Banker aus Franken:Herr Lehmann, Herr Goldmann, Herr Sachs

Drei Franken gründeten in Amerika Geldhäuser von Weltruhm. Jetzt kratzt der Bankenkrach an ihrem Erbe. Eine Spurensuche

Hannah Wilhelm

Rimpar/Trappstadt - Das kleine unterfränkische Örtchen Rimpar bangt. "Es ist traurig, wirklich traurig", sagt der Apotheker der 7500-Seelen-Gemeinde im Vorbeigehen, er zuckt resigniert mit den Schultern und verschwindet in seinem Laden. Ja, die Bankenkrise ist traurig und nun sie ist auch in Rimpar bei Würzburg angekommen.

Lehman-Geburtshaus in Rimpar, AP

Das Geburtshaus der drei Lehmann-Brüder im unterfränkischen Rimpar. Hier lebten die Drei, bis sie nach Amerika auswanderten und die Bank Lehman Brothers aufbauten. Auch Marcus Goldmann, Gründer der Investmentbank Goldman Sachs, stammt aus Unterfranken - aus der Gemeinde Trappstadt.

(Foto: Foto: AP)

Rimpar ist der Geburtsort von Heinrich Lehmann, dem Gründer der US-Investmentbank Lehman Brothers. Hier, im Haus, in dem nun die Apotheke ist, wuchs er auf, bevor er 1844 im Alter von 23 Jahren auswanderte, ins ferne Amerika, wo er zunächst einen Gemischtwarenladen in Alabama aufmachte. Darauf war man so stolz hier - und jetzt?

Hühner in der ehemaligen Synagoge

Ganz in der Nähe der Apotheke wohnt Ludwig Heldwein und er hat es auch schon gehört: Lehman ist pleite, im Radio kam es, sagt er. Der kräftige Mann kratzt sich am Kopf, fährt mit der Hand durch die weißen Haarborsten und schließt eben schnell sein Hoftor auf, denn dahinter verbirgt sich ein besonderer Schatz, die Synagoge, die Heinrich Lehmann als Kind besucht hat.

Der Putz bröselt von der Decke, die rostroten Wandbemalungen sind nur noch schwach zu erkennen. Staub kitzelt in der Nase. Aufgeschreckt flattern und gackern 30 Hühner durch die ehemalige Synagoge. Sie leben hier. "Ich bin Geflügelzüchter", sagt Heldwein und schält die blaue Plastikplane von einem Denkmal für die vier jüdischen Rimparer, die im Ersten Weltkrieg gefallen sind. "Ich muss es mit der Plane schützen, damit die Hühner nichts kaputt machen", erklärt er.

Träume vom Geld aus New York

In guten Zeiten, da hat Bürgermeister Burkard Losert mal davon geträumt, dass die große Investmentbank aus New York vielleicht ein bisschen Geld rausrückt, damit die alte Synagoge renoviert werden kann. Aber aus, vorbei, das wird wohl nichts. Das weiß auch Bürgermeister Losert. Ein paar Millionen hätte die Gemeinde für das Projekt schon gebraucht. Aber Lehman Brothers hat Konkurs angemeldet, die Bank wird abgewickelt, am Schluss hatte sie viele Milliarden Dollar Schulden. Da bleibt auch für die Träume eines unterfränkischen Bürgermeisters kein Geld mehr.

Die 300 Millionen, die die staatliche Förderbank KfW noch am Tag der Pleite an Lehman überwiesen hat - aus Versehen, wie die Radionachrichten gerade vermelden - die hätten locker gereicht für die Renovierung der Synagoge. "Also, wie so etwas passieren kann", ärgerlich schüttelt Losert den Kopf, "unser Stadtkämmerer, der schaut jeden Tag in die Zeitung, und wenn da über eine Insolvenz von einem Unternehmen berichtet wird, da überweisen wir von der Gemeinde keinen Cent mehr. Das ist doch klar." Nein, sagt Losert, dem Stadtkämmerer von Rimpar wäre so ein Missgeschick nicht passiert.

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Herr Lehmann, Herr Goldmann, Herr Sachs

"Man kann nur hoffen, dass es Goldman Sachs besser ergeht", sagt die Bibliothekarin Cordula Kappner und lässt ihre Augen über den märchenhaft-idyllischen jüdischen Friedhof in Kleinbardorf schweifen.

Um die Investmentbank Goldman Sachs geht es der 67-Jährigen nicht wirklich, die ist ihr ziemlich egal. Es geht ihr um Marcus Goldmann, den Gründer von Goldman Sachs. Sie hat ihn kürzlich entdeckt - genauer gesagt hat sie entdeckt, dass auch er aus einem kleinen fränkischen Ort kommt. Aus Trappstadt, das ist etwa eine Autostunde von Rimpar entfernt. "Ich habe mich so gefreut, dass es ihm so gut ergangen ist, einem von hier, der so viel erreicht hat", sagt Kappner. Das soll doch nun bitte nicht den Bach runtergehen. Bankenkrise hin, Finanzkrise her.

Keine Perspektive mehr in Unterfranken

Drei der ganz großen amerikanischen Bankengründer vergangener Zeiten kommen aus Unterfranken: Heinrich Lehmann, Gründer von Lehman Brothers, aus Rimpar. Marcus Goldmann, Gründer von Goldman Sachs, aus Trappstadt. Und auch sein Kompagnon Joseph Sachs kommt aus Unterfranken. Woher genau, weiß man nicht, "aber ich bin dran", verspricht Bibliothekarin Kappner. Bald wird sie wieder in Würzburg ins Archiv gehen; den Joseph Sachs, den treibt sie auch noch auf.

Drei Banker von Weltruhm - alle drei waren sie Juden, die keine Perspektive mehr sahen in Unterfranken, Mitte des 19. Jahrhundert. Keine Zukunft, kaum Spielraum - die Gesetze für Juden waren hier sehr streng. Jüdische Bürger konnten sich nicht einfach niederlassen oder heiraten, wenn sie wollten. Sie durften keinen Beruf erlernen. Zahlen mussten sie aber - Steuern und Sonderabgaben für alles und nichts. Heinrich Lehmann, Marcus Goldmann, beide Söhne von Viehhändler, wollten so nicht leben.

Die letzte Lehmann-Erbin starb im KZ

Also nahmen sie das Schiff nach Amerika; Lehmann 1844, Goldmann 1848. Die, die in Franken blieben, blieben meist kleine Händler und zahlten weiter. Im 20. Jahrhundert leiteten die Nachkommen von Lehmann und Goldmann die mittlerweile riesigen Banken in New York, waren Politiker oder Richter. Die Nachkommen der Zurückgebliebenen wurden im nationalsozialistischen Deutschland verfolgt, einigen gelang die Flucht, die anderen wurden ermordet. Die letzte Lehmann-Erbin, die noch in Unterfranken lebte, starb 1942 in Treblinka, im KZ.

Cordula Kappner stapft über den Kleinbardorfer Friedhof und sucht nach einem Grabstein. Da ist er: "Sannel Goldmann" steht kaum noch lesbar auf einem der vielen Grabsteine, die von grünem, gelben und braunen Moosflechten bewachsen sind. Sannel war ein kleiner Bruder von Marcus Goldmann. 1848 haben sie sich wohl das letzte Mal in ihrem Leben gesehen - als Marcus seine Sachen packte und ging. Für immer. Der kleine Sannel blieb und wurde hier in Unterfranken begraben.

Der verwitterte Grabstein ist eine der wenigen Spuren, die noch vom Leben des Marcus Goldmann erzählen. Es gibt noch ein paar weitere Gräber von Verwandten. Auf dem alten jüdischen Friedhof in Würzburg zum Beispiel, liegen eine Schwester von Marcus Goldmann und ein Neffe von Heinrich Lehmann begraben. Goldmann und Lehmann - in Deutschland kannten sie sich wohl nicht, aber sie kamen aus dem gleichen Milieu. Und es war das gleiche Leben, das sie nicht mehr leben wollten.

