Baustoff der Gegenwart:Die graue Maus putzt sich heraus

Beton gilt zu Unrecht als Baustoff der Zweckmäßigkeit. Denn dank seiner Beständigkeit und Belastbarkeit bietet er Architekten großen Gestaltungsspielraum.

Sarah Weik

Beton - das klingt nach Plattenbau, charakterlosen Hotels an der Costa Brava und Industriebauten. Während er für viele der Inbegriff für reizlose Einheitsarchitektur ist, schwärmen Architekten von seiner Vielfältigkeit sowie seinem archaischen und authentischen Charakter.

Baustoff der Gegenwart: Mit der Pinakothek der Moderne in München wird gezeigt, dass Beton nicht auf wuchtige Architektur beschränkt ist

Mit der Pinakothek der Moderne in München wird gezeigt, dass Beton nicht auf wuchtige Architektur beschränkt ist

(Foto: Foto: Catherina Hess)

"Beton ist ein Grundstoff unserer Zivilisation"

Seit Jahrtausenden ist seine Beständigkeit und Belastbarkeit die Erfolgsformel von Beton, verbunden mit den günstigen und fast universal verfügbaren Ausgangsstoffen. Ohne das Gemisch aus Zement, Kies und Wasser wäre weder die Kuppel des Pantheons in Rom, noch der Burj Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten vorstellbar, der bis zum Sommer 2009 fertiggestellt werden und mehr als 700 Meter hoch sein soll.

"Beton ist das Material des 20. Jahrhunderts", begeistert sich der Architekt Stephan Braunfels. "Beton ist ein Grundstoff unserer Zivilisation", bekräftigt Martin Peck von der in München ansässigen Beton Marketing Süd GmbH für das Material, "er ist gebauter Alltag". Hinter gefälligeren Materialien versteckt, nimmt niemand daran Anstoß.

"Beton hat mit der Füllung der Maultasche einiges gemeinsam. Denn im Teig verborgen, isst der Schwabe sogar freitags Fleisch", sagt Architekt Arno Lederer, der in Stuttgart und Karlsruhe arbeitet, schmunzelnd.

Da Beton nicht gefällt, verschwindet er oft hinter Fassaden und so aus unserer Wahrnehmung. Was im Gedächtnis bleibt, sind die Betonbauten aus der überhitzten Bauphase der Nachkriegszeit und viele Zweckbauten. "Daher kommt der Eindruck, dass Beton dort eingesetzt wird und sichtbar bleibt, wo es um bloße Ökonomie und Zweckerfüllung geht", erklärt der Psychologie Riklef Rambow, derzeit Gastprofessor für Architekturvermittlung an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus.

"Zart wie ein Babypopo"

"Für viele ist Beton ein kaltes, totes Material. Ein Material, das man ungern berührt." Braunfels, erklärter Beton-Liebhaber, widerspricht: "Wird Beton gut verarbeitet, ist das so, als würde man einen Babypopo streicheln." Mit der Pinakothek der Moderne in München und dem Paul-Löbe-Haus in Berlin zeigt Braunfels, dass Beton nicht auf wuchtige Architektur beschränkt ist: "Beide Gebäude sind sehr groß, doch gleichzeitig leicht und heiter. Diese Schlankheit aus einem Guss kann nur mit Beton erreicht werden."

Dennoch, für viele bleibt das Material eine graue, hässliche Masse. Ein Klischee, das eine unvoreingenommene Betrachtung des Baustoffs erschwert. Wer bringt schon Niki de Saint Phalle mit der grauen Masse in Verbindung? Die Erschafferin der lebensfrohen und kunterbunten Nanas hat ihren Lebenstraum in Beton gegossen. Die Skulpturen des Tarotgartens (Giardino dei Tarocchi) in der Toskana wurden mit Eisengittern vorgeformt, die endgültigen Formen der Figuren mit Spritzbeton aufgesprüht und zum Abschluss mit farbigen Keramiken, Spiegel-Mosaiken und Glas besetzt.

