Bahnhofausbau in Stuttgart:Der Diskussions-Bahnhof

Nach 20 Jahren Planung, Verzögerungen und Protesten soll die unterirdische Station "Stuttgart 21" jetzt gebaut werden.

Bernd Dörries

Das, was in der Realität viele Jahre brauchen wird, dauert hier nicht einmal fünf Minuten. Gräben tun sich auf, Schienen wandern, Bäume verschwinden - und plötzlich ist alles untertunnelt.

Das geht schön geräuschlos auf Computeranimationen und Modellen im Turm des Stuttgarter Bahnhofs, wo auf vier Ebenen gezeigt wird, wie das alles einmal aussehen soll: Stuttgart 21, der unterirdische Bahnhof und die Schnellbahnstrecke nach Ulm. Und es sieht gut aus auf den Modellen, die Stadt verwandelt sich in wenigen Minuten, es macht ein paar Mal "pft, pft", die Ebenen des Modells verschieben sich durch Pressluft. Ansonsten macht die Verwandlung keinen Lärm und keinen Dreck und es ist auch niemand da, der gegen das Milliardenprojekt Einspruch erheben würde.

Es ist nämlich gar niemand da im Turm des Stuttgarter Bahnhofes an diesem Nachmittag, der sich anschauen will, wie dramatisch die Stadt sich in den nächsten Jahren verändern wird. Die Stadt wird danach nicht mehr dieselbe seien. Das ist der Plan.

Die Stuttgarter strömen wahrscheinlich auch deshalb nicht in die Ausstellung im Bahnhofsturm, weil in der Stadt eine gewisse Stuttgart-21-Müdigkeit herrscht. Es wird schließlich schon so lange darüber geredet und diskutiert, zwei Jahrzehnte, dass kaum noch jemand glaubte, dass es tatsächlich einmal passieren wird.

Das wird es aber, in diesen Tagen wollen die Bundesregierung, die Bahn, das Land Baden-Württemberg und die betroffenen Städte die Verträge über das Projekt unterschreiben, das mindestens 5,1 Milliarden Euro kosten soll. Vor 20 Jahren, als die ersten Pläne gemacht wurden, dachten manche noch, es werde die ganze Sache vielleicht umsonst geben. Es war eine revolutionäre Idee und eine recht einfache dazu: Die Bahnhöfe in besten Innenstadtlagen werden unter die Erde verlegt, die überirdischen Gleise werden entsorgt und die frei werdenen Flächen an Investoren verkauft, was wiederum den unterirdischen Bahnhofsbau finanziert. Und alle sind glücklich.

33 Kilometer Tunnel in der Stadt

Viele Städte zeigten sich interessiert, es gab Überlegungen zu München 21, Frankfurt 21 und eben die Pläne in Stuttgart, die als einzige übrig blieben, weil es den anderen zu teuer war. Zwei Jahrzehnte debattierte man in Stuttgart und rechnete und machte Probebohrungen. Mehrere hundert Millionen Euro wurden bereits ausgegeben, die dann schließlich auch zu einem Argument für den Bahnhof wurden, da sie sonst verloren seien.

Im Jahr 2010 soll es nun wirklich losgehen. Es wird eine logistische Großtat werden. Der Stuttgarter Bahnhof soll bei laufendem Betrieb unter die Erde gelegt werden, 33 Kilometer Tunnel müssen allein im Stadtgebiet gegraben werden.

Der neue Bahnhof liegt quer zur derzeitigen Fahrtrichtung. Aus dem Sackbahnhof wird eine Durchgangsstation mit nur noch acht anstatt 16 Gleisen. Die Züge werden von etwa 2018 an nicht mehr durch das Neckartal in Richtung Ulm fahren, sondern über den Stuttgarter Flughafen und ab Wendlingen über eine neue Hochgeschwindigkeitsstrecke, die entlang der Autobahn A 8 verlaufen wird.

Der Diskussions-Bahnhof

Die Fahrtzeit von Stuttgart nach Ulm wird sich im ICE von 54 Minuten auf 28 fast halbieren. Dazu müssen 28 Brücken und 24 Tunnel gebaut werden. Letztere mit 60 Kilometer Länge. Bisher mussten die ICE-Züge mit 80 km/h die Schwäbische Alb hinaufschleichen - untragbar für ein Land wie Baden-Württemberg, fand nicht nur Ministerpräsident Günther Oettinger, der das Projekt Stuttgart 21 nach langen Stillstand wieder vorantrieb.

In Stuttgart selbst herrscht seitdem die Sorge, dass die gutbürgerliche Ruhe in der Stadt erheblich gestört werden könnte, dass der Mercedes beim Einkaufsbummel stark verschmutzen könnte. Insgesamt 2400 Lastwagenfahrten soll es zu Spitzenzeiten auf der Baustelle geben, die Bahn will sie aber zu einem großen Teil innerhalb der Baustelle abwickeln. Schutt und Baumaterial sollen mit Zügen gebracht und abgeholt werden.

