Auszeichnung:Kultur als Motor

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Torbogen in der Altstadt von Wroclaw, besser bekannt als Breslau. Breslau ist eine der Europäischen Kulturhauptstädte 2016. (Foto: dpa)

Ansehen, Kunstförderung, Touristen: Was sich die Städte vom Titel "Europas Kulturhauptstadt 2025" erhoffen, und was sie sich die Bewerbung kosten lassen.

Von Joachim Göres

Berlin war es 1988, Weimar 1999 und Essen zusammen mit dem Ruhrgebiet im Jahr 2010: Europäische Kulturhauptstadt. 2025 wird eine deutsche Stadt wieder diesen Titel tragen. Schon heute gibt es viele Bewerber. Ihre Ideen und Erwartungen sind ganz unterschiedlich - das wurde kürzlich auf einer Tagung der Uni Hildesheim deutlich, auf der sich die Bewerberstädte vorstellten. Manche Städte erhoffen sich auch einen Schub für die städtebauliche Entwicklung.

In Kassel hatte man sich schon für den Titel 2010 beworben. "Auch wenn das nicht geklappt hat, waren wir erfolgreich. Das Land Hessen hat uns damals 200 Millionen Euro im Rahmen der Bewerbung für die Museumslandschaft gegeben, das Selbstbewusstsein der Bürger hat sich deutlich erhöht", sagt Annekatrin Hanf vom Kulturamt Kassel. Für sie ist wichtig, dass es in Kassel nicht nur große Veranstaltungen geben dürfe, um Touristen anzuziehen, sondern dass auch die freie Kulturszene von einem möglichen Titel profitiere.

Nürnberg nennt drei zentrale Themen: Die Zukunft der Arbeit angesichts des Strukturwandels und der Schließung großer Industriebetriebe, das interkulturelle Zusammenleben angesichts eines Migrationsanteils von 43 Prozent und die Erinnerungskultur am Ort des Reichsparteitagsgeländes und der Nürnberger Prozesse.

In Hannover nimmt das Kulturhauptstadtbüro im Juli im Ihme-Zentrum seine Arbeit auf. Der Standort in dem problembeladenen Hochhauskomplex soll ein Zeichen dafür sein, dass man mit der Bewerbung die Stadtteilkultur gerade in schwierigen Bezirken ausbauen will. Junge Leute sollen mehr Räume zum kulturellen Experimentieren bekommen. "Wir wollen mit der Bewerbung auch die Arbeitsbedingungen von Künstlern thematisieren, die häufig unter prekären Bedingungen arbeiten", sagt Melanie Botzki, Leiterin des Kulturhauptstadtbüros.

In Magdeburg stehen 2,8 Millionen Euro für die Bewerbung zur Verfügung - bisher der höchste Etat der Bewerberstädte. "In Deutschland gibt es entweder ein negatives oder gar kein Bild von Magdeburg. Das wollen wir ändern", sagt der Leiter des Kulturhauptstadtbüros Tamás Szalay. Magdeburg will als Stadt des Bauhauses, der Reformpädagogik und des Rechts auf sich aufmerksam machen. Die vielen brachliegenden Flächen nennt Szalay "eine Chance" - für die Unterstützung durch die Bürger könnte entscheidend sein, inwieweit sie durch die Bewerbung künftig genutzt werden.

"Die Stadt wächst, es gibt eine sehr gute wirtschaftliche Entwicklung in Chemnitz. Davon sollen auch Bildung und Kultur profitieren. Eine neue Infrastruktur und neue Ziele sind wichtig", sagt Ferenc Csàk, Leiter des Chemnitzer Projektes. Dresden zeigt sich selbstbewusst - es gehe nach Investitionen in den Kulturpalast und das Kraftwerk nicht um neue kulturelle Leuchttürme. "Wir wollen mit der Bewerbung mit den Bürgern darüber sprechen, was alles Kultur ist, aber auch thematisieren, wie wir miteinander umgehen. Damit haben wir Schwierigkeiten", sagt Stephan Hoffmann vom Amt für Kultur und Denkmalschutz. Er bezieht sich auf die Proteste gegen das Antikriegs-Monument vor der Frauenkirche - ein syrischer Künstler hatte mit drei senkrecht aufgestellten Bussen an Menschen in Aleppo erinnert, die dort hinter Bussen Schutz vor Beschuss suchten.