Die graue Maus putzt sich heraus

Diese freie Formbarkeit macht für viele Architekten die Besonderheit des Baustoffs aus. Er lässt sich sowohl zu scharfkantig verwinkelten als zur runden Formen verarbeiten. Bei ihrem Entwurf für ein Wohn- und Geschäftshaus in Münster haben sich Knoche Partner Architekten in dieser Hinsicht richtig ausgetobt. "Das Haus besteht aus verschiedenen Ebenen und Schichten. Dabei hat jede Ebene eine eigene Form und einen eigenen Grundriss", erklärt der Architekt Berthold Ellertmann das Konzept. Wie Bauklötze, die gestapelt und ineinander verschoben werden.

"Nur durch den selbstverdichtenden Beton, den wir verwendet haben, wurden richtig scharfe Kanten und eine gleichmäßige und sehr geschlossene Oberfläche möglich." Diese Betonart zeichnet sich durch seine weiche Konsistenz und ein gutes Fließverhalten aus. Auch ungewöhnliche Schalungsformen füllt er dadurch problemlos aus und das Verdichten, das für die Entlüftung des Betons notwendig ist, entfällt - diese Betonart entlüftet selbständig.

Der Phantasie sind hier keine Grenzen gesetzt

Ein Kontrast dazu ist die geschwungene Architektur, in der Arno Lederer, Jórunn Ragnarsdóttir und Marc Oei den neuen Vorbau des Staatstheaters Darmstadt gestalteten. Der Vorbau aus Weißzement wirkt wie hingegossen. Hier zeigt sich, wie viel Planung ein Betonbau erfordert. "Wenn Beton steht, dann steht er", betont Peck. "Da kann man nicht noch im Nachhinein eine Steckdose verlegen." Die Gestaltung der Außenfläche hängt von der Schalung ab, in die der Beton gefüllt wird. Ob rau oder glatt, mit Holzstruktur oder einem ganz bestimmten Muster der Ankerlöcher, die durch Haftelemente entstehen, die ein Auseinanderdriften der Schalung und des frischen Betons verhindern. Der Phantasie sind hier keine Grenzen gesetzt.

In Darmstadt entschieden sich die Architekten für eine glatte, weiße Oberfläche und verschlossen die Ankerlöcher mit hervorstehenden Kupferbolzen. Sie dienen der gezielten Verschmutzung. "Beton, vor allem Weißbeton, verschmutzt früher oder später. Wir haben uns entschieden, diesen Prozess mit den Kupferbolzen bewusst zu steuern", erklärt Lederer. Statt der rostbraunen Schlieren, die bei Betonbauten entstehen können, wenn der Bewehrungsstahl korrodiert, setzen die Architekten also auf das hübschere Türkis von Kupferhydroxidcarbonat.

Von wegen graue Masse - die Einfärbung von Beton ist mittlerweile kein Problem mehr. So erweckt die Synagoge von Dresden durch den Zusatz von Farbpigmenten den Eindruck von Sandstein. Eigenschaften wie Farbe, Festigkeit und Aushärtung lassen sich beliebig einstellen. Und selbst durchsichtigen Beton gibt es mittlerweile. Eine teure Spielerei, die bisher vor allem in Clubs und Hotellobbys verwendet wird.

Beim Thema Energieeffizienz kann Beton nur eingeschränkt punkten, da er nur eine geringe Dämmwirkung hat. Leichte Konstruktionsbetone, wie der in der Schweiz entwickelte Isolationsbeton, sollen architektonische und technische Anforderungen in Einklang bringen.

Neue Forschungsansätze, die bisher vor allem im Wirtschaftshochbau Verwendung finden, setzen daher auf eine andere Eigenschaft des Betons: Beton speichert die Wärme und gibt sie später wieder ab - der Grund, warum auch Brandschutzmauern aus diesem Material sind.

Tapeten in Betonoptik

Im privaten Wohnbau ist der bewusste Einsatz von Beton und Sichtbeton eher die Ausnahme. Aber Menschen, die sich mit ihrem Haus von der Masse abheben wollen, entscheiden für dieses Baumaterial. Ein Paradoxon. Stand es früher für eine billige Bauweise, hat es heute die oberen Preisklassen erobert. "Vor allem, wenn er sichtbar bleiben soll, ist Beton im Hinblick auf die Bearbeitung das schwierigste Material", sagt Braunfels. Diese Aufgabe erfordere "sehr viel Erfahrung und Geschicklichkeit." Wem beides fehlt, der kann sich auch mit einer Attrappe behelfen. Denn mittlerweile gibt es Tapeten in Betonoptik.

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