Sven Giegold im Gespräch:"Eine unglaubliche Lobby-Schlacht"

EU-Parlamentarier ärgern sich über die Macht der Bankenlobby - und suchen Hilfe beim Volk. Der Grünen-EU-Abgeordnete Sven Giegold über eine einzigartige Initiative.

Hans von der Hagen

Wie können Banken gebändigt werden? Seit der Finanzkrise ringen die Politiker um eine Lösung - und stecken in einem ungewöhnlichen Dilemma: Die einzigen Experten, die Bescheid wissen, sitzen in den Banken. Die Antworten und Vorschläge, die die Parlamentarier bekommen, sind entsprechend von den Interessen der Branche geleitet. Unabhängige Expertise? Gibt es nicht! Darum haben sich einige Parlamentarier zu einem ungewöhnlichen Schritt entschlossen: Sie fordern öffentlich eine Organisation, die ein Gegengewicht zur übermächtigen Banklobby bilden könnte. Das Besondere ist, dass Vertreter aller Parteien das Vorhaben unterstützen. Einer von ihnen ist Sven Giegold, Mitgründer des Sozialnetzwerks Attac Deutschland. Er sitzt mittlerweile für die Grünen im EU-Parlament.

Sven Giegold

Sven Giegold: "Es ist kein Aufruf gegen Lobbyismus, sondern das Kräfteverhältnis zwischen gemeinwohlorientierten Lobbyisten und geschäftlichen Interessengruppen muss stimmen. Derzeit vertreten Banken und Versicherungen ihre Anliegen ohne Widerspruch."

(Foto: ap)

sueddeutsche.de: EU-Parlamentarier fühlen sich der Bankenlobby ausgeliefert - ist das die Kapitulation der Politik vor der Übermacht der Bankindustrie?

Sven Giegold: Die Politik hat nach wie vor genügend Macht. Die Regeln auf den Finanzmärkten werden von der Politik geschrieben. Aber um gute Regeln setzen zu können, braucht man ein vernüftiges Kräfteverhältnis. Zu Themen wie Umwelt, Entwicklung oder Gesundheit gibt es starkes progressives, gemeinwohlorientiertes Lobbying, nicht aber zu finanzwirtschaftlichen Themen.

sueddeutsche.de: Traut sich keiner an den Bereich Finanzen heran?

Giegold: Es ist zumindest ein sehr sperriges Thema. Aber Entwicklungen in der Finanzindustrie hängen sehr stark von Regeln ab. Darum investieren Banken und Versicherungen enorme Summen in das Lobbying - während gemeinwohlorientierte Initiativen derzeit weder die Expertise noch das Geld haben, dagegenzuhalten.

sueddeutsche.de: Wo tritt die Übermacht der Bankenlobby besonders zutage?

Giegold: Erst jüngst wieder bei der Richtlinie AIFM, mit der die Investment- und Hedgefonds reguliert werden sollen. Da gab es eine unglaubliche Lobby-Schlacht. Alle Abgeordneten wurden massiv bedrängt, es gab insgesamt 1600 Änderungsanträge zum Vorschlag der EU-Kommission. Von denen hatte die Finanzindustrie rund 900 selbst verfasst. Ein entgegenstehendes progressives Lobbying gab es zu diesen Themen nicht.

sueddeutsche.de: Wurden Sie selbst auch bedrängt?

Giegold: Nein, mich stört aber das selbstherrliche Auftreten einiger Banklobbyisten.

sueddeutsche.de: Steckt hinter dem Aufruf der Parlamentarier insgeheim Ärger über die Arroganz der Banken?

Giegold: Lobbyismus gehört zur Demokratie. Natürlich kann man an den Methoden der Lobbyisten einige Kritik üben, doch uns fehlt vor allem das Gegengewicht. Es ist kein Aufruf gegen Lobbyismus, sondern das Kräfteverhältnis zwischen gemeinwohlorientierten Lobbyisten und geschäftlichen Interessengruppen muss stimmen. Derzeit vertreten Banken und Versicherungen ihre Anliegen ohne Widerspruch.

Interessensfreie Expertise? Gibt's nicht!

sueddeutsche.de: Die EU tut sich schwer mit der Meinungsbildung, weil sie nur die Banken befragen kann?

Giegold: Das ist ein Grundproblem: Wenn Sie nach qualifizierter Expertise suchen, dann bekommen Sie die auch - dummerweise nur aus der Finanzwirtschaft. Stellungnahmen und Gutachten sind also nicht interessensfrei. Es gibt kaum alternative Expertise, die sich auf nur annähernd vergleichbare Ressourcen stützen könnte. Banken nehmen also weniger Einfluss über Dreistigkeit, sondern über Ideen und Vorschläge, denen keine anderen Entwürfe entgegenstehen.

sueddeutsche.de: Wie soll das Vorhaben umgesetzt werden - ohne eine Institution zu schaffen, die abhängig von der Politik ist?

Giegold: Wir haben einen klaren Fahrplan: Wir suchen breite Unterstützung, nicht nur im EU-Parlament, sondern auch im Bundestag und in den Länderparlamenten. Danach muss überlegt werden, wie ein solches Vorhaben realisiert werden kann. Es kann natürlich nicht sein, dass wir die Kontrolle über eine solche Initiative behalten. Dann hätten wir nicht das Gegengewicht, das wir brauchen. Die Zivilgesellschaft soll die Kontrolle übernehmen.

sueddeutsche.de: Der Bundestag behilft sich in solchen Fragen auch mit dem wissenschaftlichen Dienst. Gibt es nichts Vergleichbares auf EU-Ebene?

Giegold: Nein, das ist auch eine klare Schwäche. Aber es wäre sehr sinnvoll, auch für die EU-Parlamentarier einen echten wissenschaftlichen Dienst zu schaffen.

sueddeutsche.de: Die EU-Parlamentarier haben für die Aktion einen ungewöhnlichen Weg gewählt. Haben Sie als Gründungsmitglied der Organisation Attac Deutschland einen solchen Weg forciert?

Giegold: Einen Schritt, wie wir ihn jetzt gemacht haben, hat es meines Wissens noch nie gegeben, schon gar nicht parteiübergreifend. Die Mitglieder aller großen Parteien machen mit. Die Idee dafür kam allerdings nicht von mir, sondern von meinem französischen Kollegen Pascal Canfin.

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