Alles Fassade:"Der öffentliche Raum verarmt"

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Klaus-Jürgen Bauer ist Architekt mit Büro im österreichischen Eisenstadt. Er hat sich mit Sanierung und Umbau historischer Bauten einen Namen gemacht. Bauer unterrichtet auch an der Technischen Universität Wien. (Foto: OH)

Wie der österreichische Architekt Klaus-Jürgen Bauer die derzeit so aktuelle Wärmedämmung beurteilt und warum die Fassade von Gebäuden wichtige Informationsträger unserer Kultur sind.

Interview von Ralph Diermann

SZ: Herr Bauer, Sie laden regelmäßig in verschiedenen Städten zum "Fassadenlesen" ein - zu öffentlichen Spaziergängen, bei denen Sie die Teilnehmer für die Fassaden der Straßenzüge sensibilisieren wollen. Was sehen Sie dort?

Klaus-Jürgen Bauer: In einer Fassade kann man lesen wie in einem Gesicht. Es ist beeindruckend, wie viele Informationen sich in einer x-beliebigen Straße nur aus dem Betrachten der Fassaden gewinnen lassen. Man kann bei genauerem und vergleichendem Hinsehen erkennen, ob ein Bauwerk alt oder neu ist, ob die Bauherren eher konservativ oder eher fortschrittlich gesinnt waren, ob sie Geld hatten oder nicht, welchen Idealen die Planer verpflichtet waren, welcher wirkmächtige Zeitgeist hinter den physischen Fassaden herrschte. Fassaden sind also ein ganz wichtiger Informationsträger unserer Kultur. Diese vielfältigen Informationen verlieren wir allerdings mit der gleichmachenden Wärmedämmung Stück für Stück.

Warum?

Stellen Sie sich einen Saal mit vielen Menschen vor. Jeder hat zwei Augen und eine Nase. Aber jeder sieht anders aus. Stellen Sie sich dann einen Saal vor, in dem alle Menschen weiß geschminkt sind. Sie werden ein völlig anderes ästhetisches Empfinden, einen anderen Informationstransfer erleben. Der gleiche Effekt stellt sich ein, wenn eine Fassade mit Dämmplatten überklebt wird. Der öffentliche Raum verarmt, da Informationen verloren gehen.

Was bedeutet das für das Bauhandwerk?

Die Fassade war immer der Ausdruck höchster Maurerkunst. In ihr wurden die Fähigkeiten der Maurer am deutlichsten sichtbar. Heute ist die Fassade beim Malergewerbe gelandet. Die Maler kleben Dämmplatten auf die Wand, stellen die Oberfläche fertig - und das war's. Was heute im Niedrigstenergie-Standard gebaut wird, bricht mit der langen Geschichte der Baukultur.

Das heißt, wir sollten zugunsten von Ästhetik und Baukultur Abstriche bei der Energieeffizienz machen?

Die energetische Optimierung ist seit jeher, in jeder Klimazone, zentrale Aufgabe bei allen Bauvorhaben. Als Menschen begonnen haben, Häuser zu bauen, haben sie dafür schnell eine hervorragende Lösung gefunden: Sie haben Masse geschaffen. Aus Holz, Lehm oder Stein - was auch immer gerade vorhanden war. Man hat immer versucht, Wände so dick wie möglich zu bauen, um deren Fähigkeit zur Speicherung von Wärme zu nutzen. Statt die Gebäude in Styropor einzupacken, sollten wir uns lieber Gedanken darüber machen, wie wir dieses Mittel in unsere Zeit hinüberführen können. Darüber hinaus ist es sinnvoll, bei der Heiz- und Kühltechnik anzusetzen. Ein moderner Heizkessel zum Beispiel ist deutlich effizienter als einer aus den Achtzigerjahren. Mit einer Heizungsmodernisierung können Immobilienbesitzer viel Energie einsparen.

© SZ vom 19.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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