Aktienhandel:Zoff an der Börse

Zweifelhafter Informationsvorsprung: Händler an der Wall Street ziehen den Zorn ahnungsloser Investoren auf sich - weil die Profis Kurslimits ausspionieren. Dem Flash Trading sei Dank.

Melanie Ahlemeier

Zeitvorteil mit Folgen: In den USA ist das sogenannte Flash Trading massiv in die Kritik geraten, die Börsenaufsicht SEC will nun sogar das Geschäft mit den Blitzaufträgen verbieten.

Börse in New York, dpa

Börse in New York: Die US-Börsenaufsicht will das Flash Trading verbieten - weil es zu Ungerechtigkeit im Markt führt.

(Foto: Foto: dpa)

Das Prinzip Flash Trading: Angenommen, ein Investor möchte 100.000 Stück einer wenig liquiden Aktie kaufen. Während die aktuelle Geld-Brief-Spanne im Markt bei 12,10 bis12,12 liegt, setzt er ein Limit von 12,20. Dieses Limit ist nicht im Orderbuch sichtbar. Bevor eine solche Kundenorder an den Markt geht, haben die Market Maker der Börse die Gelegenheit, die Order in der halbsekündigen Pre-Routing-Phase auszuführen. Die Computer sind so programmiert, dass sie zunächst eine IOC-Verkauforder über 100 Aktien zu 12,14 lancieren. Der Zusatz IOC bedeutet, die Order muss sofort (immediate) ganz oder teilweise ausgeführt werden können; oder sie wird gelöscht (cancel). Angenommen, die Order kann zu 12,14 ausgeführt werden. Jetzt wird die nächste IOC-Verkauf-Order mit 12,15 erzeugt. Auch sie wird ausgeführt. Dann folgt 12,16...12,17...12,18... 12,19...12,20 und bei 12,21 schließlich erhält der Computer das Signal: order cancelled. Alles spielt sich in weniger als einer Sekunde ab. Jetzt kennt der Market Maker das Limit des Käufers und führt den größten Teil der Order mit dem Limit von 12,20 aus.

Jörg Kloy begann seine berufliche Laufbahn als Börsenhändler auf dem Parkett, später arbeitete er an der Computerbörse Eurex im Handel mit Derivaten. Es folgten Stationen im Asset Management bei Banken und Finanzdienstleistern. Derzeit arbeitet der studierte Volkswirt als Berater für einen weltweit tätigen Anbieter von Bankensoftware. Er doziert zudem über Asset Management und Risk Management.

sueddeutsche.de: Herr Kloy, Händler an der Wall Street ziehen den Zorn ahnungsloser Investoren auf sich - sie spionieren Orderlimits aus und erledigen daraufhin für sie günstige Wertpapieraufträge. Sie nennen das Flash Trading, weil alles in Bruchteilen einer Sekunde über die Bühne geht. Sind die Investoren nicht selbst schuld, wenn sie sich auf ein Terrain begeben, das sie nicht verstehen - und dann abgezockt werden?

Jörg Kloy: Hier geht es nicht darum, ob man das Börsengeschehen versteht oder nicht. Die Börse ist ein Allokationsmechanismus. Sie bringt Menschen, die Geld investieren wollen, mit Menschen zusammen, die Ideen haben. Die Allokation von Kapital kann aber nur dann effizient funktionieren, wenn die Regeln transparent sind. Mit dem gleichen Argument könnten Sie sonst ja auch Insider-Geschäfte dulden.

sueddeutsche.de: Wird jede Aktienorder ausspioniert?

Kloy: Es sind vor allem die Großorders von Vermögensverwaltungsgesellschaften und Fondsgesellschaften, die bei dieser Handelspraktik ausgenutzt werden. Man muss bedenken: Dahinter stehen Kunden, die von der Börse nichts verstehen - und die gerade deshalb ja auch ihr Geld den Profis anvertraut haben.

sueddeutsche.de: Wie genau funktioniert Flash Trading überhaupt?

Kloy: Bei Flash Orders werden die Kauf- oder Verkaufaufträge zunächst den eigenen Börsenmitgliedern zur Ausführung gezeigt, aber nur eine halbe Sekunde lang. Für die schnellen Computer der Market Maker ist das aber ausreichend, um eventuelle Kurslimite auszuloten. Das geschieht meistens mit einer schnellen Abfolge so genannter IOC-Limit-Orders (immediate or cancel). Solche Orders werden sofort ganz oder teilweise ausgeführt - oder, wenn das nicht mehr möglich ist, gelöscht. Erhält der Computer bei einem bestimmten Kurs nun eine solche Meldung ("order cancelled"), ist das Kurslimit entdeckt.

sueddeutsche.de: Mit welcher Konsequenz?

