Beratungsprotokolle zur Geldanlage:Kundengespräche werden zur Farce

Lesezeit: 3 min

Zehntausende Sparer haben in der Finanzkrise viel Geld verloren - häufig wurden sie von ihren Banken schlecht beraten. Die Politik hat mit Gesetzen reagiert und Gesprächsprotokolle vorgeschrieben. Doch was die Situation der Anleger verbessern sollte, hat gefährliche Nebenwirkungen.

Von Simone Boehringer, München

Es sind oft die extremen Ereignisse im Leben, die zu radikalen Reaktionen führen. Und an den Finanzmärkten sind es die "externen Schocks", wie Ökonomen sagen, die starke politische Reaktionen hervorrufen. Nach dem Platzen der New-Economy-Blase zur Jahrtausendwende wurden ganze Börsensegmente abgeschafft und schärfere Regeln für Unternehmen eingeführt, die ihre Aktien an die breite Öffentlichkeit verkaufen wollten. Und nach der Pleite der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers im Sommer 2008 wurden die Schutzgesetze für Anleger verschärft, nachdem zehntausende Sparer plötzlich wertlose Papiere der US-Investmentbank in ihren Depots hatten, deren Namen sie oft nicht einmal aussprechen konnten: Zertifikate.

Der Lehman-Schock ist nun sechs Jahre her, es hat viele Schadenersatzprozesse gegeben seitdem und noch mehr Gesetze. Im Zentrum der Reformen in Deutschland steht der Beratungsprozess, der zu einer treffenden Anlageentscheidung der Sparer führen soll. Doch genau an diesem Thema entzündet sich immer mehr Kritik - von verschiedenen Seiten.

Insbesondere die Beratungsprotokolle, die für mehr Transparenz sorgen und die Kunden in die Lage versetzen sollen, Fehlberatungen nachzuweisen und daraus Schadenersatzansprüche abzuleiten, haben zu alarmierenden Fehlentwicklungen geführt: Neun von zehn Kreditinstituten beraten ihre Anleger schlicht viel weniger als früher, mehr als jede fünfte Bank zieht sich aus der Wertpapierberatung gänzlich zurück. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Studie des Deutschen Aktieninstituts (DAI) unter etwa 1600 deutschen Geldhäusern.

63 Prozent der Institute haben die Beratung deutlich verringert

"89 Prozent der Teilnehmer nennen das Beratungsprotokoll als einen der Gründe für den Rückzug aus der Aktienberatung", heißt es in der Studie, die an diesem Donnerstag veröffentlicht wird. Etwas weniger drastisch ist das Ergebnis für die Beratung zu sonstigen Wertpapieren wie Anleihen, Investmentfonds, Zertifikaten. Hier geben in der Befragung nur vier Prozent der Geldhäuser an, gänzlich auf Beratung zu diesen Produkten zu verzichten.

Dafür haben 63 Prozent der Institute angegeben, die Beratungsgespräche mit ihren Kunden insgesamt deutlich verringert zu haben. Viele Gespräche mit den Kunden würden "zur Farce", man müsse oft Klienten schlicht erklären, dass man sich zu den Einzeltiteln in ihrem Depot nicht mehr äußern könne, weil sich die Wertpapierberatung "wegen der hohen Hürden, die für den Anlegerschutz gedacht sind, schlicht nicht mehr rechne", erklärt Andreas Grünewald. Er ist Chef des Verbandes unabhängiger Vermögensverwalter (VuV) in Frankfurt. Die meisten dieser Institute waren bei der DAI-Befragung nicht einmal dabei.

Ein Kunde fühle sich doch nicht besser, wenn er in Papier ersäuft

Neben dem Beratungsprotokoll, das tatsächlich viel Zeit in Anspruch nimmt und den Beratungsprozess länger und damit teurer macht, geben die befragten Banken auch viele andere Regularien als Gründe für ihren Rückzug an, alle eingeführt zum Schutz der Anleger vor der Finanzbranche. Ein Ansinnen, das sich offensichtlich nun zunehmend ins Gegenteil verkehrt: Die Branche schützt sich vor den Anlegern.

