Baulärm:Krach und Kräne

Baustelle der Altstadt in Frankfurt/Main

Bauarbeiten in der Altstadt von Frankfurt, aufgenommen 2016. Gebaut wird seit Jahren im ganzen Bundesgebiet. Die einen freuen sich über neue Wohnungen und Straßen, die anderen nervt der ständige Lärm.

(Foto: Frank Rumpenhorst/dpa)

Viele Städte und Gemeinden sind zurzeit eine einzige Baustelle - mit jeder Menge Lärm und Dreck. Was Anwohner hinnehmen müssen und wogegen sie sich wehren können.

Von Berrit Gräber

Bei vielen Münchnern liegen die Nerven blank. Fast die ganze Stadt ist aktuell mit Großbaustellen übersät. In Altschwabing etwa werden Häuserzeilen saniert, in Bogenhausen und am Nockherberg ganze Stadtviertel neu hochgezogen, am Marienhof wird die S-Bahn ausgebaut, von den Hunderten Gleis- und Straßenbau-arbeiten in diesem Jahr gar nicht zu reden. Für viele Anwohner ist der tägliche Lärm der Bagger, Bohrer und Betonmaschinen nur schwer zu ertragen. Nicht sehr viel besser sieht es in Berlin aus, in Hamburg, Frankfurt, Köln, auch auf dem flachen Land. Weil in Deutschland wieder mehr gebaut wird, müssen viele Anwohner täglich Baulärm, Staub und Schmutz aushalten. Oft jahrelang. Manchmal auch samstags, nachts, rund um die Uhr. Ein Überblick, was genervte Anwohner tun können - und was sie notgedrungen akzeptieren müssen.

Das gilt

Umfangreiche Bauarbeiten nebenan oder auch im eigenen Haus bringen nicht nur Straßensperren, Dreck und den Wegfall von Gehwegen und Parkplätzen mit sich. Was Anwohner am meisten aufrege, sei der Lärm, wie Ulrich Ropertz, Sprecher des Deutschen Mieterbunds in Berlin, betont. Je größer die Baustelle, desto belastender kann der Baulärm werden. Vor allem beim Aushub, bei Tiefbauarbeiten oder dem Errichten des Rohbaus. Auch wenn es noch so nervt: Grundsätzlich müssen sich Nachbarn mit einem genehmigten Abriss, Neubau, Umbau oder einer groß angelegten Sanierung erst einmal arrangieren, so Ropertz. Laut Umweltbundesamt gilt nur der Krach als Baulärm, der von Firmen verursacht wird. Greifen Heimwerker privat zu Schlagbohrer und Kreissäge, handelt es sich nicht um Baulärm.

Die Nimby-Haltung

Zwar ist die gesellschaftliche Akzeptanz von Neubau vorhanden - aber nur, solange er nicht in der Nachbarschaft passiert. Bürger wollen gute Anbindungen an Verkehrswege, aber die Schiene oder Straße bitte nicht vor dem eigenen Fenster. Diese Ablehnung, die sich oft in Bürgerinitiativen bündelt, bezeichnen Soziologen als "Nimby"-Haltung, kurz für "Not in my backyard", also nicht vor meiner Tür. Noch radikaler gibt sich die "Banana"-Bewegung: Build absolutely nothing anywhere near anyone, was darauf hinausläuft: Bitte nirgends bauen, wo Menschen leben. "Baulärm stellt hohe Anforderungen an das Nachbarschaftsverhältnis", bestätigt Mieterbund-Sprecher Ropertz. Komplett zu verhindern seien Belästigungen durch Bauprojekte aber nicht.

Das sagt das Gesetz

Baulärm ist unvermeidbar. Zu viel darf aber nicht sein. Betroffene Nachbarn müssen sich nicht alles gefallen lassen, erklärt Christian Fabris, Ingenieur und Experte für Baulärm beim Umweltbundesamt. Sie haben ein Recht darauf, dass Baustellenbetreiber in Zusammenarbeit mit den Bauaufsichtsbehörden den Krach auf ein Mindestmaß beschränken und die Abläufe auf der Baustelle entsprechend planen. Dafür hat der Gesetzgeber im Jahr 1970 die Allgemeine Verwaltungsvorschrift (AVV) zum Schutz gegen Baulärm erlassen. Sie schreibt maximale Lärmwerte vor, sogenannte Immissionsrichtwerte. Je nach der Tageszeit oder nach Gewerbe-, Wohn- oder Mischgebieten gelten unterschiedliche Grenzwerte. Außerdem sind Bauherren, Bauunternehmer und Bauleiter dazu verpflichtet, möglichst lärmarme Baumaschinen zu nutzen, ihren Einsatz effizient zu planen, Krach bestmöglich abzuschirmen und notfalls mobile Schallschutzwände aufzustellen.

Das ist erlaubt

In Gebieten, in denen fast nur Wohnhäuser stehen, müssen Bewohner damit leben, dass auf einer Baustelle von 7 Uhr bis 20 Uhr gebaut wird. Eine Mittagsruhe gibt es nicht. Tagsüber darf laut AVV Baulärm von der Baustelle ein Dauerschallpegel von maximal 55 Dezibel ausgehen, auch samstags. "Das ist in etwa mit Gewerbelärm vergleichbar, noch einigermaßen erträglich", sagt Fachmann Fabris. Weil der Richtwert in bestimmten Bauphasen nicht einzuhalten ist, gibt es eine Toleranz von weiteren fünf Dezibel. Lauter darf es in Wohngebieten nicht werden. Ist die Baustelle nachts in Betrieb, muss es von 20 Uhr bis 7 Uhr leiser zugehen. Ein Dauerpegel von mehr als 40 Dezibel plus Toleranz ist dann nicht erlaubt. Grundsätzlich sind Nachtarbeiten rechtlich zulässig. Zum Vergleich: In reinen Industriegebieten darf der Dauerpegel, der von Baustellen ausgeht, tagsüber noch deutlich höher liegen, nämlich bei 65 Dezibel plus Toleranz. Arbeitet jemand an einem Lärmarbeitsplatz, ist eine noch höhere Belastung zulässig.

