Banker für Schuldenerlass:Plan P für Griechenland

Die Wirklichkeit erreicht die Wirtschaft: Commerzbanker Blessing sieht die Pleite auf Griechenland zukommen und plädiert für einen Schuldenerlass. Es könnte die einzige Rettung für das marode Land sein, auch wenn es einen zeitweisen Zahlungsausfall bedeuten dürfte. Aber Politik und Europäische Zentralbank haben Angst - für sie ist ein Zahlungsausfall auch der Sündenfall.

Hans-Willy Bein, Javier Cáceres und Catherine Hoffmann

Der Mann kennt sich aus mit Schuldenkrisen und Finanzpolitik. Sein Geldinstitut hatte ein paar Verbindlichkeiten zu viel angehäuft, der deutsche Staat musste helfen. Noch heute ist er mit 25 Prozent an der Commerzbank beteiligt. Umso erstaunlicher, was Vorstandschef Martin Blessing jetzt zu den Problemen Griechenlands herauslässt: Der Mittelmeer-Staat brauche "eine Umschuldung bis zur teilweisen Entschuldung".

Starke Worte. Blessing will vorangehen, das sei sein persönliche Interesse. Konkret fordert der Chef der zweitgrößten Bank Deutschlands, dass Griechenlands Gläubiger ihre alten Anleihen in neue, 30 Jahre laufende Papiere tauschen - und dabei einen Abschlag von 30 Prozent hinnehmen. Er ist für einen "Haircut", einen Schuldenschnitt. Das Land stehe ohne Unterstützung der Partnerländer "praktisch vor dem Zusammenbruch", schreibt er kühl und korrekt in der Frankfurter Allgemeinen. Auch für den Investor George Soros ist klar: Griechenland bewege sich auf einen Zahlungsausfall zu. Die führenden Politiker der EU sollten sich einen Plan B zurechtlegen, um eine Ansteckung auf andere Länder zu verhindern.

Für Plan B könnte man auch Plan P schreiben - "P" wie Pleite. Die Realität ist in den Top-Etagen der Finanzwirtschaft angekommen, und von da wird sie vermutlich bald die Politik erreichen: Griechenland wird wohl, wenn alles so bleibt, seine Schulden nie zurückzahlen können, auch nicht bei immer neuen Krediten. Seit dem Frühjahr 2010 hatte die EU, im Zusammenspiel mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF), mit ihren Ausleihungen den Crash verhindern wollen. Doch die Schuldenquote von Hellas stieg weiter. Das Land habe viel getan, um das Defizit zu senken, erkennt IWF-Chefin Christine Lagarde: "Wir alle wissen aber, dass das nicht ausreicht."

Nun muss eine Zäsur her: Die Gläubiger verzichten dabei teilweise auf ihr Geld, damit Griechenland erstarkt. Blessings Bitten wirken wie ein Fanal.

Es geht ums Ganze in Europa. Die Euro-Krise schwappt auf Belgien, Italien und Spanien über, Kernländer der Währungsgemeinschaft. An den Börsen sind die Händler in heller Panik, weil eine Zahlungsunfähigkeit Griechenlands zum Greifen nahe ist. Der Schuldenerlass für Athen - und damit ein drohender "Default", die Pleite eines Euro-Mitglieds - wird nicht mehr nur in Kreisen von Professoren debattiert.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble mahnt zwar an, "dass in einer so nervösen Lage nicht Ansteckungsgefahren verstärkt" werden dürfen. Doch zugleich beharrt er darauf, dass "die privaten Gläubiger beteiligt werden" an einer Rettung Griechenlands. Dass die Radikalkur mit einem teilweisen Zahlungsausfall griechischer Schuldtitel verbunden ist, wird nun in Kauf genommen. "Es könnte der Fall eintreten, dass es in einer sehr kurzen Phase zu einem zeitweisen Zahlungsausfall kommt", gesteht der niederländische Finanzminister Jan Kees de Jager ein. Das alles kommt einer 180-Grad-Wende in Europa gleich. Galt es bislang doch, den "Default", den Zahlungsausfall, um jeden Preis zu verhindern.

Es ist ein gewagtes Manöver. Nicht alle sind damit einverstanden, was sich da anbahnt, was da in Deutschland und anderswo angedeutet wird. Diese Debatte sei "weder korrekt eröffnet noch abgeschlossen" worden, sagt Spaniens Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero. Wer einen solch großen Stein ins Rollen bringe, müsse sich vorher der Auswirkungen bewusst sein. Seine Regierung, so Zapatero, halte diesen Weg nicht für "adäquat".

