Banker Steinmetz packt aus:"Freiheit bedeutet, in Ketten zu tanzen"

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Als Risikovorstand bei der Dresdner Bank und der Deutschen Bank erlebte Otto Steinmetz mit, was die Branche alles falsch machte.

Martin Hesse und Ulrich Schäfer

Es waren Geschäfte ohne Rücksicht auf Verluste: Milliarden Euro wechselten in den Banken den Besitzer ohne jede Unterlagen, kritische Kollegen wurden mit üppigen Bonuszahlungen ruhiggestellt - Otto Steinmetz weiß, was in der Branche schief lief.

Es gab eine Zeit, in der hat sich das so zugespitzt, dass die Banken zum Teil die Aufsichtsbehörden um Hilfe gebeten haben. Da hatten vorher selbst Interventionen auf Vorstandsebene nicht gefruchtet. (Foto: Foto: dpa)

Die Deutsche Bank verließ er einst, weil er seine Vorstellungen von Kontrolle nicht durchsetzen konnte. Die Investmentbanker um Josef Ackermann hatten den Risikomanager ausgebremst. Er wechselte zur Dresdner Bank. Dort verspielten Investmentbanker in der Krise Milliarden. Jetzt rechnet Steinmetz mit der herrschenden Bankerkultur ab.

SZ: Herr Steinmetz, reden wir über Geld. Sie standen als Risikovorstand der Dresdner Bank bis 2008 im Zentrum der Finanzkrise. Mit dem Abstand von heute: Wer ist schuld daran, dass Billionen Dollar und Euro versenkt wurden?

Otto Steinmetz: An der Krise haben viele ihren Anteil, nicht nur Banker. Manche haben mehr oder minder fahrlässig oder sogar vorsätzlich gehandelt, einige kriminell. Auf der anderen Seite standen Anleger mit einem enormen Risikoappetit. Die Banken, vornehmlich in den USA, sahen diesen Bedarf. Also schufen sie Material, um die Geldmaschine zu füttern.

SZ: Und dabei haben viele getäuscht und getrickst.

Steinmetz: Das war leider so. Schuldner haben in ihren Kreditanträgen bewusst falsche Angaben gemacht, Kreditvermittler erhielten überhöhte Provisionen, Gutachter haben aufgeblähte Werte für Immobilien angesetzt, zwei Drittel der Hypothekenkredite, die Eingang in die toxischen Wertpapiere fanden, wurden im aufsichtsfreien Raum vergeben. Und dann haben Banken auch noch unzulänglich die Qualität geprüft, als sie diese Hypothekendarlehen gebündelt und daraus Wertpapiere geschaffen haben.

SZ: Wann war Ihnen klar, dass sich da eine Blase gebildet hat?

Steinmetz: Schon 2006 war das vielen von uns klar. Aber wir haben uns mehr damit befasst, welche Folgen das für die Konjunktur haben könnte, wenn diese Blase platzt. Deshalb wurden wir vorsichtiger bei der Kreditvergabe an Firmen, nicht aber im Geschäft mit Wertpapieren. Das oben geschilderte Fehlverhalten war uns da aber noch nicht bekannt.

SZ: Die Banker sahen die Blase, aber nicht die Folgen. Das Risikomanagement hat also versagt.

Steinmetz: Leider gab es die weit verbreitete Haltung: Das Risikomanagement ist keine Kernkompetenz der Bank, das kostet nur und muss deshalb ausgelagert werden. Ich habe das immer bekämpft. Denn wozu sind Banken denn da, wenn nicht zum Managen von finanziellen Risiken? Andererseits man darf nicht vergessen, dass alle Banken unter einem enormen Renditedruck stehen.

SZ: War der Druck, möglichst viel Geld zu machen, wirklich so groß?

Steinmetz: Diese Renditen sind ja nicht erfunden worden, sondern wurden verlangt - von den großen Investoren ebenso wie von den Kleinanlegern. Das Grundproblem ist, dass in der Welt seit zehn Jahren immer weniger nachhaltig gewirtschaftet wird. Heute geht es nur noch um den Shareholder Value, den Mehrwert der Aktionäre. Da hat sich gewaltig etwas verschoben - auch weil die Politiker Fehler gemacht haben.

SZ: Sie wollen doch nicht behaupten, dass die Politik das Konzept des Shareholder Value erfunden hat?

Steinmetz: Nein, aber die Politiker haben die Globalisierung und Deregulierung der Finanzmärkte vorangetrieben. Mitarbeiter, Kunden und Gesellschaft standen nicht mehr gleichberechtigt neben den Interessen der Aktionäre. Die Politik hat keinen Rahmen gesetzt und allein auf den freien Markt gebaut. Ich sage dagegen: Freiheit bedeutet, in Ketten zu tanzen. Dass die Finanzindustrie sich gegen Ketten wehrt, ist natürlich. Aber es ist die Aufgabe der Politik, diese Ketten zu schmieden und anzulegen.

SZ: Die Politiker waren doch Getriebene der Finanzindustrie und damit auch jener Banken, für die Sie gearbeitet haben.

Steinmetz: So einfach darf man es sich nicht machen. Die deutsche Finanzaufsicht Bafin war doch in den letzten Jahren bekanntlich in allen Aufsichtsratssitzungen der großen Banken mit einem Vertreter anwesend, genauso wie die Bundesbank. Sie haben alle Risikoberichte erhalten wie jedes andere Aufsichtsratsmitglied, 150 oder 200 Seiten mit allen Erläuterungen. Sie waren sogar in den jeweiligen Ausschüssen des Aufsichtsrats vertreten, die sich mit Risikothemen intensiv beschäftigt haben.

SZ: Sie haben also alles gewusst.

Steinmetz: Aber sie haben nie eine Frage gestellt. Ich habe sie selbst darauf angesprochen: Warum beteiligen Sie sich nicht an der Diskussion?

SZ: Und?

Steinmetz: Die Antwort lautete: Das ist nicht unsere Rolle. Ich war perplex.

SZ: Fehlte es vielleicht an der nötigen Fachkunde?

Steinmetz: Offenbar. Bei allen meinen Besuchen bei der Aufsicht ging zwei Drittel der Zeit dafür darauf, dass es Erklärungsbedarf gab bei Produkten und Märkten. Die Leute haben es nicht gewusst oder nicht verstanden.

SZ: Und das hat niemand bemerkt?

Steinmetz: Doch. Jochen Sanio, der Chef der Bafin, hat schon bei seinem Amtsantritt beklagt, dass seine Behörde schlecht ausgestattet sei. Aber was hat die Regierung gemacht, der die Aufsicht untersteht? Zumindest nicht genug.

SZ: Was würden Sie denn tun, um den Risikohunger der Banker zu begrenzen?

Steinmetz: Es wird ja nicht ohne Grund überlegt, das Investmentbanking und das normale Kreditgeschäft mit Firmen und Verbrauchern wieder voneinander zu trennen. Dann können die Investmentbanker nicht mehr die langfristigen Einlagen der Sparer für riskante Geschäfte hernehmen. Stattdessen müssten sie sich das nötige Kapital dafür auf dem Kapitalmarkt beschaffen; das würde die Rendite der Investmentbanken deutlich mindern. Diese Trennung wurde ja schon einmal vollzogen nach der Weltwirtschaftskrise in den 30er Jahren. Leider wurde dieses Gesetz, der Glass-Steagall-Act, 1999 aufgehoben, was zu einer gewaltigen Fusionswelle geführt hat.

SZ: Sprechen Sie aus Ihrer Erfahrung bei der Dresdner Bank, wo das Investmentbanking die übrige Bank in den Abgrund zog?

Steinmetz: Das ist ein Phänomen, das man überall beobachten konnte. Investmentbanker und Geschäftsbanker haben eine unterschiedliche Kultur. Da gibt es Reibungen, Spannungen, Gegensätze, die nur wenige Bankkonzerne auf Dauer erfolgreich überbrücken können.

SZ: Wenn Sie an Ihre Erfahrungen als Risikomanager denken: Reicht eine Aufspaltung der Banken wirklich aus, um künftig Krisen zu verhindern?

Steinmetz: Sicher nicht. Zum Beispiel gab es Milliardengeschäfte, die nur mündlich zwischen zwei Händlern abgeschlossen wurden.

SZ: Das heißt: Zwei Händler machten am Telefon ein Milliardengeschäft, aber es gab darüber keinerlei Unterlagen?

Otto Steinmetz: "Diese Renditen sind ja nicht erfunden worden, sondern wurden verlangt - von den großen Investoren ebenso wie von den Kleinanlegern." (Foto: Foto: Robert Haas)

Steinmetz: Ja, so ist es. Alle Gespräche wurden zwar auf Band aufgenommen, aber es konnte sein, dass man wochen- oder monatelang auf eine schriftliche Bestätigung warten musste und noch länger auf den Vertrag. Denn es ging dabei oft um sehr komplizierte Sachverhalte. Das hat in der Vergangenheit immer wieder zu gewaltigen Problemen geführt.

SZ: Wie häufig kamen denn diese mündlichen Milliardengeschäfte vor?

Steinmetz: Es gab eine Zeit, in der hat sich das so zugespitzt, dass die Banken zum Teil die Aufsichtsbehörden um Hilfe gebeten haben. Da hatten vorher selbst Interventionen auf Vorstandsebene nicht gefruchtet. Und dann hat sich die Aufsicht auch darum gekümmert. Wenn man solche Derivate über die Börse abwickeln würde, dann gäbe es diese Probleme nicht. Es würde zwangsläufig zu einer Standardisierung dieser Produkte kommen. Die Abwicklung der Geschäfte wäre auch dann ohne nennenswerte Verluste gesichert, wenn einer der beiden Vertragspartner ausfällt.

SZ: Waren die Banken überfordert?

Steinmetz: Ja. Und das lag auch daran, dass bei den Stabsabteilungen für Finanzen, Recht oder Risikomanagement massiv gespart wurde. Denn sie verursachten nur Kosten, erwirtschafteten aber keine Erträge. Hinzu kam, dass die Kosten für die sogenannten "back offices" den Gewinn schmälerten - und damit die Boni der Investmentbanker und die Dividende der Aktionäre.

SZ: Und irgendwann wechseln deshalb Risikomanager die Seiten.

Steinmetz: So ist es zuweilen. Investmentbanker fragen sich: Gereicht uns das zum Vorteil, wenn wir den Risikomanager rüberholen? Der verdient dann sofort das Doppelte. Deshalb besteht die Gefahr, dass mancher Mitarbeiter seine Kontrollaufgabe nicht so wahrnimmt, wie er sollte. In die gleiche Richtung wirkt, wenn der Chef einer Investmentabteilung Einfluss auf die Beförderung und die Bonuszahlungen der Mitarbeiter des Risikomanagements nehmen kann. Das versetzt den Risikomanager in eine Position der Schwäche...

SZ: ...gegenüber Investmentbankern, die tendenziell immer höhere Risiken eingehen wollen.

Steinmetz: Das ging gelegentlich so weit, dass das gesamte Risikoteam verunglimpft wurde. Da heißt es dann: Die managen gar keine Risiken, die wollen überhaupt keine Risiken eingehen. Leider haben wir in unserer Wirtschaft eine Kultur, in der Querdenker und kritische Stimmen nicht goutiert werden, ja nicht mal gewollt sind.

SZ: Wie lässt sich dies ändern?

Steinmetz: Man sollte den Risikovorstand in seiner Rolle weiter stärken. Die Mitarbeiter in den Kontrollabteilungen sollten zudem besser bezahlt werden. Das gilt auch für die Aufsicht, deren Mitarbeiter niedrig bezahlt werden. Wenn da wirklich mal ein ganz Guter ist, wechselt er doch sofort in den Finanzsektor.

SZ: Die Banken haben durch diesen lockeren Umgang mit dem Geld sehr viel verloren. Haben Sie den Eindruck, dass sie dazu gelernt haben?

Steinmetz: Schon. Aber nach wie vor holen sie sich Geschäfte ins Haus, für die ihnen die notwendigen Strukturen fehlen. Deshalb sollte die Aufsicht nur das an Produkten zulassen, was sie verstehen, was sie messen und was sie wiegen können - und was die Institute wirklich managen können. Alles andere gehört verboten. In der Finanzarchitektur, die jetzt errichtet wird, müssen wir Brandmauern und Sicherungskästen einbauen, um Kettenreaktionen zu verhindern.

SZ: Man muss der Gier der Banker also Grenzen setzen?

Steinmetz: Mir scheint, dass diejenigen, die mit schnellen Geschäften eine maximale Rendite machen wollen, nicht mehr an die Nachhaltigkeit unseres Wirtschaftssystems glauben. Sie versuchen deshalb, sich Vorteile zu verschaffen. Geld ist an die Spitze der Werteskala nicht nur in der Finanzindustrie getreten. Das muss sich ändern, sonst spaltet es unsere Gesellschaft. Dafür aber brauchen wir neue Vorbilder.

© SZ vom 29.01.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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