Baukultur:Überall Toskana

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Nicht immer passt die Architektur auch in die Umgebung. Fachleute befürchten, dass manche Ortschaften ihr traditionelles Aussehen verlieren.

(Foto: Armin Weigel/dpa)

Architekten beklagen den Verfall der Regionalität. Viele Ortschaften verlören ihr typisches Aussehen. Daran seien auch die Gemeinden schuld.

Von Joachim Göres

Reet an der Küste, Schiefer im Sauerland, Krempziegel in Nordhessen - viele ländliche Regionen in Deutschland zeichnen sich durch eine charakteristische Baukultur aus. Doch die ist nach Ansicht von Experten bedroht. "Heute will sich jeder mit seinem Haus von dem seines Nachbarn abheben. Die Gemeinden tolerieren das, weil sie Angst haben, dass Bauwillige sonst woanders bauen. Dadurch verlieren Ortschaften ihr typisches Aussehen", sagt Joachim Brenncke, Vizepräsident der Bundesarchitektenkammer, auf einer Tagung über "Regionale Baukultur" der Architektenkammer Niedersachsen.

Für Brenncke, Architekt in Schwerin, ist das eine fatale Entwicklung: "In einer globalisierten Welt wächst das Bedürfnis nach dem Besonderen, das es woanders nicht gibt. Wenn die regionale Baukultur erhalten und weiterentwickelt wird, steigt die Identifikation mit dem Ort, sodass die Menschen eher bleiben beziehungsweise neue zuziehen. Doch das Bewusstsein bei den politisch Verantwortlichen, die oft mit dem Problem sinkender Einwohnerzahlen zu tun haben, fehlt dafür meist."

"Es muss alles billig sein, jeder will seinen eigenen Stil verwirklichen."

Ein positives Beispiel ist Blaibach, eine 2000 Einwohner zählende Gemeinde im Bayerischen Wald. Hier stand der Ortskern lange leer. Die lokalen Politiker entschieden, dass das Rathaus in ein altes Bauernhaus in zentraler Lage zieht. Nebenan wurde nach Plänen des Architekten Peter Haimerl ein Konzertsaal gebaut, der sich stark von den übrigen Häusern abhebt und dennoch der Region mit seiner groben Fassade aus Granit verbunden bleibt - ein traditioneller Baustoff in dieser Gegend. "Durch das Rathaus und den Konzertsaal eröffnen nicht automatisch neue Supermärkte oder Ärztezentren in Blaibach. Aber die meisten Menschen sind stolz auf einen Konzertsaal in einem besonderen Gebäude in ihrem kleinen Ort. Davon gehen positive Impulse für das Dorf aus", ist Haimerl überzeugt. Er verschweigt nicht: In Blaibach gab es zwei Bürgerbegehren gegen das Konzertsaal-Projekt, für das eine lange leer stehende Bäckerei abgerissen wurde. Sie scheiterten. "20 Prozent halten unsere Ideen für Schmarrn und sie hatten zeitweise die Hälfte der Einwohner auf ihrer Seite. Bei solchen Projekten ist es aber gar nicht anders denkbar, als dass es auch zu Protesten kommt."

Das Bundesland Voralberg in Österreich gilt als vorbildliches Beispiel für die Bewahrung einer charakteristischen Architektur, die in die Landschaft passt. "Das ist eine reiche und sehr kleine Region, das hat diese Entwicklung begünstigt", sagt der Architekt Much Untertrifaller aus Bregenz. Er baut in der Schweiz, Österreich und Bayern moderne Häuser, die typische Materialien und Formen der jeweiligen Region berücksichtigen: Im Bregenzer Wald ist die geneigte Dachform nach wie vor ein Muss, doch besondere Bauten wie zum Beispiel Feuerwehrgebäude können mit einem Flachdach auch mal davon abweichen. Holz ist überall ein wichtiger Baustoff, im Voralberg wird vorzugsweise die Weißtanne verwendet. Einem Großprojekt für ein Feriendorf im schweizerischen Urnäsch muss die Bevölkerung zustimmen - durch die Verwendung von Holz, das aus dem Ort stammt, wird die Akzeptanz erhöht. Der Typus Bauernhaus gilt auf dem Land bis heute als Modell, an dem sich auch Neubauten orientieren. "Wir erstellen neue Gebäude oft als großes Reihenhaus, in das die Garage integriert wird. Auch die traditionell zahlreichen Fensterelemente in einer Reihe nehmen wir wieder auf", sagt Untertrifaller.

Sein Kollege Klaus Scheuer aus Hannover schaut neidisch gen Süden: "Ich baue seit 30 Jahren zwischen Harz und Weser. Es muss alles billig sein, und jeder will seinen eigenen Stil verwirklichen. In Bayern oder Baden-Württemberg ist das Interesse an einem homogenen Erscheinungsbild viel größer." Lothar Tabery hat den Verein BauKulturLand mitgegründet. Der Architekt aus Bremervörde kämpft in der Region Bremerhaven-Cuxhaven-Stade gegen den Verfall der Ortsbildqualität. "Häuser im Toskana-Stil erfreuen sich großer Beliebtheit, eine Identifizierung mit regionalen Bautraditionen gibt es oft gar nicht mehr", klagt Tabery. Sein Verein hat einen mobilen Gestaltungsbeirat initiiert, in dem Experten Kommunen bei architektonischen Fragen beraten. "Das Interesse bei Ortsräten und Bürgermeistern hält sich bislang in Grenzen - viele haben Angst, durch die Hinzuziehung von Fachleuten eigenen Einfluss zu verlieren", so Tabery.

Die Gemeinde unterstützt junge Familien, wenn sie am Ort bauen. Wie ihr Haus aussieht, ist egal

Im 11 000 Einwohner zählenden Schöningen an der Grenze von Niedersachsen zu Sachsen-Anhalt hat der Architekt Tristan Kobler das Museum Paläon gebaut, in dem die in Schöningen entdeckten ältesten Holzwaffen der Welt ausgestellt werden. Ein Museum, das mit seiner Fassade die Landschaft spiegelt und nichts mit der traditionellen Architektur der Umgebung zu tun hat, die von Fachwerkbauten geprägt ist. "Durch den Fund der 300 000 Jahre alten Speere ist Schöningen einer der zehn wichtigsten archäologischen Plätze weltweit. Diese Bedeutung muss man durch eine extravagante Architektur unterstreichen", sagt Wolf-Michael Schmid, Präsident der IHK Braunschweig. Ein einzigartiges Gebäude, das nach Worten von Bürgermeister Henry Bäsecke Menschen von weit weg nach Schöningen lockt. "Viele Städter entdecken so erstmals die Schönheit unseres Ortes, manche entscheiden sich dazu, sich hier niederzulassen." Angesichts von 800 leer stehenden Wohnungen ein kleiner Hoffnungsschimmer. Ob die regionale Baukultur dadurch geschützt werden kann, ist zu bezweifeln: Die Gemeinde preist trotz des Leerstands Neubaugebiete an und unterstützt junge Familien finanziell, wenn sie hier bauen. Wie ihr Haus aussieht, ist der Gemeinde egal.

Brenncke zieht ein selbstkritisches Fazit: "Nur ganz wenige Architekten sind bereit, auf dem Dorf für Baukultur zu werben und dafür auch die Auseinandersetzung nicht zu scheuen. Aber nur durch das Gespräch haben wir eine Chance, Menschen für unser Anliegen zu erreichen."

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