Ben Bernanke:General auf Probe

Amerikas Notenbankpräsident Bernanke hat sich für einen aggressiven Kurs gegen die Finanzkrise entschieden.

Nikolaus Piper

Die Entscheidung fiel am Montag um 18 Uhr Washingtoner Zeit. In Amerika war der Gedächtnistag für Martin Luther King, Banken und Börsen hatten geschlossen, doch Ben Bernanke saß trotzdem in seinem Büro.

Der Präsident der Notenbank Federal Reserve gilt als einer, der sieben Tage in der Woche arbeitet. Mit wachsender Sorge hatte Bernanke während der letzten Stunden beobachtet, wie die Aktienmärkte rund um den Globus von Verlust zu Verlust taumelten.

Was würde passieren, wenn am Dienstag die Wall Street öffnete? Der Fed-Chef kam zu dem Schluss, dass ein "Meltdown" drohte, ein Zusammenbruch der Aktienmärkte.

Daher entschloss er sich zu handeln: Er rief die anderen Mitglieder des Offenmarktausschusses, des Leitungsgremiums der Fed, zu einer Videokonferenz zusammen. Ergebnis: Die Fed senkt den Leitzins außer der Reihe, und zwar gleich um 0,75 Prozent.

Es ist der größte Zinsschritt seit 25 Jahren. Gleichzeitig veröffentlichte sie eine Erklärung, aus der die Börsianer herauslesen können und sollen, dass bei der ordentlichen Sitzung des Offenmarktausschusses kommende Woche eine weitere Senkung um 0,5 Prozent folgen wird.

Züge eine Schlacht

Ein Ausschussmitglied, William Poole von der Federal Reserve Bank of St. Louis, stimmte mit "nein", ein Zeichen dafür, wie ungewöhnlich der Schritt war. Die Entscheidung traf die Märkte am Dienstagmorgen völlig überraschend. Auch Präsident George W. Bush erfuhr erst wenige Minuten vor der Verkündung davon. Zunächst stürzten die Kurse trotz Bernanke weiter ab, erst nach ein paar Stunden wurde der freie Fall gestoppt.

Wenn die Metapher von der "Feuertaufe" überhaupt einmal zutrifft, dann auf Ben Bernanke in diesen Wochen. Die Finanzmarktkrise hat Züge einer Schlacht angenommen, und der Präsident der Notenbank muss, wie ein General, zeigen, dass er führen kann.

Es ist die schwerste Zeit in der Karriere des 54-jährigen Ökonomen. Schon bei seinem Amtsantritt im Februar 2006 war ihm die Wall Street reserviert begegnet. Er löste nach 18 Jahren den legendären Alan Greenspan ab, der als eine Art Magier die Märkte gesteuert und eine ganze Ära geprägt hatte.

Würde Bernanke in dessen Rolle hineinwachsen können? Schnell zeigte sich, dass Greenspan seinem Nachfolger in Wirklichkeit ein schweres Erbe hinterlassen hatte. Wegen dessen Politik des billigen Geldes hatte sich auf den Immobilien- und Kreditmärkten eine gefährliche Spekulationsblase gebildet, die irgendwann platzen würde.

Klare Kommunikation

In seinem Stil setzte sich Bernanke schnell von Greenspan ab. Er versucht, kollegialer zu führen und bemüht sich um klare Kommunikation. Während sein Vorgänger es oft darauf anlegte, die Märkte zu überraschen, will Bernanke, dass alle genau wissen, was die Notenbank denkt.

Er ist Anhänger des "Inflation-Targeting", einer geldpolitischen Strategie, bei der die Notenbank immer genau sagt, welche Teuerungsrate sie anstrebt. Seit November hat die Fed eine neue Kommunikationsstrategie. Künftig wird die Notenbank viermal im Jahr (statt bisher zweimal) einen Wirtschaftsausblick veröffentlichen, er soll präziser und aussagekräftiger sein als früher.

Trotzdem blieb das Verhältnis zwischen der Wall Street und dem Fed-Chef kompliziert. Die Meinungen über ihn schwankten heftig, wobei diese Schwankungen weniger mit Bernanke selbst als mit den Stimmungen an der Börse zu tun hatten. Anfangs gab man ihm den Spitznamen "Helikopter-Ben", weil er einmal flapsig gesagt hatte, in einer Krise müsse man notfalls Geld aus einem Hubschrauber über New York abwerfen. Andere behaupteten, es gebe einen "Bernanke Put", eine implizite Verkaufsoption, die der Fed-Chef den Spekulanten anbiete und so deren Fahrlässigkeit fördere.

Seit die Finanzkrise Ende Juli ausbrach, galt er umgekehrt vielen lange Zeit als zu zögerlich. Dabei war er durchaus innovativ in seinen Versuchen, die Märkte zu beruhigen. Zuerst senkte er den - im Vergleich zum Leitzins weniger wichtigen - Diskontsatz, und ermutigte die Banken, sich direkt bei der Fed Geld zu borgen. Erst im September begann er, die Leitzinsen zu senken. Im Dezember versteigerte er in einer koordinierten Aktion mit anderen Notenbanken Dollar-Kredite, um eine Geldklemme während der Weihnachtsferien zu verhindern.

Zu Jahresbeginn schuf sich Bernanke allerdings selbst ein Glaubwürdigkeitsproblem. In einer Rede kündigte er am 10. Januar "substantielle Schritte" der Notenbank an, ohne zu sagen, wie diese aussehen würden. Dadurch setzte er sich selbst unter Zugzwang. Mit der Zinssenkung vom Dienstag ist dieses Problem erstmal beseitigt. Sollte der für kommende Woche erwartete nächste Schritt tatsächlich kommen, hätte er damit die dramatischste Lockerung der Geldpolitik in der Geschichte der Fed durchgesetzt.

Die Wall Street ist zufrieden damit. "Die Fed hat gezeigt, dass sie bereit ist, voranzugehen," sagt Torsten Slok, Volkswirt bei der Deutschen Bank in New York. Damit hat Bernanke in einem gewissen Sinne seinen Vorgänger überholt. In seinen Memoiren vertritt Greenspan die These, dass die Notenbank Spekulationsblasen nicht verhindern kann, wohl aber eine Panik an den Märkten, wenn sie nur aggressiv genug ist. Seit Dienstag ist Bernanke der Super-Greenspan.

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