Bauen jenseits der Vorschriften:"Wir haben uns hier selbst verwirklicht"

Was darf's sein? Ein mediterraner Palazzo, ein südtiroler Landhaus oder doch lieber eine spanische Hazienda? Kein Problem. In der bayerischen Luitpoldsiedlung darf jeder bauen, was er will.

Barbara Ettl

"Diese stereotypen Reihenhäuser - in so etwas wollte ich ganz bestimmt nicht einziehen", sagt Stephanie Siegl. Als sie und ihr Mann bauen wollten, war klar, es sollte ein Haus werden, das eine eigene Handschrift trägt. Das Ziel haben sie erreicht: Wie eine Festung steht ihr ziegelrostrotes Haus in der Luitpoldsiedlung in Hohenbrunn bei München. Ein Kloster der postindustriellen Gesellschaft, ein mediterraner Palazzo, auf alle Fälle aber ein Unikat. In der Regel bremsen rigide Bauvorschriften den Bauherrn - umso wertvoller ist ihnen ihr besonderes Haus. Das ist wie Urlaub das ganze Jahr.

Die Nachbarin Antonia Soldner hat dem bayerischen Landhausstil abgeschworen und liebt es ebenfalls unkonventionell. Ihr Haus ist ein Südtiroler Landhaus, mit Fensterläden und Schießscharten. Ein Zollhäusl, sagen die Spötter, aber die drei Familien, die in dem Dreispänner wohnen, wollen dort nicht mehr weg. Soldner: "Wir haben 180 Quadratmeter, und die Kinder haben riesige Freiheiten."

"Wir haben uns hier selbst verwirklicht"

Die Siedlung am Rande von Hohenbrunn ist eine Ansammlung von individuellen Häusern, die von der Belo-Wohnbaugesellschaft und dem Planungsbüro Rechl in Amerang verwirklicht wurden. Ihre Gestaltung ist einzigartig im Münchner Raum und fast schon zu einer Touristenattraktion geworden, schreibt Sylvia Steinweg in ihrer Diplomarbeit "Neues Wohnen in Suburbia". Es ist wie eine Pilgerstätte in einer Region, in der sonst der Einheitsbrei der Reihenhaussiedlung dominiert. Eine Vielfalt an Baustilen verleiht der Siedlung einen außergewöhnlichen, individuellen Charakter.

Seine Träume von Individualität trägt der Bauherr in spe wenn nicht schon auf der Bank, dann spätestens bei der Baubehörde zu Grabe. Während andere Gemeinden in ihren Neubaugebieten die Richtung des Giebels vorschreiben, die Größe des WC-Fensters und manchmal sogar die Verarbeitungsweise des Holzes an der Außenfassade, gab die Gemeinde Hohenbrunn dem Bauherrn die Chance, seinen Traum zu verwirklichen. Ein Schritt auf dem Weg zur unkontrollierten Zersiedlung oder ein längst notwendiges Gegengewicht zur stereotypen, gesichtslosen Großsiedlung?

Rund eineinhalb Kilometer vom Ortszentrum entfernt liegt die 94.000 Quadratmeter große Luitpoldsiedlung mit 50 Bauparzellen. Gemeinsam mit der alten Luitpoldsiedlung, wo sich nach dem Krieg Aussiedler und Flüchtlinge niedergelassen haben, ist die neue Luitpoldsiedlung südlichster Ortsteil der Gemeinde Hohenbrunn. Schon in den fünfziger Jahren stand fest, dass das Gelände Baugebiet werden soll. Doch erst 1983 wurde der Flächennutzungsplan verabschiedet, 1992 der Bebauungsplan genehmigt und 1996 zum Abschluss gebracht. "Die meisten der 70 Besitzer, die in den fünfziger Jahren gekauft hatten, waren nicht mehr interessiert", sagt Bürgermeister Franz Zannoth.

Der ursprüngliche Bebauungsplan für Einfamilien- und Doppelhäuser, Drei- und Vierspänner war stark reglementiert, sagt Zannoth. Vorgeschrieben wurden Satteldächer, rote Dachbedeckungen und für die Wände ein Putz in Weißtönen. Doch dann kamen die ersten unkonventionellen Baupläne in den Gemeinderat und stießen dort auf positive Resonanz. Die terrakottafarbene Hazienda mit gotischen Spitzbögen sei fünf Mal im Bauausschuss gewesen. "Das waren keine Baupläne, was Rudolf Rechl aus Amerang vorlegte, das waren Gemälde", erinnert sich Zannoth. Das Interesse des Gemeinderats wuchs, die Toleranz nahm zu.

Das Ergebnis sei eine nicht übliche Experimentierfreudigkeit unter den Ortsvertretern gewesen, die sich auch vom Landratsamt nicht mehr bremsen ließen. Plötzlich habe es eine Mehrheit gegeben. Zannoth: "Das Gespött ging durch den ganzen Landkreis. Wir mussten uns ganz schön was anhören an den Stammtischen."

Die Bewohner der etwas anderen Häuser fühlen sich wohl. Siegls und Soldners haben mit dem Architekten um die Details gerungen. "Klar würde ich heute einiges anders machen", sagt Stephanie Siegl nach sechs Jahren. Tuffstein auf der Arbeitsplatte in der Küche sei angesichts der großen Poren eine Schnapsidee und kaum zu reinigen. Aber ansonsten sind die Siegls zufrieden: "Wir haben uns hier selbst verwirklicht."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: