Strandbars hier einen länger laufenden Pachtvertrag.

Wer weniger die familienfreundliche Version, sondern die Ausgehvariante einer Strandbar sucht, muss nur auf das gegenüberliegende Ufer blicken. Dort breiten sich die Bretterbuden der Bar 25 aus. Der Ort mit Restaurant, Kleinkunstzirkus und Hostel hat einen legendären Ruf, gilt er doch als Paradebeispiel für die niemals endenden Partynächte von Berlin. Regisseur Quentin Tarantino war schon genauso da wie Starkünstlerin Sarah Lucas, für die Kreativen der Stadt ist die Bar ohnehin ihr persönlicher Spielplatz ohne Sperrstunde.

Doch Ende August muss sie schließen; die Berliner Stadtreinigungsbetriebe (BSR) wollen das Areal sanieren und dann das Hochhaus "Spreeurban" bauen - sofern sie einen Investor finden. Mit der Wirtschaftskrise sind diese allerdings rar geworden. Trotzdem halten die Reinigungsbetriebe an ihrem Vorhaben fest.

"Es ist absolut sinnlos, 150 Arbeitsplätze zu vernichten, ohne zu wissen, was danach passiert", sagt Juval Dieziger, Mitbetreiber und Koch der Bar 25. Tausende von jungen Touristen kämen wegen des aufregenden Nachtlebens an die Spree. "Berlin brüstet sich immer als Kulturhauptstadt. Den Ruf verliert es gerade", klagt Dieziger, der stolz auf das Stadtmagazin zitty verweist: Das Blatt hat die Bar 25 gerade als "Schlupfloch im restriktiven Effizienz-Alltag" gepriesen, so was hören Berliner gerne. Als Langzeitprojekt war die Lokalität allerdings nie geplant. Zugleich finden es manche Besucher befremdlich, dass die Betreiber einen Zaun mit Stacheldraht installiert haben, um das 10.000 Quadratmeter große Areal abzuriegeln.

Ingeborg Junge-Reyer findet das in höchstem Maße ärgerlich. Die Senatorin für Stadtentwicklung hat viel Kritik einstecken müssen, weil sie so an dem Mediaspree-Bauprojekt festhält. "Es ist kein alternativer Lebensentwurf, ein Gelände abzuzäunen und Getränke zu verkaufen", sagt Junge-Reyer. Sie will, dass alle Bürger am Spreeufer flanieren können. Ob das nun auf einem zehn Meter breiten Streifen oder auf einer Ausdehnung von 50 Metern - eine Forderung des Bürgerentscheids - passiert, darauf will sich die Senatorin nicht festlegen, "wir machen, was möglich ist".

Doch die Verhandlungen im Sonderausschuss mit den Eigentümern zeigen, wie wenig geht: Nur manchmal gelingt Bezirksbürgermeisters Franz Schulz ein kleiner Erfolg wie beim Kulturzentrum Yaam, das weiter stadtauswärts am Friedrichshainer Ufer liegt, und bis zum Baubeginn auf dem Gelände bleiben darf.

Geht die Party jetzt zu Ende?

Das Spreeufer im Stadtteil Kreuzberg bildet einen hübschen Kontrast zur Gegenseite, dem Friedrichshainer Ufer: Leuchtet vor der O2-Arena der Rasen entlang dem Mauerstück der East-Side-Gallery klinisch grün, wechseln sich im Süden verwitterte Fabrikgebäuden, Lagerhallen und Bürokomplexen ab; vielfach versperren sie den Zugang zur Spree. Erst hinter dem Schlesischen Tor öffnet sich Kreuzberg wieder zum Wasser hin. Am Freitagabend versammelt sich hier das hippe Partyvolk in Uferkneipen und Strandbars. Das Areal im angrenzenden Treptow rund um das Badeschiff - ein Schwimmbecken mitten in der Spree - verlassen viele Besucher das ganze Wochenende nicht: Konzerte und Festivals rund um die Uhr machen das möglich.

Auf der Gegenseite drehen sich derweil die seltenen Baukräne entlang des Mediaspree-Gebiets: Da im alten Speicher des Modecenters Labels kein Showroom mehr frei ist, lässt das Unternehmen einen Neubau errichten. Auch für das angrenzende Grundstück gibt es Baupläne. Die Berliner Hafen- und Lagerhausbetriebe (Behala) wollen hier ein 90-Meter-Hochhaus errichten, sofern sie einen Investoren finden. Ob es die 1000 Euro pro Quadratmeter sind, die Wirtschaftskrise oder doch der fehlende Bedarf an Bürogebäuden in Berlin - bisher interessiert sich jedenfalls niemand dafür. Für die Freunde des freien Spreeufers dürfte das eine große Freude sein.

© SZ vom 07. 08. 2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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