Amazon:Eine Scheibe abschneiden

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Mitnehmen oder doch lieber liefern lassen? Der Anteil der Onlinekäufe am Lebensmittelhandel wird sich bis 2025 auf 16 Prozent verdoppeln, prophezeien die GfK-Marktforscher.

(Foto: Monique Wüstenhagen/dpa)

Der US-Konzern drängt ins Online-Geschäft mit Lebensmitteln. Das bereitet vielen Händlern Sorgen - brauchen sie bald weniger Flächen?

Von Bärbel Brockmann

Noch sind die grasgrünen Lieferwagen von Amazon Fresh in Deutschland nirgendwo zu sehen. Der weltweit größte Versandhändler liefert bisher erst in einigen ausgewählten US-Großstädten online bestellte frische Lebensmittel aus. Neuerdings ist Amazon aber auch in Großbritannien mit frischen Lebensmitteln unterwegs. Dort kooperiert das Unternehmen mit der Supermarktkette Morrison. Über Amazon online bestelltes Frischobst, Tiefkühlware und andere Lebensmittel werden von Morrison am Tag der Bestellung ausgeliefert.

Mit seinen Deutschlandplänen hält sich der amerikanische Versandriese noch bedeckt. Aber hierzulande bezweifelt kaum ein Branchenexperte, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis ein vergleichbares Angebot auch deutschen Kunden zur Verfügung gestellt wird. Dazu ist der deutsche Markt für Lebensmittel mit einem Umsatzvolumen von 180 Milliarden Euro einfach zu attraktiv.

Viele kleinere Anbieter sind schon aktiv und liefern die Ware nach Hause

Ein Standortsterben, wie es vor Jahren beispielsweise der Buchhandel durch den aufkommenden Onlinehandel erlebte, wird im Lebensmitteleinzelhandel aber nicht befürchtet. Der Grund für diesen Optimismus liegt in dessen Struktur. Fast nirgendwo sonst gibt es ein so dichtes Netz an Supermärkten. Die Wege sind für den Verbraucher in der Regel sehr kurz - eine Online-Bestellung ist deshalb nicht unbedingt bequemer.

Außerdem sind die Preise hierzulande im internationalen Vergleich extrem niedrig. Das ist eine Folge der großen Marktkonzentration. Branchenriesen wie Rewe, Edeka, Lidl oder Aldi können nur dank ihrer großen Bestellvolumina günstige Einkaufspreise bekommen. Ein Neuankömmling auf dem deutschen Markt hätte aus dem Stand nicht diese Bestellvolumina und damit auch nicht die Möglichkeit, preisgünstiger als der stationäre Handel anzubieten. Und schließlich sind die Margen im deutschen Lebensmitteleinzelhandel rekordverdächtig klein, weil der Verbraucher günstige Preise schlichtweg gewohnt ist und auf Preiserhöhungen sehr sensibel reagiert.

Trotz all dieser Besonderheiten - lange Ladenöffnungszeiten in den meisten Bundesländern kommen noch hinzu - schauen die Lebensmitteleinzelhändler nicht tatenlos zu, was sich im E-Commerce-Geschäft entwickelt. Viele kleinere Anbieter liefern auch heute schon per Internet bestellte Lebensmittel nach Hause, meistens Weine oder Feinkost und haltbare Lebensmittel.

Mancher Supermarkt könnte bald nur noch eine Abholstation für bestellte Waren sein

Inzwischen rüsten auch die Großen der Branche nach. Rewe beispielsweise gründete mit Rewe Digital einen eigenen Bereich für die digitale Verkaufswelt. Für Joachim Stumpf, Geschäftsführer der BBE Handelsberatung ist klar, dass der Online-handel im Lebensmittelbereich auf lange Sicht nur ein Verkaufskanal unter anderen sein wird. "Selbst die großen Lebensmittelkonzerne, die ihre Online-Anteile derzeit ausweiten, werden ihre Filialen deshalb nicht schließen, sondern die Filialen umwidmen." Beispielsweise, in dem sie von der Gesamtverkaufsfläche mehr Fläche für sogenannte Click-and-Collect-Stationen bereitstellen, in denen der Kunde seine per Internet bestellten Waren im nächstgelegenen Geschäft abholen kann. Experimentiert wird auch mit Schließfachsystemen, vergleichbar den Paketstationen der Post, in denen man seine Waren unabhängig von den Ladenöffnungszeiten holen kann.