Die bittere Bilanz nach gut einem Jahr Griechenland-Drama: Weiter Konfusion trotz großer internationaler Milliarden-Hilfen. Die Euro-Gruppe hat zwar auf ihrem Krisentreffen am Montag die Tür aufgestoßen zu üppigen Rettungsmaßnahmen für Pleitekandidaten. Auch sollen die Laufzeiten für die Notkredite verlängert und die Zinsen gesenkt werden. Doch die Nerven der Börsianer liegen blank. "Europa erlebt den gefährlichsten Moment seit Beginn der Schuldenkrise", konstatiert der sonst so nüchterne Chefökonom der Berenberg Bank, Holger Schmieding.

In den Banken und Versicherungskonzernen dürften die Risikokontroller bang auf ihre Bilanzen schauen - und sich fragen, wie hoch der Abschreibungsbedarf im Ernstfall ist. Schon heute ist klar: Die Kapitaldecke ist in vielen Fällen zu knapp, wenn nach Griechenland, Portugal und Irland noch weitere Staaten kippen und die privaten Gläubiger zur Verantwortung gezogen werden. Am Freitag kommt die Stunde der Wahrheit: Dann publiziert die Europäische Bankenaufsicht EBA die Ergebnisse ihres jüngsten Stresstests. Es ist gewagt, dass in dieser aufgeheizten Stimmung Commerzbank-Chef Blessing vorprescht. "Kein demokratisch durchsetzbares Sparpaket wird es dem Land ermöglichen, in absehbarer Zeit an den Kapitalmarkt zurückzukehren und seine Schulden mit Zinsen zurückzuzahlen", analysiert er. In Portugal und Irland sehe es nicht viel besser aus. Und Spanien sowie Italien seien in Gefahr, sich zu infizieren.

Steinbrück glaubt an den Schuldenschnitt

Die Banken und Versicherungen, die Athen Geld geborgt haben, müssten nach seinem Plan einen Teil ihrer Verluste realisieren. Dafür bekämen sie sichere Papiere, die sich mühelos verkaufen ließen. Und die Griechen könnten ihre Schuldenlast auf einen Schlag reduzieren.

Bleibt nur ein Problem: Die Europäische Zentralbank (EZB), die massenweise Ramschanleihen aus Griechenland, Portugal und Irland aufgekauft hat, wäre vom Umtausch betroffen - auch wenn sie die Hellenen-Bonds mit einem Abschlag von 25 Prozent erstanden hat.

Über kurz oder lang werde es zum Schuldenschnitt kommen, glaubt auch Ex-Finanzminister Peer Steinbrück. Der SPD-Politiker warnt vor immer neuen Rettungsschirmen und plädiert für einen Forderungsverzicht der Griechenland-Gläubiger: "Wenn wir weiter machen wie bisher, werden immer mehr Länder in den Krisenstrudel gezogen." Die Belastungen für Banken und Versicherungen hält Steinbrück für tragbar - die Kreditwirtschaft habe die Anleihen weitgehend abgeschrieben.

Ein heikles Thema bleibt bei allen Modellen einer Umschuldung: Nennenswerte Summen kommen nur zusammen, wenn die Gläubiger zwangsweise auf einen Gutteil ihrer Forderungen verzichten müssen. Denn: Freiwillig werden sich nur wenige dazu bereit finden. Die Ratingagenturnen warnen, dass schon eine Stundung der griechischen Schulden als Zahlungsausfall gesehen würde. Griechenland wäre damit pleite. Und genau davor hat die EZB Angst.

Sie beharrt bis heute darauf, dass jedes "Kreditereignis" verhindert werden müsse. Die Notenbanker fürchten einen Sündenfall wie die Pleite von Lehman Brothers zu Beginn der Finanzkrise, die Banken reihenweise kippen ließ. Ausgeschlossen ist das nicht. "Man muss sich darauf vorbereiten, dass die ein oder andere Bank in Schwierigkeiten kommt", formuliert recht zurückhaltend der luxemburgische Finanzminister Luc Frieden.

Politiker und EZB sind zaghafter als die betroffenen Banker - das überrascht. Auch die Lobbyisten der Banken im "Institute of International Finance" werben für einen Kurswechsel - das Institut vertritt Banken mit großen Beständen an griechischen Staatsanleihen. Die Financial Times berichtet, dass es unter den Banken eine gewisse Sympathie für einen Schuldenerlass gibt und zitiert aus einem Papier, das den Euro-Finanzministern am Montag vorgelegt wurde. Dort steht: "Pläne, die allein darauf fokussiert sind, dass Griechenland seinen Kapitalbedarf deckt, ohne dass es einen Schuldenerlass gibt, werden die Märkte nicht stabilisieren und die Ansteckungsgefahr nicht abwenden."

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