Aktienmärkte legen zu:Aufstieg auf dünnem Eis

Frankfurt, London, Paris - die Aktienmärkte verbuchen kräftige Gewinne. Der Dax legte erneut mehr als vier Prozent zu, die japanischen Börsen schlossen mit einem historischen Tagesplus. Doch Händler zweifeln am Aufschwung: "Das Fundament ist sehr fragil."

Erleichterung über die Hilfspakete der europäischen Regierungen für die angeschlagene Finanzbranche hat den Dax am Dienstag weiter nach oben getragen. Der Leitindex stieg bis zum späten Vormittag um vier Prozent auf 5270 Punkte und machte damit weiteren Boden gut.

Aktienmärkte legen zu: Neun der größten Finanzkonzerne im Visier: US-Finanzminister Henry Paulson (Mitte) mit Präsident George W. Bush (rechts) und Fed-Chef Ben Bernanke.

Neun der größten Finanzkonzerne im Visier: US-Finanzminister Henry Paulson (Mitte) mit Präsident George W. Bush (rechts) und Fed-Chef Ben Bernanke.

(Foto: Foto: Reuters)

Europaweite Kursanstiege

Auch in London, Paris und Zürich zogen die Aktienkurse - getragen meist von den Finanzwerten - um rund vier Prozent an. Zuvor hatte die Börse in Tokio mit einem Tagesplus von 14,2 Prozent, dem höchsten in der Geschichte des Leitindexes Nikkei, geschlossen. Die Tokioter Börse war am Montag wegen eines Feiertags nicht geöffnet gewesen und holte die Gewinne offenbar am Dienstag nach.

"Das ist immer noch das große Aufatmen", sagte ein Händler. "Aber ich glaube nicht, dass es von hier aus nur noch nach oben gehen kann." Ein anderer fügte hinzu: "Das Fundament ist sehr fragil." Das Vertrauen in die Finanzwirtschaft könne nur langsam wieder aufgebaut werden. In der Vorwoche hatte der Dax im Sog der Finanzkrise über 22 Prozent verloren, bevor er am Montag mit dem höchsten prozentualen Gewinn seiner 20-jährigen Geschichte elf Prozent aufholte.

"Bombastische Vorgaben"

Der EuroStoxx50 legte im frühen Handel um 4,12 Prozent auf 2799,04 Zähler zu. Der Stoxx 50 gewann 4,31 Prozent auf 2419,92 Zähler. Der Londoner FTSE 100 stieg um 3,78 Prozent auf 4417,76 Punkte.

Ein Börsianer sagte: "Es geht ein bisschen schnell. Sollten wir das Niveau halten, wäre das aber ein Zeichen, dass sich die Krise ihrem Ende nähert." Händler sprachen von "bombastischen Vorgaben" der internationalen Leitbörsen, die auch an den europäischen Aktienmärkten weiter für Kauflaune sorgten. Zuletzt hatte der US-Leitindex Dow Jones Industrial Rekordgewinne verzeichnet. Der Dow-Future stand am Morgen zudem 608 Punkte über seinem Niveau zum Börsenschluss in Europa am Vortag.

Auch die Börse in Frankreich setzte ihren Höhenflug am Dienstag zunächst fort. Der Index der 40 wichtigsten Unternehmen (CAC 40) stand am späten Vormittag mit gut vier Prozent im Plus. Bis auf die Bank BNP Paribas (-0,8 Prozent) legten auch die Papiere der Finanzinstitute abermals deutlich zu. Die von der Krise schwer getroffene Bank Dexia verbuchte ein Plus von 6,5 Prozent. Am Montag war der CAC 40 nach der Einigung der Euro-Gruppe auf ein Rettungspaket um 11,18 Prozent in die Höhe geschossen und hatte die Hälfte der Verluste der Vorwoche wieder aufgeholt.