Ein anderes Bild zeigt sich bei den großen SB-Warenhäusern abseits der Zentren und Wohngegenden. "Die SB-Warenhäuser werden durch die Bank kleiner, weil die Non-Food-Flächen angesichts der Entwicklung im Non-Food-Onlinehandel und der Zunahme der Fachmärkte nicht mehr in dem Maße gebraucht werden", sagt Stumpf. Der zunehmende Online-Einkauf von Lebensmitteln könnte diesen Trend verfestigen. Schon heute sind die Einzelhändler in diesem Fall bestrebt, Flächen zurückzugeben. "Eine solche Möglichkeit, Flächen innerhalb eines laufenden Mietvertrages zurückzugeben, findet schon Niederschlag in Mietverträgen", erklärt Christine Hager vom Immobilienentwickler Redos. Eine andere Konsequenz sind kürzere Mietlaufzeiten. Bisher liegen sie im Lebensmittelbereich mit bis zu 15 Jahren ungewöhnlich hoch. Das dürfte sich mit zunehmendem Onlinegeschäft ändern, meint Hager.

Im Unterschied zu den SB-Warenhäusern werden die Discounter immer größer. Üblich waren früher unter 800 Quadratmeter Verkaufsfläche. Inzwischen haben neue Märkte auch schon mal die doppelte Größe. An Wachstumsgrenzen gelangt, dringen sie immer stärker in das Segment der Supermärkte vor, um dort Marktanteile zu gewinnen. "Sie betreiben ein Trading-up und gehen ganz neue Wege", sagt Stumpf. Statt karger Ausstattung, dem Kauf gleich aus dem Karton, wenig Service und kaum Markenartikeln ist neuerdings eine ansprechende Präsentation und hochwertiger Ladenbau angesagt. Damit einher geht eine Vergrößerung der Verkaufsfläche. Neueste Filialen der Discounter haben schon 1600 und mehr Quadratmeter Verkaufsfläche. Aktuell ist der Online-Anteil im Lebensmitteleinzelhandel mit 1,2 Prozent noch sehr niedrig. In Großbritannien liegt dieser Anteil heute bei fünf Prozent, in Frankreich bei vier Prozent. Die GfK-Marktforscher rechnen aber damit, dass das Onlinewachstum im Lebensmittelbereich in den nächsten Jahren alle anderen Produktbereiche in den Schatten stellen wird. Der Anteil der Lebensmittel am gesamten Online-Handelsvolumen wird sich nach Berechnungen der GfK bis 2025 von acht auf 16 Prozent verdoppeln.

Dieses Wachstum wird den Flächenbedarf der Einzelhandelsstandorte nach Einschätzung vieler Branchenkenner eher erhöhen als verringern. Denn vieles spricht dafür, dass die Belieferung mit Lebensmitteln am besten von nahe gelegenen Geschäften erfolgen sollte. Vor allem bei Frischeprodukten sind lange Lieferwege kritisch und teuer. "Wir glauben deshalb nicht, dass das dichte Filialnetz lichter wird. Es ist auch denkbar, dass eine zentral gelegene Filiale in Zukunft nur noch als Auslieferungsfiliale fungiert", sagt Stumpf von BBE, die ihre Kunden auch in Immobilienfragen beraten. Denn mehr als bei allen anderen Produkten im Einzelhandel gilt im Lebensmittelbereich die sogenannte Same Day Delivery, die Auslieferung der Ware am Tag der Bestellung, als absolutes Muss.

Trotz aller Argumente für den stationären Lebensmitteleinzelhandel und den von ihm gesteuerten Online-Einkauf wird in der Branche jeder Schritt von Amazon mit großer Spannung verfolgt. Zwar müsste der Versandhändler alles erst aufbauen, was die Platzhirsche hierzulande schon haben, Kühlketten, Lieferketten, die gesamte Logistik. Aber kaum einer zweifelt daran, dass der Online-Gigant aus Seattle das auch kann. "Die Amazon-Marktmacht ist so unglaublich. Es gibt niemanden, der so stark wächst. Amazon ist überall Best-practice-Beispiel für Online-Prozesse", ist Stumpf von BBE überzeugt. Das Volumen des Lebensmittelmarktes in Deutschland sei so groß, dass Amazon alles tun werde, um einen Teil davon abzubekommen. Ein Eintritt in den Lebensmittel-Onlinehandel brächte auch eine erhebliche Ausweitung der Lager mit sich, gegebenenfalls auch neue Lager, die wegen der Frischeprodukte in der Nähe der Verbraucher gebaut werden müssten.

In Zukunft wird sich einiges tun. "Die Gewinner werden die Retailer sein, die es schaffen, online und offline zu verbinden", sagt Christiane Hager von Redos.

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