Christine Bortenlänger, Chefin des DAI, schlägt Alarm: "Wenn Kreditinstitute als Folge der Regulierung nicht mehr beraten, geht dies zu Lasten des Vermögensaufbaus und der Alterssicherung der Kunden." Sie steht damit nicht allein: Sparkassenpräsident Georg Fahrenschon polterte vor einigen Wochen: "Ein Kunde fühlt sich doch nicht besser, wenn er nach einer Stunde Beratung in Papier ersäuft."

Klar, die Finanzbranche hätte gerne weniger Bürokratie und vor allem weniger Haftungsrisiken. Der jüngste Vorstoß ist insofern auch als eine Art Gegenoffensive zu laufenden Vorhaben der Bundesregierung zu sehen. Im Mai hatte Verbraucherschutzminister Heiko Maas einen "Aktionsplan für mehr Verbraucherschutz" vorgestellt. Weil es dabei ganz wesentlich um Anlegerschutz ging und um mehr Durchgriffsrechte der Finanzaufsicht Bafin auf die Anlageberatung, kam Maas gemeinsam mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble.

Schlechte Beratungsqualität

Die Aufklärung über die Chancen und Risiken einzelner Anlageklassen traut die Politik der Finanzbranche selbst offenbar nicht mehr zu. Eine zuvor eigens von Maas in Auftrag gegebene Analyse der Beratungssituation in der Finanzbranche hatte ergeben, dass die Gesprächsprotokolle den Dialog zwischen Berater und Kunden oft nicht korrekt wiedergeben.

ExklusivBeratungsgespräche
:Viel Geschreibsel für nichts

Die Kunden stünden nicht vor Bankmitarbeitern, sondern vor Verkäufern: Weil die meisten Beratungsprotokolle einer Studie zufolge kaum Nutzen bringen, plant das Justizministerium deutlich strengere Vorschriften für deren Protokollierung.

Das vom Minister beauftrage Berliner Institut für Transparenz hatte unter anderem 120 Testverkäufer losgeschickt, um die Beratungsqualität zu testen. Fazit der Studie: "In allen Bereichen wurde festgestellt: Wesentliche Inhalte des Gesprächs, zum Beispiel die Empfehlung eines Produkts und die Begründung dafür, hatten Berater in vielen Fällen nicht dokumentiert."

Ratgeber Gold
:Was Anleger über Kauf und Handel wissen sollten

Bei der Geldanlage in Gold sind Rendite und Verlust allein vom Goldpreis abhängig. Warum dieser starken Schwankungen unterworfen ist, wie und in welcher Form Gold gehandelt wird, welche Goldmünzen besonders wertvoll sind und welche Chancen andere Edelmetalle wie Silber, Palladium oder Platin bieten - ein Ratgeber.

Erfahrene Anlegeranwälte wie Peter Mattil können die unsaubere Vorgehensweise aus der Praxis bestätigen: "Manche Berater finden Mittel und Wege, den Kunden trotz Protokoll zu übervorteilen. Sie legen dem Kunden mal schnell etwas zur Unterschrift vor, was so nicht besprochen wurde." Insgesamt aber hätten die Protokolle "die Situation für Anleger verbessert. Die Banken sind vorsichtiger geworden, den Kunden schlechte Produkte aufzuschwatzen."

Verbraucherschützer und Regierung sind sich daher einig: Die Protokolle und andere Formalismen sollen nicht reduziert, sondern verbessert und standardisiert werden, um die Wertpapierberatung zu verbessern. Das Aktieninstitut bringt als Kompromissvorschlag ein, wenigstens "erfahrene Anleger auf eigenen Wunsch" von der Protokollpflicht zu entbinden. Solange es ruhig bleibt an den Märkten, lässt die Politik vielleicht mit sich reden. Der Rückzug vieler Finanzdienstleister aus einem einstigen Kerngeschäft, der Beratung, ist jedenfalls für keinen der Beteiligten wünschenswert. Am wenigsten für Anleger, die auf Beratung angewiesen sind.

© SZ vom 10.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: