Autographen:Die Handschrift der Großen

In Berlin werden auf Autographen-Auktionen handschriftliche Briefe wichtiger Menschen versteigert: Ein Goethe bringt 65.000 Euro, Hitler ist tabu. Einsichten eines Sammlers über eine Sucht.

Gerd Kröncke

Ach, diese Versuchungen. Es gab eine Zeit, da wünschte man, Buchhandlungen sollten, wie Spielbanken, den Ausweis verlangen und dem notorisch Süchtigen den Zutritt verwehren. Verführerischer noch sind Auktionen, auf denen Erstausgaben ausgerufen werden oder Bibliophiles.

Autographen: Der Wert eines Abraham Lincoln signierten Briefes wurde 2001 auf einer Auktion mit 21.850 Dollar angegeben.

Der Wert eines Abraham Lincoln signierten Briefes wurde 2001 auf einer Auktion mit 21.850 Dollar angegeben.

(Foto: Foto: AP)

Am schlimmsten aber, das gilt für Verrückte einer speziellen Sorte, sind Autographen-Auktionen. Da kann man sein Geld lassen, aber es ist nicht verspielt: Wer viel ausgibt, nimmt etwas mit, woran vielleicht noch die Enkel sich erfreuen, wenn sie es nicht vorziehen, es wieder zu Geld zu machen.

Bei den meisten Sammlern hat alles harmlos angefangen, oft sind die Ursprünge der Manie nicht mehr auszumachen. Denn es gibt Menschen, die sich nicht nur von den Texten faszinieren lassen, sie wollen das Original von des Dichters eigener Hand.

400 Euro pro Buchstabe nur wegen Goethe

Und wäre es nur ein Satz. Ein Goethe-Zitat, "Es regnet gern wo es nass ist", von ihm selbst auf ein Albumblatt geschrieben, brachte neulich 2800 Euro, ohne Spesen, also 400 Euro pro Buchstaben. Das war im Hause Stargardt, dem wohl wichtigsten Auktionshaus für Autographen.

Diesen Monat hielt man wieder Hof im Berliner Opernpalais. Bei solchen Gelegenheiten ist man umgeben von Kennern, die allzu oft das Gefecht unter sich ausmachen. Wir hatten uns darauf kapriziert, einen Brief von Joseph Roth zu ersteigern, ein sentimentales Stück aus der Pariser Emigration, wahrscheinlich unveröffentlicht, außer nunmehr in dem wunderbaren Stargardtschen Katalog.

Roth, der sich in Paris zu Tode gegrämt und getrunken hat, schlägt in dem Brief an eine offenbar besser betuchte Freundin die Einladung aus, bei ihr zu wohnen. Er könne in keinem Haus mehr leben, "ich glaube nur noch an Kaffeehäuser", schreibt er in akkuratem Sütterlin. In jedem Haus suche er "nach dem Ausgang, nach der Flucht, und ich will nicht in Ihrem Haus unaufrichtig sein".

Wenigstens in der Hand gehabt

Er war 1933 in das Hotel Foyot gezogen, und als es fünf Jahre später abgerissen wurde, schrieb er: "Man verliert eine Heimat nach der anderen. Die Füße sind wund, das Herz ist müde, die Augen sind trocken."

In dem Brief an die Freundin, den ich dann doch nicht ersteigere, heißt es zum Schluss: "Der 'neutrale' Platz ist die einzige Vorbereitung auf das, was kommen wird: Krieg und Konzentrationslager (für mich - vielleicht und hoffentlich: ein Kloster)..." Er ist kurz vor Kriegsausbruch gestorben.

Der Brief brachte es in einem Tempo, das immer wieder verblüfft, auf glatte 5000 Euro, was so weit jenseits der eigenen Möglichkeiten ist, dass nicht einmal Bedauern aufkam. Aber einmal wenigstens habe ich diesen Brief in der Hand gehabt. Am Tag vor der Auktion im Berliner Opernpalais treffen sich die Liebhaber und lassen sich von Mitarbeitern des Auktionshauses jene Lose vorlegen, auf die sie möglicherweise bieten wollen.

Goethe sammelte selber

Manches ist rational nicht zu erklären, und vielleicht werden Autographensammler zu Recht belächelt. Der Reiz, etwas zu haben, worauf der Autor, der Staatsmann, der Künstler einen Moment seiner Zeit - und mitunter auch mehr - verwandt hat, lässt sich nicht vermitteln. "Das Blatt, wo seine Hand geruht", machte schon für den Dichter Goethe den Charme aus.

Goethe war einer der frühen Autographensammler. "Ich habe seit einiger Zeit eine Sammlung sogenannter Autographen angelegt", schrieb er 1806 einem Freund, "dass ich nämlich suche und wünsche, von bedeutenden Männern der gegenwärtigen und vergangenen Zeit ein eigenhändig Geschriebenes zu erhalten und zu besitzen."

Überhaupt Goethe. Er bleibt für den gewöhnlichen Sammler ein unerfüllbarer Traum. Dabei sind regelmäßig genügend Goethe-Autographen auf dem Markt. Bei Stargardt neulich waren ein paar wunderbare Exemplare zu haben - ein sehr schöner Brief an den Freund Zelter zum Beispiel ("Wie unendlich Deine Sendung mich gefreut und erquickt hat"), aber man hätte schon mehr als 8000 Euro bieten müssen und wäre selbst dann nicht sicher gewesen.

