Ermittlungen gegen IWF-Chefin Lagarde:Skandal mit Ansage

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Erst Strauss-Kahn, jetzt Lagarde: Die neue IWF-Chefin ist erst wenige Wochen im Amt, da droht dem Währungsfonds nach der Sex-Affäre um ihren Vorgänger sein nächster Skandal. Die französische Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Amtsmissbrauchs gegen die frühere Finanzministerin. Die Vorwürfe waren schon zum Zeitpunkt von Lagardes Kandidatur bekannt.

Es war eine spektakuläre Aktion: An einem Sonntagabend im Mai führte die New Yorker Polizei einen älteren Herrn öffentlichkeitswirksam in Handschellen ab. Es war Dominique Strauss-Kahn, der zu diesem Zeitpunkt noch an der Spitze des Internationalen Währungsfonds (IWF) stand. Der Vorwurf: Strauss-Kahn soll versucht haben, ein Zimmermädchen in einem New Yorker Hotel zum Sex zu zwingen. Wenige Tage später zog Strauss-Kahn die Konsequenzen aus der Affäre - und räumte seinen einflussreichen Posten.

Muss sich in ihrer Heimat der Tapie-Affäre stellen: IWF-Direktorin Christine Lagarde - rechts im Bild der Unternehmer Bernard Tapie. (Foto: dpa)

Erst seit einem Monat ist Strauss-Kahns Nachfolgerin Christine Lagarde im Amt. Doch nun droht dem IWF der nächste Skandal: Der französische Gerichtshof der Republik hat sich für Ermittlungen gegen Lagarde ausgessprochen - wegen Amtsmissbrauchs. Die Justiz soll untersuchen, welche Rolle die frühere Finanzministerin Frankreichs in einem Rechtsstreit mit dem illustren Unternehmer Bernard Tapie gespielt hat. Insbesondere geht es um eine Zahlung von 285 Millionen Euro an den Geschäftsmann.

Dass der Ministerin möglicherweise in ihrer Heimat eine Anklage wegen Begünstigung droht, war schon zum Zeitpunkt ihrer Kandidatur für den IWF-Posten bekannt. Überraschend schnell hatte sich das Direktorium dennoch auf die Französin geeinigt. Kurz nachdem die Entscheidung durchgesickert war, berichtete das Handelsblatt, dass Lagardes Ernennung unter dem Vorbehalt stehe, dass sie wegen der Tapie-Affäre in Frankreich nicht angeklagt werde. Der nächste Chef des IWF dürfe nicht durch Gerichtsverfahren belastet sein, hieß es aus Berlin und Washington.

Kurz nach der Entscheidung des Gerichts gab sich Lagarde zuversichtlich: In ihrer Funktion als IWF-Direktorin sehe sie sich nicht beeinträchtigt. Die angekündigten Ermittlungen wegen mutmaßlichen Amtsmissbrauchs in ihrer Zeit als Finanzministerin seien "keineswegs unvereinbar" mit ihrer jetzigen Funktion, ließ sie über ihren Anwalt Yves Repiquet erklären. "Es wird nicht das erste Ermittlungsverfahren sein, das eingestellt wird." Vielmehr habe das vom Gerichtshof der Republik befürwortete Verfahren den Vorteil, dass es Lagarde "endgültig" von dem Verdacht reinwaschen werde, den "eine Handvoll Abgeordnete" gegen sie aufgebracht hätten, betonte der Rechtsanwalt.

Der Verdacht lautet: Begünstigung zur Beihilfe und Veruntreuung öffentlicher Gelder. Lagarde soll 2008 als französische Wirtschaftsministerin die Zahlung von 285 Millionen Euro ermöglicht haben, indem sie ein Sonderschiedsgericht mit dem Fall befasste. Sie plädierte für eine schnelle, aber für den Staat kostspielige Lösung, um einen Schlussstrich unter einen seit 15 Jahren andauernden Endlosprozess zu ziehen.

Der mittlerweile pensionierte Generalstaatsanwalt Jean-Louis Nadal begründete die Anrufung des Gerichtshofs damit, dass Lagarde sich für das Schiedsurteil eingesetzt habe, obwohl die Entschädigung aus Steuergeldern bezahlt werden musste. Zudem habe die damalige Ministerin entgegen der Empfehlungen von Experten keinen Einspruch gegen das Urteil eingelegt.

Das Verfahren kommt zur Unzeit für Sarkozy

Was war geschehen? 1993 verkaufte die damalige staatliche Bank Crédit Lyonnais Tapies Anteile am Sportartikelhersteller Adidas. Die hatte er 1990 übernommen. Als er jedoch 1992 vom damaligen Premierminister Pierre Bérégovoy als Städtebauminister berufen wurde, beauftragte er die Crédit Lyonnais mit dem Weiterverkauf des Konzerns.

Das Geldhaus verkaufte Tapies Anteile mit einem satten Aufschlag weiter. Tapie fühlte sich über den Tisch gezogen und zog vor Gericht. Der frühere Besitzer des Fußballclubs Olympique Marseille warf der Bank Betrug und Übervorteilung vor, weil sie ihn in dem Glauben gelassen hätte, die Anteile seien deutlich weniger wert. Das jahrelange Verfahren endete 2008 mit dem Schiedsgerichtsurteil, das dem Unternehmer die Entschädigungssumme von 285 Millionen Euro zusprach, 45 Millionen davon für den ideellen Schaden, den Tapie durch die Affäre erlitten habe.

Die Opposition sieht das freilich anders. Die Interpretation der Sozialisten geht folgendermaßen: Sie sehen die Zahlung als Lohn dafür, dass sich ihr ehemaliger Mitstreiter Tapie, der nach der Abwahl der Linken ins Abseits geraten war, 2007 für die Wahl des politischen Gegners Nicolas Sarkozy aussprach.

Das Ermittlungsverfahren gegen seine frühere Finanzministerin kommt für den Amtsinhaber im Elysée-Palast zur Unzeit: Im kommenden Jahr stehen in Frankreich Präsidentschaftswahlen an. Dennoch ist es eher unwahrscheinlich, dass das Verfahren auch Sarkozy beschädigen könnte: Die Ermittlungen dürften sich erfahrungsgemäß noch über Jahre hinziehen.

Der französische Gerichtshof der Republik ist eine 1993 eingerichtete Sonderinstanz, die sich ausschließlich mit Verbrechen oder Vergehen beschäftigt, die mutmaßlich von Regierungsmitgliedern in Ausübung ihres Amtes begangen wurden. Das Gericht selbst setzt sich aus drei Richtern des Kassationsgerichtshofs sowie zwölf Parlamentsvertretern zusammen. Allerdings wurde trotz Hunderter Anträge seit 1993 gerade einmal über sechs Regierungsmitglieder geurteilt.

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