Die Ankündigung der europäischen Regierungen, den Banken mit milliardenschweren Garantien und gegebenenfalls Kapitalspritzen unter die Arme zu greifen, beendete vorläufig den freien Fall der Börsen. Auch die US-Regierung plant direkte Beteiligungen an strauchelnden Banken. Noch am Dienstag wolle das Finanzministerium den Kauf von Anteilen an mehreren Großbanken bekanntgeben, hieß es. Zudem sollen bestimmte Verbindlichkeiten im Interbankenhandel garantiert werden. In der Euro-Zone stockt die Umverteilung am Geldmarkt weiter. So parkten die Banken ihre überschüssige Liquidität am Montag weiter lieber bei der Notenbank, als sie einer anderen Bank zur Verfügung zu stellen.

"Die weitere Entwicklung des Aktienmarktes wird stark von der bevorstehenden Bilanzsaison und den Ausblicken der Unternehmen abhängen, da das Rezessionsthema stärker in den Vordergrund rückt", erklärte Aktienstratege Thomas Grüner von der Landesbank Berlin. In den USA nimmt die Berichtssaison diese Woche Fahrt auf. Am Dienstagabend steht nach US-Börsenschluss der Zwischenbericht von Intel auf dem Terminkalender. Zudem stehen Quartalszahlen von Johnson & Johnson sowie PepsiCo an. "Bei der jetzt anlaufenden Bilanzsaison wird sich zeigen, inwieweit die Krise die Realwirtschaft schon erreicht hat", sagte ein Händler.

Der deutlich schlechter als erwartet ausgefallene ZEW-Konjunkturindex, der die Erwartungen der Finanzmarktprofis misst, und die Senkung der Wachstumsprognosen für Deutschland durch die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute bremsten am Dienstag den Dax zunächst kaum. Vieles sei in den Kursen schon berücksichtigt, erklärten Händler.

Finanzwerte holen auf

Die größten Gewinner waren auch am Dienstag die Finanzwerte, allen voran die Hypo Real Estate mit einem Plus von rund 40 Prozent. Händler sagten, dies sei eine technische Erholung, nachdem die Aktie seit Jahresbeginn rund 80 Prozent eingebüßt hat. Zu den größten Gewinnern zählten auch die Aktien der Deutschen Bank mit einem Plus von fast 14 Prozent und Commerzbank mit plus elf Prozent.

Auch die Autowerte holten auf. So stiegen Daimler um acht Prozent und BMW um vier Prozent. Die in den vergangenen Wochen arg gebeutelte Aktien von ThyssenKrupp stiegen um fast zehn Prozent. VW-Aktien, die seit Tagen auffällig gegen den Markt tendieren, fielen dagegen um über sechs Prozent. Händler hatten - wie auch bei den starken Kursgewinnen der letzten Woche - keine Erklärung für die Kursbewegung.

Die Kurse an den Börsen wurden auch durch eine Ankündigung der US-Regierung befeuert. Die will nämlich Medienberichten zufolge mit 250 Milliarden Dollar in die Banken-Branche des Landes einsteigen. Unter den Instituten seien auch neun der größten Finanzkonzerne wie Citigroup, Bank of America und J.P. Morgan Chase, berichteten die Washington Post und das Wall Street Journal am Montagabend.

Vertrauen gesucht

US-Finanzminister Henry Paulson habe die führenden Bankmanager bei einem Treffen in Washington über das Vorgehen informiert. Die Pläne sollten am Dienstag offiziell bekanntgegeben werden. Potenziell könne der Staat sich an tausenden Banken beteiligen, berichtete der Nachrichtensender CNBC. Die Summe von 250 Milliarden Dollar (183 Mrd Euro) entspricht der ersten Tranche des geplanten US-Rettungspakets im Gesamtvolumen von 700 Milliarden Dollar.

Zudem soll die staatliche Einlagensicherung FDIC Kreisen zufolge über drei Jahre bestimmte Verbindlichkeiten der Finanzinstitute garantieren, um damit den eingefrorenen Interbankenhandel zu enteisen. Auch soll die FDIC die Obergrenze für nichtverzinste Spareinlagen im kommenden Jahr aufheben.