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Herr Lehmann, Herr Goldmann, Herr Sachs

Auf dem Weg zu Marcus Goldmanns Heimatort Trappstadt kommen weiterhin Hiobs-Botschaften aus dem Radio. Immer noch rätselt der Sprecher darüber, warum die KfW die 300 Millionen Euro an Lehman Brothers überwiesen hat. Einfach so.

Keine Bank, nur Bänke

Außerdem straucheln nun auch die US-Investmentbank Morgan Stanley und das britische Institut HBOS. "Kürzlich hat Goldman Sachs Zahlen veröffentlicht, das sah auch nicht gerade gut aus", sorgt sich Trappstadts Bürgermeister Kurt Mauer. Anfang des Jahres hatte er noch keine Ahnung, was eine Investmentbank überhaupt ist. Warum auch? Trappstadt hat gut 1100 Einwohner, eine Bank gibt es hier nicht. "Nur Sitzbänke", Bürgermeister Mauer lacht heiter über seinen Witz, "und die Genossenschaftsbank macht Schalterstunden, zwei Mal die Woche. Das ist gut für unsere älteren Anwohner."

Nachdem Cordula Kappner aber im Frühjahr 2008 ausgerechnet Trappstadt als Heimat von Marcus Goldmann ausmachte, lernte Bürgermeister Mauer schnell, was eine Investmentbank ist. Er versteht was vom Geschäft und ein berühmter Sohn ist gut für die Gemeinde. Und weil Mauer im Sommer sowieso in die USA reisen wollte, klopfte er auch gleich bei Goldman Sachs in New York an, ob er nicht mal vorbeischauen dürfe. Durfte er.

Also ging es von Trappstadt nach New York, ins Goldman-Sachs-Hochhaus in der 85 Broad Street. Am 5. August 2008, 9.30 Uhr, wurde er dort empfangen und durfte sich in der Ahnengalerie stolz vor dem Ölgemälde des Mannes fotografieren lassen, der unbedingt wegwollte aus dem Ort, in dem Mauer heute Bürgermeister ist.

Goldman Sachs feiert im kommenden Jahr sein 130. Jubiläum. Deshalb will nun auch ein amerikanisches Filmteam nach Trappstadt kommen. "Wir hoffen natürlich, dass sie im Frühjahr kommen, dann ist es hier ein bisschen schöner. Da habe ich schon versucht, meinen Einfluss geltend zu machen", sagt Bürgermeister Mauer.

Kleine Ausstellung im Schloss

Die Finanzkrise passt ihm da so gar nicht in den Kram. Er will, dass es dem neuentdeckten Sohn gut geht; da könne man noch was Großes daraus machen. Aber immerhin - die Gemeinde hat noch einen berühmten Sohn: Joseph Brunner, der hier im 18. Jahrhundert lebte. "Er könnte der älteste Mensch der Welt gewesen sein", erzählt Bürgermeister Mauer mit ernster Miene, aber das müsse man noch "verifizieren".

In Rimpar zeigt Bürgermeister Burkard Losert stolz die kleine Ausstellung im Schloss, die den Lehmanns gewidmet ist. Ein rundes Zimmer, keine fünf Quadratmeter groß. Hier wird die Geschichte Heinrich Lehmanns und seiner beiden Brüder Emanuel und Mayer erzählt, die ihm hinterherreisten, nachdem es ihrem großen Bruder so gut in der neuen Heimat ergangen war. Sie stiegen ins gewinnbringende Geschäft ein, deshalb auch der Name: Lehman Brothers. Die Gebrüder Lehmann. Ein Name, der Jahrzehnte lang so berühmt war. In der ganzen Welt bekannt. Und der nun, nach dem Bankrott der Bank, wohl verschwinden wird.

Ein bisschen verwundert ist Bürgermeister Losert schon über das große Interesse: "Sie tun ja fast so, als ob die Gemeinde pleite ist." Und, ist sie das denn? "Nein", sagt Losert freundlich, "wir haben unser Geld noch beisammen."

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