Das kann man tun

Der maximal zulässige Lärmpegel, der von einer Baustelle ausgehen darf, wird für bestimmte Punkte in der Nachbarschaft berechnet, wie Fabris erklärt. Zum Beispiel für ein Wohnhaus, das am nächsten zur Baustelle liegt. So weit die Theorie. In der Praxis ist der Krach aber im Haus dahinter, also in zweiter oder dritter Reihe, oft viel lauter zu hören, weil der Schall abgelenkt wird.

Halten Anwohner den Baulärm für unzulässig hoch, sollten sie sich als Erstes direkt beim Bauherren melden, rät Fabris: "Wenn sich niemand beschwert, wird manchmal munter drauflosgebaut." Außerdem ist es möglich, beim örtlichen Umweltamt auf eine Lärmmessung zu dringen. So manche Bürger nehmen die Sache auch selbst in die Hand, leihen sich professionelle Messtechnik aus oder beauftragen Ingenieurbüros mit dem Aufzeichnen von Lärmprotokollen.

Verstößt der Baustellenbetreiber nachweislich gegen die gesetzlichen Lärmschutzauflagen, können Bauaufsichtsbehörden eingreifen und Zwangsmaßnahmen zur Reduzierung des Krachs verhängen - bis hin zum Baustopp. Daneben sind Bußgeldbescheide möglich, in besonders schweren Fällen auch Strafanzeigen wegen Körperverletzung. "Ein zeitweiliger Baustopp ist aber keine Lösung", gibt Fabris zu bedenken. Die Baustelle löst sich damit nicht in Luft auf. Sie dauert dann nur noch länger.

Miete mindern

Wer längere Zeit erheblichen Baulärm hinnehmen muss, das Fenster nicht öffnen oder den Balkon nicht nutzen kann, darf von seinem Vermieter häufig eine Minderung der Kaltmiete verlangen, solange die Bauzeit läuft. "Auch Krach von der Baustelle nebenan kann ein Mietmangel sein", erklärt Ropertz. Ob der Vermieter dafür verantwortlich ist oder nicht, spielt keine Rolle. Das Spektrum einer möglichen Mietminderung kann sich etwa zwischen fünf und 40 Prozent bewegen, je nach Einzelfall. Wird eine Wohnung unbewohnbar, kann sie noch höher ausfallen.

Aber: Mieter sollten nicht auf eigene Faust handeln und die Miete Pi mal Daumen mindern, warnt Ropertz. Eine Rechtsberatung sei vorher dringend geboten. Wer kürzen will, muss kein Lärmprotokoll führen oder Lärmmessungen machen, wie das Landgericht München urteilte (31 S 20691/14). Wichtig: Im Zweifelsfall ist eine Mietzahlung "unter Vorbehalt" möglich. Rückwirkend die Miete mindern geht nicht.

Vorsicht, Ausnahmen

Wer mindern will, kann sich nicht auf eine einheitliche, eindeutige Rechtsprechung verlassen. Weniger Miete zahlen ist nach Ansicht einiger Gerichte zum Beispiel dann unzulässig, wenn der Mieter vor Vertragsunterzeichnung schon von der möglichen Lärmbelästigung wissen konnte. Wer zum Beispiel in Berlin oder in München in ein Viertel zieht, wo es bei Einzug eine Baulücke in der Nachbarschaft gab oder ein abrissreifes Gebäude, muss damit rechnen, dass irgendwann gebaut wird und Baulärm entsteht, wie die Landgerichte Berlin und Gießen urteilten (LG Berlin 67 S 251/13, LG Gießen 1 S 210/10). Wird ihr eigenes Wohnhaus energetisch saniert, dürfen Mieter während der ersten drei Monate ebenfalls nicht kürzen. "Wer zu Unrecht die Miete mindert, riskiert einen Rattenschwanz an Problemen bis hin zur Kündigung", warnt Ropertz.

So steht es um die Gesundheit

Wer auf Monate neben einer Baustelle leben muss, sollte nach Ansicht Fabris' versuchen, sich innerlich bestmöglich auf die Belastung einzustellen - und eine Balance zu finden zwischen Ärger, Toleranz und schlichtem Durchhalten. Wer kann, sollte außerdem so wenig wie möglich zu Hause sein. Nach Untersuchungen des Umweltbundesamts belastet Baulärm das menschliche Nervensystem und kann Auslöser für gesundheitliche Beeinträchtigung wie Bluthochdruck oder Herzkreislauf-Schwäche sein. Zwar ist Baulärm innerhalb des gesetzlichen erlaubten Rahmens nicht direkt schädlich für die Ohren der Anwohner, wohl aber schädlich fürs Gemüt und ihre Gesundheit. Ein Patentrezept, wie entnervte Anwohner mit der Belastung umgehen können, gibt es nicht. Den Bauherrn raten Experten wie Fabris dazu, die Nachbarschaft besser zu informieren. "Manchmal hilft es schon, wenn es heißt: In der kommenden Woche stehen Tiefbauarbeiten an, dann ist das Schlimmste vorbei."

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