Rentner in Deutschland:Ärmer als die Zahlen zeigen

Wie geht es den Rentnern in Deutschland? Die offiziellen Statistiken vermitteln den Eindruck: gut. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen sagt: 2030 vielleicht nicht mehr so gut. Und diejenigen, die sich täglich mit alten Leute auseinandersetzen, sagen: Die Probleme sind längst da.

Hans von der Hagen

Die Deutschen lernen viel in diesen Tagen. Etwa, dass die Sozialversicherungen nicht so klamm sind, wie immer gesagt wird: Zum Jahresende sollen es Schätzungen zufolge 50 Milliarden Euro sein, die sich - gespeist aus den Beiträgen der Sozialversicherten - an Reserven angesammelt haben.

Sie lernen aber auch, dass das Risiko, im Alter arm zu werden, offenbar in den kommenden Jahrzehnten derart zunimmt, dass Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) gegensteuern will. Und wenn schon die zuständige Amtchefin selbst die Initiative ergreift, muss wohl etwas dran sein - oder?

Jedenfalls wurde im Arbeitsministerium jetzt mal nachgerechnet, was denn eigentlich passiert, wenn wie geplant die Zahlungen aus der Rentenversicherung nach und nach schrumpfen. Derzeit liegt das Rentenniveau bei 51 Prozent - das heißt, wenn ein Durchschnittsverdiener 45 Jahre lang Beiträge gezahlt hat, liegt seine Rente bei etwa der Hälfte des Monatsgehalts. 2030 soll dieser Wert dann nur noch bei 43 Prozent liegen.

Das wenig überraschende Ergebnis der ministerialen Rechnungen: Künftig werden viele Menschen trotz jahrelanger Beitragszahlungen nur noch eine Rente bekommen, mit der nicht einmal ein Minimum an Alltag finanziert werden kann.

Und das gilt nicht etwa für eine Randgruppe, sondern für "ganz normale fleißige Menschen aus der Mitte unserer Gesellschaft", wie von der Leyen in einem Brief an die Junge Gruppe der Unionsfraktion formulierte. In Zahlen: Im Jahr 2030 würden Menschen, die 2500 Euro brutto im Monat verdienen und 35 Jahre Vollzeit gearbeitet haben, gerade noch eine Rente in Höhe des Grundsicherungsbetrags von 688 Euro erhalten. Gegenwärtig erhält ein Rentner bei gleichen Voraussetzungen noch 816 Euro.

Altersarmut ist schon heute ein Thema

Ein Zuschuss zur Rente soll darum sicherstellen, dass Rentner in den nächsten Jahrzehnten nicht massenweise Sozialhilfe beantragen müssen. Die Rente würde dann auf 850 Euro erhöht, sofern die Rentner die strengen Bedingungen dafür erfüllen, also etwa die erforderliche Anzahl von Beitragsjahren nachweisen können.

Doch Altersarmut wird in Deutschland nicht erst 2030 zum Thema. Gemessen an den Statistiken geht es den deutschen Rentnern zwar gut. Nur knapp drei Prozent der Rentner verfügten 2010 über ein Einkommen, das unter der Grundsicherung von 688 Euro liegt und auch nicht durch Einnahmen wie etwa die Rente des Ehepartners aufgebessert wird, sagen Wirtschaftsforscher.

Doch was die Statistiken nicht zeigen: Das Problem Altersarmut hat vor allem in Großstädten, wo das Leben teuer ist und viele nur zur Miete wohnen, längst ein hässliches Ausmaß erreicht. Eine, die davon berichten kann, ist Lydia Staltner. Sie führt den Verein Lichtblick Seniorenhilfe in München, der bedürftige Rentner unterstützt.

Als der Verein vor neun Jahren seine Arbeit aufnahm, habe es zwei Anfragen auf Unterstützung im Monat gegeben - mittlerweile seien es fünf am Tag, sagt Staltner. Mehr als die Hälfte davon käme von öffentlichen Stellen, die aufgrund der Gesetzeslage keine Möglichkeiten mehr sähen, den Betroffenen selbst noch zu helfen. Viele Rentner kämen zu ihr, die zwar offiziell nicht arm seien, weil ihr Einkommen ein paar Euro über der Grenze liege, bis zu der sie Grundsicherung erhielten. Doch die hätten dann erst recht Probleme, weil sie dann eben auch Rundfunk- und Praxisgebühr selbst zahlen müssten - und am Ende mit noch weniger Geld dastünden.

Ganz normales Erwerbsleben

Viele der Menschen, die sich an den Verein wendeten, hätten ein ganz normales Erwerbsleben geführt, sagt Staltner. 70 Prozent seien Frauen - Verkäuferinnen, Krankenschwestern, die jahrelang Beiträge gezahlt, aber eben zwischendurch womöglich auch Kinder bekommen haben. Die Rente von 600 bis 800 Euro reiche ihnen hinten und vorne nicht. Über die Runden kämen sie nur mit Hilfe von außen, vor allem mit dem Angebot der Münchner Tafel, die die Versorgung mit Essen und Lebensmitteln sicherstelle.

"Aber dann haben wir auch die Leute, die bei Regen nicht mehr aus dem Haus gehen können, weil sie keine anständigen Schuhe mehr haben und sich keinen Schuster mehr leisten können". Oder die Angst hätten, im Dunkeln zu sitzen, weil sie sich die teuren Energiesparlampen nicht leisten können.

Doch das allergrößte Problem sei, dass das Geld nicht mehr für die Teilhabe am öffentlichen Leben reiche: "Die neue Armut ist die Einsamkeit", sagt Staltner. "Die Leute können sich ja nicht einmal mehr die Fahrkarte für die Tram leisten".

Für Staltner ist die Altersarmut - unabhängig von dem, was die offiziellen Statistiken sagen - schon jetzt ein großes Problem. Früher hätten die Leute oft noch versucht, Armut nicht sichtbar werden zu lassen. Das ginge mittlerweile nicht mehr. Die Not sei so groß, dass die Leute ganz offen um Hilfe bitten würden.

50 Milliarden Überschuss im Sozialversicherungssystem, ein sinkendes Rentenniveau und alte Menschen, die im Müll leere Flaschen einsammeln - möglicherweise ist Ursula von der Leyen aufgefallen, dass da gerade etwas schief läuft. Ob allerdings ein kleiner Zuschuss hilft, die Probleme der "ganz normalen fleißigen Menschen aus der Mitte unserer Gesellschaft" zu lösen, bezweifeln selbst ihre politischen Kollegen.

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