Zensurpläne:Wie Iran das Netz zum Intranet machen möchte

Teherans Überwachungspläne nehmen Gestalt an. Schon im Mai soll das "nationale Internet" in die erste Phase gehen. Die neue Infrastruktur würde die Bürger des Landes nicht nur zu gläsernen Nutzern machen, sondern sie auch vom ausländischen Web trennen.

Johannes Kuhn

Wer die Website der iranischen Cyber-Polizei besucht, findet dort eine freundliche Warnung: Google, so ist zu lesen, dringe in die Privatsphäre seiner Nutzer ein, um diese auszuspionieren. Bürger des Landes sollten den Dienst deshalb meiden.

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Ingenieur im Rechenzentrum eines iranischen Telekomproviders: Das Netz als Schauplatz des "sanften Krieges".  

(Foto: REUTERS)

Das Internet, so propagieren es die Machthaber in Teheran, sei inzwischen Schauplatz des "sanften Krieges" des Westens gegen Iran, von dem Ayatollah Ali Chamenei immer wieder spricht. Es ermögliche ausländischen Geheimdiensten, die Bürger des Landes zu überwachen und sei zudem voller Schund und Propaganda, so die offizielle Linie.

Bereits heute blockiert das Regime Dienste wie Facebook, Twitter oder YouTube, wer sie besuchen möchte, erhält einen freundlich bebilderten Hinweis, lieber bitte eine Auswahl iranischer Webseiten zu besuchen. Doch der zeitweilige Kontrollverlust im Jahr 2009, als Aktivisten mit digitalen Hilfsmitteln die Welt über die Proteste gegen die Wahl Mahmud Ahmadinedschads auf dem Laufenden hielten, hat ebenso tiefe Spuren hinterlassen wie die Demütigung durch die Infizierung sensibler Systeme mit Hilfe des Stuxnet-Wurms.

Verschlüsselung verboten

Am 22. Mai soll deshalb die erste Phase eines Projekts starten, das die Offiziellen des Kommunikationsministeriums euphemistisch "Halal Internet" oder "nationales Internet" nennen. Hinter der Ankündigung, die iranische Online-Welt an das islamische Recht anzupassen, verbirgt sich eine Zensur- und Überwachungsinfrastruktur, die bislang nur aus Ländern wie Nordkorea oder Kuba bekannt war.

Zunächst sollen die Sicherheitsbehörden durch die Vergabe einer festgelegten Auswahl an IP-Adressen nachprüfen können, welcher Bürger wann welche Seite besucht hat. Ein Verbot von Verschlüsselungstechniken soll die Überwachung des E-Mail-Verkehrs erleichtern und den Einsatz von Anti-Zensur-Software erschweren.

Intranet statt WWW

Im Jahr 2015, so hofft man, könne dann die letzte Phase beginnen: Die Abtrennung vom World Wide Web. Wer in Iran online geht, kann dann nur noch in einer Art staatlich reglementiertem Intranet surfen - einzig Banken, Behörden und ausgewählte Unternehmen sollen Zugang zu ausländischen Seiten erhalten.

Allerdings ist unklar, ob Teheran das "nationale Internet" in seiner gegenwärtigen Lage bauen kann. Das Land müsste staatliche E-Mail-Dienste, Suchmaschinen, soziale Netzwerke bereitstellen. "Dafür hat weder die Regierung, noch die Privatwirtschaft genügend Wissen oder Ingenieure", sagt der Exil-Iraner Mahmoud Enayat, der am Oxford Internet Institute über die Online-Zensur im Land forscht. Die Sanktionen würden zudem dazu beitragen, dass es "derzeit fast einfacher wäre, eine Nuklearanlage als die benötigten Datenzentren zu bauen."

Chamenei zieht die Netz-Kontrolle an sich

Der harte Internet-Kurs des Regimes hatte sich seit Anfang des Jahres abgezeichnet. Seitdem müssen Besucher von Internet-Cafés sich vor der Online-Nutzung identifizieren; Betreiber sind verpflichtet, für sechs Monate ein Protokoll besuchter Webseiten aufzubewahren. Internet-Cafés waren lange von Oppositionellen genutzt worden, um bei der Koordination von Aktionen keine Hinweise auf den Heimanschluss zu geben.

Ende Januar löste der oberste iranische Gerichtshof internationale Proteste aus, als er das Todesurteil gegen den iranischen Blogger und Web-Entwickler Saeed Malekpur bestätigte. Er hatte gestanden, pornografische Internetseiten entworfen zu haben. Im Jahr 2012 sollen bislang bereits vier Internet-Nutzer zum Tode verurteilt worden sein, unter anderem wegen "Agitation gegen die Regierung" - ein deutlicher Hinweis an Aktivisten, in der Online-Welt nicht unbeobachtet zu sein.

Seit einigen Wochen haben die USA für einige IT-Produkte Ausnahmegenehmigungen für den Export von Produkten erlassen. So können iranische Internet-Nutzer nun theoretisch Software wie Skype oder Google Talk aus dem Netz herunterladen - wenn sie dies nicht bereits vorher mit Hilfe von Anti-Zensur-Programmen wie Tor selbst erledigt hatten.

Ahmadinedschads sinkender Einfluss

Große Folgen dürften diese Erleichterungen nicht haben. "Alle, mit denen ich spreche, haben Angst wegen eines Krieges, der Wirtschaft und den steigenden Preisen", sagt Tori Egherman, die lange im Iran lebte und über gute Kontakte verfügt. "Niemand, den ich kenne, hat für etwas anderes Zeit."

Inzwischen zeichnet sich deutlich ab, dass die geistliche Führung hinter der Internet-Strenge steht. Erst vor wenigen Tagen verkündete Chamenei die Einführung eines "Hohen Rates für den Cyberspace", um die Internet-Kontrolle direkt bei den Mullahs zu bündeln. Der sinkende Einfluss Ahmadinedschads zeigt sich auch im Netz: Unter den gesperrten Internet-Adressen finden sich inzwischen auch Seiten seiner Anhänger.

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