Zensur:Warum Irans Regime Angst vor Telegram-Chats hat

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Die Iraner sollen nur noch systemtreue Inhalte austauschen könen. (Foto: AP)

Unkontrollierbar: Der Staat blockiert den Messenger Telegram, der im Land 40 Millionen Nutzer hatte.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Eine Frau, verschleiert mit schwarzem Tschador, rote Wangen und verträumter Blick, ein Bild von Irans Oberstem Führer Ali Chamenei in der Hand - das ist eines der Emojis, das Iraner seit ein paar Tagen über den Messenger Soroush per Mobiltelefon verschicken können. Wahlweise gibt es auch politisch korrekte Slogans wie "Tod Amerika!". So stellen sich die Hardliner in Iran die sozialen Netzwerke vor; die Regierung ließ die Anwendung programmieren, und überwachen kann sie die Kommunikation der Untertanen so auch.

Das Problem: 40 Millionen Iraner finden das eher albern und nutzen lieber Telegram, ein Programm des im Exil lebenden russischen Internet-Entwicklers Pawel Durow, dessen Firma auf den Britischen Jungferninseln registriert ist. Es bietet eine Verschlüsselung, von der viele meinen, sie biete Schutz vor den Augen der allgegenwärtigen Spitzel. Hier tauscht man sich direkt und offen aus, beißender Spott über das Regime gehört fast zum guten Ton. Und der Sicherheitsapparat glaubt: noch mehr.

Über Telegram seien die landesweiten Proteste Anfang des Jahres maßgeblich organisiert worden, ausländische Verschwörer würden das Netzwerk nutzen, um zu Unruhen anzustacheln. Zumindest verbreiteten die unzufriedenen Iraner damit millionenfach Bilder und Videos von den Demonstrationen, daheim wie im Ausland. Schon das macht den Sicherheitsapparat paranoid, der nach der brutalen Niederschlagung der Grünen Revolution im Jahr 2009 viel investiert hatte, um das Internet und soziale Medien lückenlos zu überwachen - offenkundig mit mäßigem Erfolg.

Nach vorübergehenden Sperren hat die iranische Justiz nun eine vollständige Blockade von Telegram angeordnet; wer die Anwendung weiter nutze, werde strafrechtlich verfolgt. Zuvor hatte Iran dem Unternehmen schon untersagt, Fotos und Filme zu übermitteln. Ihre eigenen Telegram-Kanäle löschte die Regierung; selbst Chamenei hatte darüber offiziell kommuniziert.

Das Verbot ist eine Niederlage für moderate Kräfte

Die Sperren im Zuge der Proteste ließen sich meist noch umgehen durch die in Iran weit verbreiteten VPN-Programme, die geschützte Kanäle für Anfragen an einen Rechner im Internet bieten und den Filtern der Regierung einen anderen Standort des Nutzers vorgaukeln, etwa in den USA. Auch damit soll nun Schluss ein. Die Ultrakonservativen und der Sicherheitsapparat würden am liebsten ein nationales Internet errichten, in dem die Zensur Kontrolle über alle Inhalte hat und die Geheimdienste alle Nutzer überwachen können.

Das Verbot beschneidet weiter die Freiheiten, die sich vor allem liberal gesinnte Iraner wünschen - die Wähler, die mangels besserer Alternativen im Mai vergangenen Jahres den als moderat konservativ geltenden Präsidenten Hassan Rohani mit einer beeindruckenden Mehrheit zu einer zweiten Amtszeit verholfen haben. Rohani hat sich dafür eingesetzt, dass Telegram verfügbar bleibt. Das Verbot ist eine schwere innenpolitische Niederlage für ihn gegen die Ultrakonservativen, die den Klerus und den Sicherheitsapparat dominieren und offenkundig in der Gunst Chameneis derzeit höher stehen als der Präsident.

Die Stimmung in Iran ist gespannt, nachdem der Rial gegenüber dem Dollar mehr als 20 Prozent eingebüßt hatte und auf ein neues Tief gefallen war. Die Leute versuchen, sich in Devisen zu retten, weil sie sich darauf einstellen, dass US-Präsident Donald Trump das Atomabkommen kündigen wird und neue Sanktionen bevorstehen. Der Sicherheitsapparat will neue Demonstrationen verhindern. Über Soroush werden sich die Iraner dafür nicht verabreden.

© SZ vom 04.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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