Beitragseinzug wird neu geordnet:Revolution in der Sozialversicherung

Die Bundesagentur für Arbeit und die Deutsche Rentenversicherung wollen das Sozialsystem umkrempeln: Statt der Krankenkassen sollen künftig die Rentenversicherer die Sozialversicherungsbeiträge der Deutschen einziehen. Das sei einfacher und spare mehr als 700 Millionen Euro - genug um eine Tradition zu brechen.

Guido Bohsem

Das deutsche Sozialsystem blickt auf eine lange Tradition zurück: Otto von Bismarck führte es ein, und es hat zwei Weltkriege, Wirtschaftskrisen, die Trennung und Wiedervereinigung des Landes überstanden. Vieles läuft deshalb nach dem Motto: "Das haben wir immer schon so gemacht." Doch manchmal brechen langerprobte Strukturen auf - so wie in diesen Tagen. Bundesagentur für Arbeit (BA) und Deutsche Rentenversicherung (DRV) sind nicht mehr zufrieden mit der traditionellen Arbeitsteilung. Gemeinsam wollen sie das Einzugsmonopol der Krankenkassen brechen und die Sozialversicherungs-Beiträge einfacher und billiger abbuchen lassen. Jedenfalls gibt es in der DRV umfangreiche Planspiele für einen solchen Schritt. Offiziell möchte sich die Rentenversicherung nicht mit den mächtigen Kassen anlegen und bestreitet, in der Führungsetage eine entsprechende Entscheidung getroffen zu haben.

Denn eine solche Neuordung des Systems wäre eine Revolution. Seit 1942 ziehen die Kassen alle Beiträge ein, die ein Arbeitnehmer zu zahlen hat. Es geht um die Gelder für die Rentenversicherung, für die Arbeitslosenversicherung, die Pflege und natürlich für die Krankenversicherung. Letzteres galt jedenfalls bis vor drei Jahren. Seit der Einführung des Gesundheitsfonds kassieren die etwa 150 Kassen nichts mehr für sich selbst, sondern nur noch im Auftrag eben des Gesundheitsfonds. Sie verrichten den gesamten Beitragseinzug also für andere.

Es geht um ganz viel Geld. So haben die Arbeitgeber 2010 rund 320,8 Milliarden Euro Beiträge gezahlt. Für die Kassen bedeutet das, dass jede von ihnen über eine Mindestzahl von Sozialversicherungsfachangestellten ("SoFas") verfügen muss, die den ganzen Zahlungsverkehr abwickeln. Etwa 17.000 Mitarbeiter sind derzeit mit dieser Aufgabe beschäftigt. Sie kümmern sich nicht um Vorsorgeprogramme oder die Probleme ihrer Versicherten - sie kümmern sich ausschließlich um die Abwicklung des Geldverkehrs im Sozialstaat.

Trotz des Aufwands handelt es sich um ein lohnendes Geschäft. Für die Dienstleistung zahlten BA und Rentenversicherung 2010 etwa 825,74 Millionen Euro. Nun passt den beiden das Geschäftsmodell nicht mehr. Die BA hat die Vereinbarung über den Beitragseinzug fristgerecht zum Ende des Jahres gekündigt. Und die Rentenversicherung läuft sich sogar warm, das Geschäft selbst zu übernehmen. Das jedenfalls geht aus einem internen Strategiepapier hervor, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Der entscheidende Vorteil

Die Experten der Rentenversicherung haben viele Argumente auf ihrer Seite. Zunächst einmal sind da die bürokratischen Erleichterungen durch eine Änderung des Einzugsverfahrens. Statt zwischen 150 Kassen unterscheiden zu müssen, gäbe es für die Arbeitgeber künftig nur noch eine Kontonummer, auf die sie die Beiträge einzahlen könnten. "Der Arbeitgeber braucht nur noch einen Beitragsnachweis abzugeben und nur eine Überweisung zu fertigen", heißt es in dem Papier. Auch für die Empfänger der Beiträge würde der Papierkram deutlich weniger. Bislang erhalten die BA, der Gesundheitsfonds und der Ausgleichsfonds für die Pflegeversicherung von jeder Krankenkasse eine monatliche Abrechnung über die sogenannten Fremdversicherungsbeiträge. Übernimmt die Rentenversicherung diese Aufgabe, muss nur noch eine einzige Monatsabrechnung an die drei Stellen gegeben werden.

Der entscheidende Vorteil aber dürfte nach den Überlegungen der Rentenversicherung ein finanzieller sein. Grob gesprochen argumentieren ihre Vertreter, dass ihre Mitarbeiter die Arbeit effizienter verrichten könnten als die Kassen-"SoFas". Statt mit 17.000 Mitarbeitern schaffe die Rentenversicherung den ganzen Beitragseinzug mit nur 11.000 Leuten. Auf 6000 könne also verzichtet werden - und das hat durchaus gravierende finanzielle Konsequenzen.

Insgesamt, so heißt es in dem Strategiepapier vom 15. August, "ergäbe sich eine Einsparung für die gesamte Sozialversicherung in Höhe von 786,244 Millionen Euro" - jährlich. Das liege etwa 60 Prozent unter den derzeit anfallenden Kosten. Gewaltig sei die Einsparung sogar dann, falls es der Rentenversicherung nicht gelingen sollte, mit weniger Mitarbeitern auszukommen als die Kassen. "Selbst wenn man von den Kosten für 17.000 Mitarbeitern ausginge, beliefe sich der Einsparbetrag noch immer auf 492,378 Millionen Euro."

Grund genug, so scheint es, um auch mit alten Traditionen zu brechen.

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