Kloy: Bevor die Order an den öffentlichen Markt gelangt, hat sich der Preis dort bis an das Kurslimit bewegt und die Order wird selten besser als das Limit ausgeführt. Die IOC-Orders der Börsendealer dienten also nicht der Bereitstellung von Liquidität, sondern einzig und allein dem Zweck, die Limite von größeren Orders auszuspionieren. Am besten funktioniert diese Handelstaktik bei marktengen Papieren.

sueddeutsche.de: Um Gleichzeitigkeit im Börsengeschäft herzustellen, müssten ja ständig und überall sämtliche Börsenrechner auf dem aktuellen Stand der Technik sein. Wie soll das funktionieren?

Kloy: Fairness heißt, dass die Orderinformationen gleichzeitig zur Verfügung gestellt werden. Wenn einige Handelsteilnehmer diese Informationen früher auswerten können als andere, weil sie schnellere Computer oder bessere Software haben, dann ist das völlig in Ordnung. Investition in bessere Technik soll sich auszahlen. Da bin ich überhaupt nicht dagegen. In diesem Falle wurden die Informationen aber einer Gruppe von Marktteilnehmern ganz bewusst früher zur Verfügung gestellt. Sie können zu Hause einen noch so schnellen Computer haben - die Orderinformationen, um die es hier geht, würden Sie immer später als andere erreichen.

Doppelter Schaden

sueddeutsche.de: Wie hoch ist der Schaden, der durch Flash Trading entsteht?

Aktienhandel: Jörg Kloy begann seine Karriere als Börsenhändler und ist heute unter anderem Dozent für Asset Management und Risk Management.

Jörg Kloy begann seine Karriere als Börsenhändler und ist heute unter anderem Dozent für Asset Management und Risk Management.

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Kloy: Das lässt sich schwer beziffern. Die Börsen garantieren die Anonymität der Abschlüsse und Kontrahenten. Der Schaden entsteht aber an zwei Stellen: Zum einen erhält der Investor möglicherweise nicht den bestmöglichen Ausführungskurs für seine Order, zum anderen wird dem öffentlichen Markt Liquidität entzogen, weil die Börsenaufträge gar nicht mehr dort ankommen, sondern größtenteils im eigenen Netzwerk abgewickelt werden. "Dark Liquidity" nennen das die Händler.

sueddeutsche.de: In Europa ist Flash-Handel untersagt, nun erarbeitet auch die US-Börsenaufsicht SEC neue Richtlinien. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Form des Aktienhandels im Zuge der US-Finanzmarktreform verboten wird?

Kloy: Der Druck, diese Handelspraktik in den USA zu unterbinden, kam ja bezeichnenderweise von den Konkurrenzbörsen. Hier ging es um Marktanteile, die man verloren hatte. Das zeigt wiederum, dass sich das Geschäft mit dem Verkauf von Orderinformationen offenbar auch für die beteiligten Börsen gelohnt haben muss. Die Nasdaq hat immerhin schon signalisiert, diese Handelspraktik freiwillig einzustellen. Dennoch: Eine einheitliche Regelung durch die Börsenaufsicht ist notwendig und steht wohl unmittelbar bevor.

sueddeutsche.de: Flash Orders werden seit mehreren Jahren getätigt. Jetzt, da die ersten US-Banken schon wieder kräftige Gewinne einfahren, mehren sich die Stimmen der Kritiker. Steckt nicht vielmehr der Neid der Bürger und Steuerzahler hinter dem Protest, weil sie die (Teil-)Verstaatlichung der US-Krisenbanken finanzieren mussten?

Kloy: Vor fünf Jahren war die Technologie noch nicht vorhanden, um einen Informationsvorsprung im Millisekundenbereich systematisch ausnutzen zu können. Heute ist das aber möglich und deshalb müssen die Regeln für den Handel überprüft werden. Vor 150 Jahren fuhren wir noch mit Pferdefuhrwerken. Da waren Geschwindigkeitsbeschränkungen nicht notwendig - heute sind sie aber sehr sinnvoll.

Und mit den Neid ist das so eine Sache... den muss man sich verdienen. Aber wenn die Gewinne aus solchen Praktiken stammen, dann darf man bezweifeln, ob der Neid verdient ist. Wir sollten froh sein, wenn die Wall-Street-Banken wieder Gewinne machen und ihre Schulden beim Steuerzahler zurückzahlen können - aber wenn sie dabei dem Bürger das Geld aus der anderen Tasche ziehen, ist der Frust verständlich.

sueddeutsche.de: Und was kommt nach dem Flash Trading? Findige Spekulanten finden doch garantiert einen neuen Trick.

Kloy: Umso mehr muss man ihnen auf die Finger schauen. Anleger müssen lernen, generell alles kritisch zu hinterfragen. Wohin die Mischung aus Profitgier und Leichtgläubigkeit führen kann, das haben wir ja mit der Finanzkrise hautnah erleben müssen.

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