Zensierte Apps:Apples Traum von Disneyland

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Gefährliche Konsenskultur: Apple beschränkt den Zugang zu kritischen und anrüchigen Inhalten - und könnte damit unser Verständnis der Internetkultur nachhaltig verändern.

Johannes Kuhn

Wer derzeit die Debatten über Gegenwart und Zukunft des Internets verfolgt, den beschleicht ein böser Verdacht: Sind wir vom Zeitalter der digitalen Revolution längst in die Restauration gerutscht, ohne es zu merken? Und führt ausgerechnet die Firma Apple, deren Produkte immer für den digitalen Fortschritt standen, diese Gegenbewegung an?

Apple-Chef Steve Jobs: Ist die Philosophie des Unternehmens zu konsensorientiert? (Foto: Foto: AFP)

Ins Gerede gekommen ist Apples Zulassungspolitik für seine Apps, also die Miniprogramme für iPhone, iPod und iPad. Weil Nutzer die Software nur über Apples App Store herunterladen können, kann der Konzern kontrollieren, zu welchen Programmen er seinen Kunden Zugang gewährt.

Apple betont, es gehe bei der Kontrolle vor allem darum, "diffamierendem Material" und Pornographie-Programmen keinen Platz zu bieten. Doch welche Maßstäbe dabei angelegt werden, bleibt im Dunkeln: Vor wenigen Monaten etwa löschte Apple die App eines Bademodenherstellers, weil die Fotos dort zu viel nackte Haut zeigten - ließ aber gleichzeitig das freizügige Miniprogramm des Playboy unangetastet.

In die Kategorie "diffamierendes Material" fiel jüngst auch die Comic-App des Pulitzer-Preisträgers Mark Fiore, dessen Karikaturen und Trickfilme die Eigenheiten der US-Politik aufs Korn nehmen. Die Zeichnungen, so lautete die Begründung, machten "Personen des öffentlichen Lebens lächerlich".

E-Mail von Steve Jobs

Matthew Browning, ein Apple-Kunde, nahm dies zum Anlass, in einer E-Mail an Apple-Chef Steve Jobs dagegen protestieren, "dass Apple für seine Kunden entscheidet, welche Inhalte sie konsumieren dürfen". Apples Aufgabe sei "nicht die einer Moral-Polizei".

"Fiores App wird bald erhältlich sein. Das war ein Fehler", antwortete darauf nun Steve Jobs höchstselbst, "Wir glauben jedoch, dass wir eine moralische Verpflichtung haben, Pornographie vom iPhone fernzuhalten."

Längst glauben Kritiker allerdings, dass es um mehr als eine sexfreie Apple-Kultur geht. Immer mehr ähnelt die Firmenpolitik der des Disney-Konzerns - nicht zufällig ist Steve Jobs dort der größte Einzelaktionär. Weil seine harmlosen Produktionen Kontroversen und Abweichungen vom gesellschaftlichen Konsens aussparten, stand Disney über Jahrzehnte in der Gunst des amerikanischen Familienpublikums.

Kontroversen ausgespart

Gerade Endgeräte wie das iPad - das in Deutschland ab Ende Mai erhältlich sein soll - sind nun mit Buch-, Video- und Computerspielfunktionen auf ein solches Familienpublikum ausgerichtet. Wird also Apple zum Disney des digitalen Zeitalters, das der Subversivität des Internets den Zahn zieht?

Angesichts des freien, unkontrollierbaren Webs, das auch über iPhone und iPad ansteuerbar ist, scheint diese Frage absurd. Doch im zukunftsträchtigen Mobilbereich prägen längst die vom Browser abgeschotteten Apps das Internet-Nutzungsverhalten - und je mehr sie dem Web den Rang ablaufen, desto größer ist der kulturelle Einfluss, den Apple über die Auswahl dieser Mini-Programme weltweit ausüben kann.

Wie weit die Konsens-Philosophie des Unternehmens dabei gehen kann, zeigt eine Begebenheit aus dem Jahr 2008. Damals lehnte der Konzern die iPhone-Applikation "Freedom Time" ab, eine Uhr, die sekundengenau die verbleibende Amtszeit des damaligen US-Präsidenten George W. Bush herunter zählte. In einer E-Mail an den Entwickler erklärte Apple-Chef Jobs lakonisch: "Diese App wird etwa die Hälfte unserer Kunden beleidigen. Was ist also der Punkt?"

Lesen Sie hierzu Berichte in der Süddeutschen Zeitung.

© SZ vom 21.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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