Nicht alle Banken seien von der Aussicht auf den Staat als Aktionär begeistert gewesen, auch sie hätten unter dem Druck der Regierung aber schließlich zugestimmt, berichteten die Zeitungen. Paulson habe betont, dass dieser Schritt wichtig sei, um das Vertrauen im Markt wiederherzustellen. Die Banken liehen sich zuletzt untereinander kaum noch Geld, weil sie befürchten, es durch eine Pleite des Geschäftspartners nie wiederzusehen.

Einstieg bei Banken

Weitere Teilnehmer unter den großen Banken seien Goldman Sachs, Morgan Stanley, Bank of New York Mellon, State Street, Wells Fargo und die Investmentbank Merrill Lynch, die von der Bank of America übernommen wird, schrieb die Washington Post. Die Regierung wolle stimmrechtslose Vorzugsaktien kaufen, schrieb das Wall Street Journal. Wieviel in welche Bank investiert werden solle, sei noch unklar, hieß es.

Europäische Regierungen - allen voran die britische - steigen ebenfalls bei ihren Banken ein. Paulson hatte mögliche Beteiligungen an Banken erstmals am Wochenende angekündigt.

Auch Australien wappnet sich mit einem Milliardenpaket für die Konjunktur gegen die negativen Folgen der Finanzkrise für die allgemeine Wirtschaft. Der sozialdemokratische Ministerpräsident Kevin Rudd kündigte am Dienstag an, seine Regierung werde 10,4 Milliarden australische Dollar (5,4 Milliarden Euro) dafür ausgeben.

Geplant sind Maßnahmen zur Stärkung der Kaufkraft wie höhere Renten und Sozialleistungen für Familien sowie Finanzhilfen für den Hauskauf und Ausgaben für Infrastrukturprojekte. Das Paket trage "dem Risiko eines tiefen und langfristigen globalen wirtschaftlichen Abschwungs" Rechnung, sagte Rudd.

Spanische Bank Santander übernimmt US-Institut

Unterdessen beschloss die spanische Bank Santander, das angeschlagene US-Institut Sovereign Bancorp für 1,9 Milliarden Dollar zu übernehmen. Die Banco Santander war bisher schon mit 25 Prozent an Sovereign beteiligt. Das Institut mit Sitz in Philadelphia wird bei der Übernahme mit 3,81 Dollar je Aktie bewertet. Dies bedeutet gemessen an dem gegenwärtig niedrigen Kursniveau einen Zuschlag von 3,5 Prozent.

Mit der Übernahme schreitet die Konsolidierung der Branche weiter voran. Als Hauptursache für diesen Prozess gilt die knappe Ausstattung mit Kapital. Die Sovereign Bancorp hat erheblich unter der Immobilienkrise in den USA gelitten, die zur massenhaften Abschreibung von Hypothekenkrediten geführt hat. Seit Beginn des Jahres hat die Sovereign-Aktie nahezu zwei Drittel ihres Wertes eingebüßt.

Ban für Reform der Weltfinanzordnung

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon rief die Staatengemeinschaft indes zu einer umfassenden Reform des globalen Finanzsystems auf, um die Auswirkungen der gegenwärtigen Krise auf die ärmsten Länder der Welt zu dämpfen. Er sei sehr besorgt, dass die Verknappung der Liquidität einen schweren Rückschlag für die Entwicklungspolitik bedeuten könnte, erklärte Ban am Montag in New York.

Die bisherigen Aktionspläne in den USA und Europa reichten nicht aus, sagte Ban. Er kritisierte zudem "den Ad-Hoc-Charakter" im Krisenmanagement der Regierungen und erklärte: "Wir müssen auf der Grundlage des Multilateralismus tiefe und systematische Reformen für ein globales Finanzsystem ins Auge fassen, das den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts besser gerecht wird."

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