Staunend verfolgt man, mit welcher Selbstverständlichkeit ein Händler ein Konvolut von 33 Briefen Goethes an seine Schwiegertochter Ottilie ersteigert. Er zeigt keine Regung, als ihm, "... und zum Dritten", der ganze Schatz für 65.000 Euro zufällt.

Auf der nächsten Seite: Ein Brief von Karl Marx bringt Zehntausende.

Die Handschrift der Großen

Uns bleibt Günter Grass, von dem regelmäßig auftaucht, was er Leuten geschenkt hat. Wir haben vor vielen Jahren ein Redemanuskript gekauft, das noch aus der Zeit des Kalten Krieges stammte: "Zumeist sind es die extremen Separatisten, vormals Adenauer und Ulbricht, heutzutage einige Schuhnummern kleiner, Barzel und Honecker, die auf Spaltung und Einheit zugleich bestehen." So etwas hat mal 200 Mark gekostet, so wie jenes Manuskriptblatt aus der "Deutschstunde" von Siegfried Lenz in dessen klarer, kleiner und sehr akkurater Schrift.

Die Gemeinde der Autographensammler in Deutschland ist überschaubar, und es werden kaum mehr. Ihre Zahl, vermutet Wolfgang Mecklenburg, der Chef des Hauses Stargardt, ist allenfalls fünfstellig. Im Prinzip ist es der oft geschmähte Bildungsbürger mittleren Alters und mittleren Einkommens, der für einen Goethe-Brief auf ein Auto verzichten würde. Von dem 30-jährigen Millionär, der anfängt zu sammeln, träumen die Händler vergeblich. Und als Geldanlage in größerem Stil, schätzt Stargardt, werden Autographen allenfalls von einem halben Dutzend Menschen betrieben.

Die Nazis werden ignoriert

Die Investoren beschränken sich einstweilen auf die Kunst. Und wenn sie sich auf Autographen kaprizieren, dann sind es die großen Namen. Konservative Herren interessieren sich besonders für die Veränderer der Weltgeschichte. Ein bedeutender Brief von Karl Marx bringt Zehntausende. Lenin würde eine Schlacht der Bieter auslösen, Stalin sowieso.

Napoleon, der seine Briefe meist diktierte, hat Zigtausende Autographen hinterlassen, die erst gehortet und irgendwann verkauft wurden und seit zwei Jahrhunderten gesammelt werden. Ignoriert werden, von Sammlern und Handel, die Nazis. Selten nur wird ein seriöser Händler einen Hitler in sein Angebot nehmen. Ein Brief von 1924 aus der Festung Landsberg ist für 11.000 Euro bei einem Händler in Süddeutschland zu erwerben, den will aber keiner haben. Es wäre eine kontaminierte Investition.

Oft geht es in den Briefen um Geld

Wir halten es mit denen, die sich ehrlich durchs Leben schlugen. Bei den Autoren geht es oft um Geld, sie haben keins. Joachim Ringelnatz aus München, Hohenzollernstraße 31a, Gartenhaus I lks, ist "im Prinzip einverstanden auf Ihrem Sommerfest aus eigenen Werken vorzutragen. Mein Honorar (einschl. Fahrt und Übernachtung) betrüge M 300.-"

Von Kurt Tucholsky wurde in Berlin ein Brief versteigert, gelocht, leicht fleckig, kleine Randeinrisse, aber mit dem Briefkopf der Weltbühne. "Wie hältst Dus mit dem Honorar", fragt er den Berliner Tageblatt-Redakteur, "wenn Sie keinen alten Song gebrauchen können, kostet es 100 M..." (Der Brief, maschinegeschrieben, nur Tuchos Name in Tinte, brachte 850 Euro).

Manchmal ironisieren sie ihre Geldnot, wie Evelyn Waugh in einem Brief an eine Freundin: "Ich sitze gerade an einem Buch, und kann nicht weg. Ich leide an Fibrositis und kann nicht weg. Ich bin so sehr mit Armut geschlagen, dass ich es mir nicht leisten kann to get away."

Die Absage kostet heute bei einem Händler in Oxford 425 Pfund. Und unser kleines vorgedrucktes Formular, ausgefüllt von Heinrich Mann, in dem er das Prager Tagblatt zur Einziehung eines Nachdruckhonorars "von Mk. 20 für meine Arbeit Bubikopf und Tanz" ermächtigt, hat uns natürlich ein Vielfaches gekostet.

Es gibt ein paar abseitige Sammelgebiete, sehr reiche Amerikaner zahlen viel Geld für Briefe ihrer Präsidenten. In meiner Zeit als Korrespondent in England habe ich selbst eine Weile britische Premierminister gesammelt, was sich spleeniger und schwieriger anhört, als es ist.

Besser nicht per Post

Sehr gelegentlich kam ein persönlicher Brief hinzu, und wäre es auch nur eine Absage. Der alte Lord Home, der als Sir Alec Douglas-Home Regierungschef war, bedauert, dass er wegen eines Schlaganfalls, "der große Löcher in meiner Erinnerung hinterlassen hat", keine Gespräche führen wolle.

Selbst Schreiben von Winston Churchill tauchen immer wieder auf, aber diese Preise. Einmal, lange ist es her, habe ich mir einen Brief geleistet, und obwohl er inhaltlich medioker war, regte der Londoner Händler an, ihn doch besser nicht der Post anzuvertrauen.

So ließ ich ihn in seiner Obhut, und als wir uns zwei Jahre später in seinem Londoner Club trafen, versuchte er mich höflich zu überreden, ihm das Stück gegen einen großzügigen Aufpreis zurückzugeben. Kunden in den USA seien ganz verrückt nach Churchill. Sie werden vergeblich warten.

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