Bei uns in ... New York:Das Gedächtnis der Wall Street

Warum die Wall Street Wall Street heißt, was sich dort zwischen Indianern und Engländern abspielte - und die Wall Street auch noch eine Täuschung ist.

Nikolaus Piper

Die Wall Street ist die am meisten überschätzte Straße der Welt. Eigentlich handelt es sich bei ihr nur um ein unscheinbares Sträßchen im Süden Manhattans, das am Broadway bei der neugotischen Dreieinigkeits-Kirche beginnt und nach zehn Minuten zu Fuß am East River endet.

Ihren Namen hat sie von einer Mauer, die der holländische Gouverneur Manhattans, Peter Stuyvesant, dort Ende des 17. Jahrhunderts mit Hilfe afrikanischer Sklaven anlegen ließ. Die Mauer sollte die Kolonie vor den Indianern und den Engländern schützen, was im Falle der Engländer offensichtlich nicht geglückt ist.

Broad Street statt Wall Street

Zum Synonym für die Großfinanz wurde die Wall Street allein dadurch, dass die wichtigste Börse der USA, die New York Stock Exchange, dort ihren Sitz hat. Aber eigentlich ist das heute nur noch eine Täuschung. Zwar lautet die Adresse der NYSE tatsächlich "11 Wall Street", der Eingang für Händler und Besucher befindet sich jedoch in der Broad Street; dort stehen auch die mächtigen Säulen des Börsengebäudes, das Fotografen aus der ganzen Welt aufnehmen, wenn sie ein Symbol für die "Wall Street" brauchen.

Von den wichtigen Mitspielern der "Wall Street" hat kaum noch einer seinen Sitz dort: Das Hochhaus der Citigroup steht in Midtown Manhattan, Goldman Sachs sitzt an der Broad Street und viele Hedgefonds arbeiten von der Küste Connecticuts aus. Lediglich die Deutsche Bank harrt noch an der echten Wall Street aus.

Und auch für die Börse selbst wird die Straße weniger wichtig: Je mehr der Computerhandel zunimmt, desto weniger Händler werden auf dem Parkett gebraucht. Zudem sind die Sicherheitsvorschriften seit dem 11. September 2001 so streng, dass Touristen praktisch nicht mehr ins Gebäude kommen.

Ein Hauch von Nostalgie umweht also die Wall Street, daher ist es nur konsequent, dass es jetzt dort ein "Museum of American Finance" gibt. Gegründet wurde es bereits nach dem Börsenkrach von 1987; der Stifter war ein vermögender Händler, der ein "institutionalisiertes Gedächtnis für die Wall Street" schaffen wollte. Doch erst im Februar ist das Museum in die echte Wall Street umgezogen, ins Gebäude der längst untergegangenen Bank of New York, was auch beziehungsreich ist.

Sie Sammlungen des Museums sind durchaus bemerkenswert: ein Scheck, den John Rockefeller unterzeichnet hat, ein Goldbarren aus der Zeit des kalifornischen Goldrausches, Banknoten der Südstaaten aus dem Bürgerkrieg. Auf Monitoren kann man sich über die Erfolge berühmter Unternehmer ebenso informieren wie über die Geschichte des Bankraubs.

Die schönste Attraktion aber ist eine Nachbildung des Arbeitszimmers von Alexander Hamilton, dem ersten Finanzminister der USA. Hamilton kam 1804 bei einem Duell ums Leben. Irgendwie beruhigend: Selbst wenn bei der NYSE der letzte Händler vom Computer verdrängt wurde, wird es für die Touristen an der Wall Street immer noch etwas zu sehen geben.

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