Mietpreise in Berlin:Ein neuer Häuserkampf

Die Szene erinnert an die Proteste im Westberlin der 70er- und 80er-Jahre: Aktivisten protestieren in Kreuzberg gegen die Zwangsräumung der Wohnung einer türkischstämmigen Familie. Kaum einer der Demonstranten versteht den Fall wirklich - doch es zeigt den allgemeinen Unmut über Wohnungsknappheit und steigende Mieten.

Ein Kommentar von Lothar Müller

Als am Donnerstagmorgen in der Lausitzer Straße in Kreuzberg mehrere Hundert Aktivisten aus Kiez-Initiativen erfolglos versuchten, durch eine Blockade die Zwangsräumung einer Wohnung zu verhindern, sah das aus wie eine Wiederkehr der Berliner Häuserkämpfe der 1970er- und 80er-Jahre. 400 Polizeibeamte waren im Einsatz, machten vom Pfefferspray Gebrauch, wurden ihrerseits attackiert, nahmen einige Blockierer fest, nach der Räumung bildete sich ein Zug von etwa 800 Demonstranten, verursachte ein zeitweiliges Verkehrschaos und löste sich auf.

Im untergegangenen Westberlin waren wie an der Hamburger Hafenstraße die einst leerstehenden Altbauten der Hauptschauplatz der Häuserkämpfe, viele Akteure waren jung, subversiv, deutsche Punks mit direktem Draht zum schwarzen Block. Jetzt eskalieren juristische Auseinandersetzungen zwischen bürgerlichen Mietern und ihren Vermietern. Im konkreten Fall ist der Mieter ein türkischstämmiger deutscher Staatsangehöriger und Malermeister Anfang vierzig mit drei Kindern, die Möbel konnte er vor der Räumung bei den Eltern abstellen, die im selben Haus wohnen.

Kaum einer der Demonstranten dürfte sich in den Details des Rechtsstreites über Sanierungsaufwendungen des Vermieters, Mieterhöhungen und Fristüberschreitungen bei Nachzahlungen auskennen, der im konkreten Fall zur gerichtlichen Anordnung der Zwangsräumung führte. Doch der konkrete Fall verdichtet den allgemeinen Unmut über die Wohnungsknappheit und steigenden Mieten in Berlin.

Waren die Hausbesetzungen um 1980 ein Symptom der Verfallsgeschichte West-Berlins, so ist nun die Wiederkehr der Häuserkämpfe ein Symptom der Aufstiegsgeschichte des wiedervereinigten Berlin. Es ist jetzt eine Stadt, die 2011 um 40.000 Einwohner wuchs und in der sich dieser Trend 2012 fortsetzte. Nicht mehr nur Berlin Mitte und das zum symbolischen Biotop einer neuen bürgerlichen Szene avancierte Prenzlauer Berg ist so beliebt wie in Hamburg das Schanzenviertel, auch in "Kreuzkölln", wo das ehemalige SO-36-Kreuzberg in das nördliche Neukölln übergeht, stehen die Mieter Schlange.

Und nicht nur sie. Es stehen auch in- und ausländische Investoren bereit, die in Berliner Immobilien eine gute Anlage sehen. Das bedroht den Sonderstatus Berlins als einer Metropole, die ihre international ausstrahlende Kulturszene und ihren Tourismus-Boom nicht zuletzt ihrem im Vergleich mit London, Paris, Madrid geringen Miet- und Lebenshaltungsniveau verdankte. Für 2013 hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung steigende Mietpreise in Berlin prognostiziert und für die vergangenen fünf Jahre die Bilanz gezogen, dass sich die Immobilienpreise nach oben von den Mietpreisen abgekoppelt haben. Sinken die Immobilienpreise nicht, werden sich die Mieten langfristig anpassen.

Das Schwelgen Berlins im Glanz seiner Attraktivität ist zu Ende. Die Diskussionen über "neue Bürgerlichkeit" und "Lebensstil" weichen den Debatten über das Mietrecht. Das ist gut so.

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