"Durch die vielen Besucher sind die Bürger offener für Neues geworden."

Vielleicht gibt es bald noch einen weiteren Kandidaten. "In der Oberlausitz bestehen Initiativen aus Politik, Kultur und Wirtschaft, die über eine Bewerbung nachdenken", sagt Thomas Pilz, Vorsitzender des Kulturbeirats Oberlausitz. Für ihn ist der Ausstieg aus der Kohle ein zentrales Thema. "Dieser Strukturwandel wird die nächsten 20 Jahre bei uns bestimmen. Eine kulturelle Begleitung wäre dabei wünschenswert", so Pilz. Da der Titel nur an eine Stadt und nicht an eine Region verliehen werden kann, kämen Görlitz, Zittau und Bautzen als Bewerber infrage. Die Erfahrung von Görlitz - die Neißestadt war gegen Essen bei der Wahl zur Kulturhauptstadt 2010 in der letzten Runde gescheitert - sieht er positiv: "Die Bewerbung hat der Stadt auch ohne den Titel viele positive Impulse gegeben."

Oliver Scheytt war einst Leiter der europäischen Kulturhauptstadt Essen 2010. Seitdem sind die Anforderungen der Europäischen Union an eine Kulturhauptstadt wesentlich umfangreicher geworden. "Es geht nicht nur um Kultur, sondern um den Umgang mit aktuellen Problemen. Dabei ist die Partizipation der Bürger an der Bewerbung ebenso wichtig wie die Langzeitwirkung. Sie muss eine europäische Dimension haben, den interkulturellen Dialog fördern und zum besseren gegenseitigen Verständnis der europäischen Bürger beitragen. Das fehlt häufig", so Scheytt.

Christina Jacobsen von der Uni Hildesheim hat ihre Dissertation über europäische Kulturhauptstädte geschrieben. Sie kennt positive und negative Beispiele und hat daraus ihre Schlüsse gezogen. So fordert sie einen Notfallplan, falls es zu Problemen bei der Finanzierung kommt. "Es geht nicht um viel Geld für neue tolle Gebäude, sondern um dauerhafte Veränderungen. Aarhus macht es vor. Dort kommt die Hälfte des Personals für die derzeitige Kulturhauptstadt aus der Verwaltung, was dafür sorgt, dass an den Themen wie zum Beispiel Nachhaltigkeit weiter gearbeitet wird", sagt Jacobsen. Weitere positive Ansätze: 3500 Ehrenamtliche arbeiten im Rahmen des Hauptstadtjahres, 80 Prozent der Projekte werden durch Partner aus Aarhus und der Region durchgeführt.

In der europäischen Kulturhauptstadt von 2016, Breslau, kamen statt der erwarteten drei Millionen Gäste 5,2 Millionen Besucher. Auch sonst ist das Fazit der verantwortlichen Kulturmanagerin Katarzyna Mlynczak-Sachs positiv: "Wir konnten elf Kultureinrichtungen wie Konzerthalle, Theater und Museen modernisieren oder neu errichten. Und wir haben Möglichkeiten geschaffen, dass die Bewohner selber kulturell aktiver werden. Durch die vielen Besucher sind die Bürger offener für Neues geworden und identifizieren sich mit Breslau viel stärker."

Eine europäische Jury wird 2019 einige Bewerber aussortieren und eine sogenannte Shortlist erstellen. Die Kultusministerkonferenz ernennt dann ein Jahr später die deutsche Siegerstadt.

© SZ vom 11.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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