Auch die Zugreisenden werden die Umbauten sehr bald nach Baubeginn spüren. Denn die Gleise des bisherigen Hauptbahnhofs werden 2011 um etwa 120 Meter nach hinten verlegt; zwischen der alten Bahnhofshalle und den Gleisen wird die Grube für die neue Strecke ausgehoben, die Bahngäste werden von Brücken aus in die Tiefe schauen können.

Irgendwie keine Schönheit

Die Gegner des Bahnhofs, von denen es nicht wenige gibt, halten das ganze Projekt für größenwahnsinnig und sind empört, dass für Stuttgart 21 der bisherige Bahnhof teilweise abgerissen wird. Damit werde ein Baudenkmal zerstört, protestierten auch renommierte Architekten. Die Frage aber ist, ob diese Architekten den bisherigen Stuttgarter Bahnhof auch tatsächlich einmal selbst gesehen haben; auch vielen Reisenden war bisher nicht bewusst, dass es sich um eine einzigartige Schönheit handelt. Innen ist er matschbraun angestrichen, alles ist schon in die Jahre gekommen, der Boden teilweise aus Teer und recht brüchig. Über den Gleisen hängen seltsame Glaskonstruktionen, die wohl vor Kälte schützen sollten, was aber nie gelingt - Stuttgart ist wohl Deutschlands kältester Großstadtbahnhof.

Von dem bisherigen Bahnhof, dem von 1914 an errichteten Bonatzbau, werden nur die Seitenflügel abgerissen, die bisher keine öffentliche Nutzung haben. In Stuttgart selbst wird ihnen kaum einer nachweinen. Die große Schalterhalle wird auch künftig ein Eingang der unterirdischen Station sein. Und zumindest nicht hässlicher als bisher. Dort, wo heutzutage die Züge hinausfahren, sollen Restaurants entstehen.

Der Entwurf für den ersten unterirdischen Bahnhof Deutschlands stammt vom Büro Ingenhoven, Overdiek und Partner. 1997 gewannen die Düsseldorfer den Wettbewerb - und warten seitdem darauf, dass es losgeht. Sie haben einen Bahnhof entworfen, der unter der Erde liegt und dennoch Licht von oben bekommt.

Der Diskussions-Bahnhof

Die Ebene, in der künftig die Züge halten, hat der Statiker Frei Otto mit futuristischen Hängekonstruktionen gestaltet, die in oberirdische Lichtaugen übergehen. Man sieht raus und kann reinschauen. So war der Plan. Sicher ist aber auch der nicht. Die Stadt Stuttgart setzte vor einigen Monaten eine Arbeitsgruppe ein, um nochmals über den Siegerentwurf nachzudenken. Und Bahnchef Hartmut Mehdorn sagte in Stuttgart vor einigen Monaten, er könne auch nicht sagen, wie Stuttgart 21 endgültig aussehen würde.

Der Verdacht liegt nahe, dass es sich in Wahrheit nicht um einen Durchgangsbahnhof, sondern um einen Diskussionsbahnhof handelt. Es ist wenig übriggeblieben von dem Schwung der Idee, von der Begeisterung erster Entwürfe. Dabei ist es für Stuttgart eine große Sache.

Neue Innenstadt

Stuttgart liegt in einem Kessel und könnte ohne Stuttgart 21 nicht mehr wachsen. In der Innenstadt wurde nach dem Krieg nochmal mehr an alter Bausubstanz zerstört, als durch die Bomben kaputtging. Straßen waren damals wichtiger als Orte, an denen man sich gerne aufhält. Durch die Verlegung der Gleise unter die Erde wird eine Freifläche von 100 Hektar entstehen, eine neue Innenstadt. Auf der Fläche sollen Büros und Läden entstehen für etwa 22.000 Menschen und Wohnungen für 12.000 - das alles mit Blick auf den Stadtpark, der noch einmal um 20 Hektar größer wird.

Es soll ein lebendiger Stadtteil werden ohne riesige Straßen, die die übrige Innenstadt Stuttgarts zerschneiden. Vor einigen Wochen gab es den ersten Spatenstich, für die Bibliothek 21 des koreanischen Architekten Eun Young Yi.

Bevor die Bauarbeiten an Stuttgart 21 aber richtig beginnen, wollen Stadt und Bahn nochmal laut für das Projekt und um die Gunst der Bürger werben. Dafür soll in der Innenstadt ein Pavillon aufgestellt werden, der nicht so versteckt ist wie die Ausstellung im Bahnhofsturm. Und prompt gibt es wieder Streit um den Standort.

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